PLANET ERDE 2
EINE ERDE, VIELE WELTEN
Wenn ein erfolgreiches Projekt viele Jahre später wieder aufgenommen wird, leidet darunter oft die Qualität. Ganz anders sieht das bei „Planet Erde II“aus: Hier begibt man sich mit neuester Kameratechnik auf Augenhöhe mit den Tieren und erschafft auch ein zweites Mal Magie.
Etwa ein Jahrzehnt ist es her, seit die BBC-Serie „Planet Erde“mit ihrer umfassenden Darstellung unseres Planeten begeistert hat. David Fothergills weltweit erfolgreiche Serie erlaubte seinem Publikum damals, 2006, einen Blick auf die Vielfalt und gewaltige Schönheit der Erde. In elf Folgen gewährte er Einblicke in die Natur unterschiedlichster Umgebungen, von Bergwelten, Wasserwelten, Höhlen, Wäldern bis hin zur Tiefsee. Zehn Jahre später produzierte BBC Earth eine zweite Staffel: „Planet Erde II“. Ist das denn nötig, nach einem so umfangreichen Erstling? Absolut ja. Seit 2006 ist nämlich viel passiert, insbesondere im Bereich der Technik. Die neuen sechs Folgen versprechen fantastische Bilder und nie da gewesene Einblicke in unsere Natur. Man kann gleich zu Beginn sagen, dass diese Versprechen eingehalten und teils sogar übertroffen werden.
Alte und neue Welten
Wie schon in der Originalserie entführt uns „Planet Erde II“in die Berge, den Dschungel, in Wüsten und Graslandschaften, aber auch auf entlegene Inseln und zuletzt in unsere eigene urbane Welt, die Städte. Die Episode „Inseln“zeigt uns
verschiedenste Tiere, die gerade durch die Isolation auf der Insel überleben. Vom Faultier, dass schwimmend in Panama dem verführerischen Lockruf eines Weibchens folgt und dabei fast so etwas wie Tempo vorlegt, bis zu den Lemuren Madagaskars, die sich rasant von Ast zu Ast schwingen oder den drachenhaften Komodowaranen auf Komodo & Rinca in Indonesien, die gewaltsam um ein Weibchen buhlen wird der Zuschauer auf eine faszinierende Reise mitgenommen. Dabei gibt es so viel zu sehen, dass man gar nicht weiß, wer der eigentliche Star ist: Sind es die Tiere an sich, ihre mit der Kamera eingefangenen Verhaltensweisen oder vielleicht doch die großartige, bis ins kleinste Detail im Bild festgehaltene Landschaft? Zusammen ergeben die Komponenten ein imposantes Gesamtbild, das für Stunden um Stunden zu begeistern und zu faszinieren weiß. Das kann schon mal zu einer kurzen kognitiven Dissonanz führen: Wenn die Kamera den Kehlstreifpinguinen auf der Zavodovski Island in der Antarktis folgt, wie sie sich todesmutig zur Futterbeschaffung in die Wellen werfen und dabei auch gegen Felswände treffen, dann weiß man einen Moment lang nicht, ob man betroffen über das harte Los der Federtiere sein soll oder begeistert davon, wie jeder Wassertropfen perfekt dargestellt wird.
Atemberaubend und tierisch lustig
Man sitzt aufrecht im Sessel während kleine Steinböcke die denkbar steilsten Felswände auf der Arabischen Halbinsel in Israel erklimmen auf der Flucht vor einem Fuchs, wenn zwei Steinadler in den Französischen Alpen um ihre Nahrung kämpfen oder eine Schneeleopardin zwischen zwei wütende Männchen gerät. Es gibt aber auch Momente des Innehaltens, wie wenn sich eine chilenische Hasenmaus mit geradezu meditativem und zufriedenem Gesichtsausdruck die Sonne auf den Kopf scheinen lässt, wenn uns die seltsamen Gebilde von Steinwüsten präsentiert werden oder wenn wir langsam sehen wie sich die Jahreszeiten ändern und Pflanzen aufblühen. Manchmal wird es regelrecht witzig, ganz besonders wenn die Grizzlybären Kanadas sich ausgiebig, leidenschaftlich und genüsslich die Rücken an Bäumen kratzen. Oder wer hätte gedacht, dass in den urbanen Laubenvögeln Australiens kleine Innenarchitekten mit Herz stecken?
Knackige Bilder, strahlende Farben
Wenn man sich über das brillante Grün im Gefieder des Schwertschnabelkolibris in Ecuador freut, dann ist das nicht nur, weil die kleinen Vögel wunderschön anzusehen sind, sondern auch weil die Farbdarstellung alles ist, was man sich von einer „BBC Earth“-Produktion erhofft, und mehr. Einer der Beweggründe, die „Planet Erde“-Reihe fortzuführen, war, dass nicht nur die Welt selbst und unser Naturverständnis sich verändert haben, sondern dass die moderne Filmtechnik den Kameraleuten bislang ungeahnte Möglichkeiten bietet. Wenn sich ein Löwe im Regen das Fell schüttelt, sieht man die Tropfen filigran fliegen. Man sieht Schneekristalle funkeln und bewundert die feinen Details im Fell der gezeigten Tiere. Dazu kommen beeindruckende Aufnahmen, die die Perspektive eines Adlers nachahmen. Möglich wird der Detailreichtum durch das 4K-Ultra-HD-Format, in dem gefilmt wurde. Entsprechend erscheint neben der DVD und der Blu-ray dann im April noch eine 4K Ultra HD-Bluray-Fassung. Das Format ist natürlich nicht die einzige technische Neuerung. Mittlerweile hat die tragbare Stabilisationstechnik nämlich einiges an Gewicht verloren, so dass sie sowohl von den Kameraleuten selbst als auch von Drohnen um ein vielfaches leichter transportiert werden kann. Die Möglichkeit, überhaupt Drohnen nutzen zu können, kommt ebenfalls als technischer Fortschritt hinzu und verändert den Bereich der Luftfotografie nachhaltig: Eine Drohne kann sowohl Höhenlagen erschließen als auch ganz nah an die Tiere herankommen und sogar ihrer Bewegung dynamisch aus der Verfolgerperspektive folgen. Miniatur-Aufhängesysteme erlauben es dem Team, mit ihren Kameras kleinste Lebewesen aus der Nähe zu filmen. Auch die Fernauslöser-Kameras haben eine Entwicklung durchgemacht, und können nun Bilder in hoher Auflösung bieten. In der letzten Folge, „Städte“, kommen auch ganz besonders die Szenen zur Geltung, die mit 4K-Schwachlicht-Kameras gedreht wurden, inklusive Respekt einflößender Leoparden. Der Sound ist durchweg gelungen, allerdings kommen Faktoren wie Raumklang nur bedingt zur Geltung, da meist die sehr unterhaltsame Erzählerstimme von Christian Schult (im Original ist es Sir David Attenborough höchstselbst) und die gelungene Musik von Hans Zimmer, Jasha Klebe und Jacob Shea die Geräusche der Tiere und Umgebung etwas überlagern.
Irgendwas ist immer
So viel Technik schützt natürlich vor Pleiten, Pech und Pannen nicht. Als schöner Bonus folgt jeder Folge ein kleines Making-of, in dem der Zuschauer bezeugen darf, wie viele der schwierigsten Aufnahmen gedreht wurden, und mit welchen Herausforderungen die Kamerateams zu kämpfen hatten. Ob eine Drohne im Sturm ertrinkt, oder ein Bär das dringende Bedürfnis entwickelt, eine Kamera zu verprügeln, das alles ist Alltag für
die Naturfilm-Profis. Und wenn der Elefant das Equipment einfach mal platt drückt, dann gehört eben auch das mit dazu. Aber es werden auch Themen angesprochen, an die man vor dem Bildschirm gar nicht denkt, unter anderem dass eine Insel voller Pinguine einen Eigengeruch entwickelt. Das sollte die Idee „Geruchsfernsehen“wieder recht schnell und sehr berechtigt sterben lassen. Außerdem gibt das den Teams die Möglichkeit, ihre schönen und berührenden Momente zu teilen, besonders im Nahkontakt mit Tieren in der Stadt. So manches von dem, was sie auf die Leinwand bannen, wurde so vorher noch gar nicht gezeigt.
So manche erste Male
Wenn auf den Galapagos-Inseln frisch geschlüpfte Meerechsen von einer nicht gerade kleinen Horde Schlanknattern gejagt werden, ist das nicht nur der Bild gewordene Albtaum eines jeden Schlangenphobikers, sondern vor allem eine Premiere: Diese Aufnahmen sind erstmals gefilmte Ereignisse. Das gleiche gilt den Kehlstreifpinguinen auf Zavodovski Island. Dank des wochenlangen Einsatzes der Crew gibt es auch eine seltene Gelegenheit, den Araguia-Delfin auf dem heimischen Bildschirm zu betrachten. Die Delfinart wurde erst 2014 im Amazonas entdeckt. Was man von „Planet Erde II“natürlich nicht erwarten darf, sind sehr umfangreiche Informationen über die einzelnen Tierarten und Gegenden. Dafür wird in den sechs Folgen einfach zu viel behandelt. Die Serie ist eher ein extrem ästhetischer, aber dennoch durchaus informativer Rundumschlag, der zeigt was unsere schöne Welt so zu bieten hat.
Der Zeigefinger der von Mike Gunton und Tom Hugh-Jones produzierten Fortsetzung ist dabei nur mäßig erhoben. Trotzdem möchten sie einen kritischen Blick auf unseren Umgang mit der Natur werfen. Das ist absolut gelungen. Zu den bereits erwähnten 10minütigen Making-ofs kommt noch ein attraktiv gestaltetes Booklet. Die Blu-ray Fassung mit den Episoden in Originallänge erscheint im hübschen Digi-Pack mit Papp-Schuber.