Swiss Army Man
Hank (Paul Dano) hat Glück im Unglück: Gerade als sich der Gestrandete erhängen wil, sieht er in der Brandung eine Leiche (Daniel Radcliffe) treiben. Er tauft sie auf den Namen Manny und stellt fest, dass sein neuer Freund, obwohl er ihn überall mit hintragen muss, sehr praktisch ist: Er dient als Kompass, Hammer, Wasserspender und Axt.
Der eigentliche Wert Mannys liegt jedoch in der Gesellschaft, denn die Leiche kann reden. Weil Manny eine schwere Amnesie hat, muss Hank ihm alles erklären – was Netflix, Masturbation, ein Zuhause und Liebe ist. Dabei reflektiert Hank auch sein eigenes Leben und muss sich bei allen liebevollen Erinnerungen an die Zivilisation den Ängsten stellen, die ihn von dort vertrieben hatten.
Ein Film, der in keine Schublade passt
In den ersten fünf Minuten des Films sieht man, wie der abgerissene Held der Geschichte eine Leiche wie einen Jetski reitet, angetrieben von deren Fürzen. Viel weiter kann man von Mainstreamkino kaum entfernt sein und doch ist „Swiss Army Man“ein ziemlich kommerzieller Film, der eine sehr schöne – wenn auch nicht neue – Geschichte um Scham, Liebe und Freundschaft erzählt. Anfangs pubertär wirkende Witze über Verdauung und Masturbation animierten Teile des Publikums bei der Weltpremiere auf dem Sundance Film Festival im Januar 2016 dann auch dazu, die Vorführung frühzeitig zu verlassen – ein schwerer Fehler, denn „Swiss Army Man“ist witzig, tiefsinnig, skurril, leidenschaftlich und sagenhaft originell – definitiv einer der besten Filme des Jahres. Die inhaltliche Mischung aus „Frankenstein“und „Cast Away“entfaltet eine rührende Geschichte um die Angst eines sozialen Außenseiters vor dem Leben und dem buchstäblich nicht totzukriegenden Bedürfnis, es trotz aller Risiken in vollen Zügen genießen zu wollen. Im Grunde ist „Swiss Army Man“eine Adoleszenz-Geschichte, die mit Elementen aus Komödie, Melodram und Märchenstoff angereichert ist. Diese Mischung ist extrem unkonventionell, aber gerade das macht den kleinen Film (Budget: 3 Millionen Dollar) so besonders. Von Anfang an machen die Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert dem Zuschauer klar, dass sie keinen 08/15-Film abgeliefert haben, sondern einen Plot erzählen, der sich weder in eine Genreschublade zwängen lässt, noch ein spezifisches Zielpublikum hat. Ob man 14 oder 74 ist, jeder kann von "Swiss Army Man" mitgerissen oder vor den Kopf gestoßen werden.
Flatulenz trifft Philosophie
Die wichtigsten Säulen des aus der homogenen Masse herausstechenden Films sind die authentischen Dialoge, der Soundtrack und die beiden Hauptdarsteller Daniel Radcliffe, der furchtlos eine aufgedunsene, unentwegt flatulierende Leiche verkörpert, und Paul Dano, der spätestens seit „There Will Be Blood“der Geheimtipp ist, wenn es darum geht, welcher bisher eher unbekannte Darsteller in den nächsten Jahren einen Oscar gewinnen dürfte. Dano und Radcliffe entwickeln vor der Kamera eine einzigartige Chemie, die die vielen tiefgründigen und verschroben-romantischen Momente des Films mitträgt.
Diese erzählerische Stärke trifft dann auf beeindruckende Aufnahmen voller bildgewaltiger Ästhetik, die inhaltlich wieder konterkariert werden – denn wo Verdauungsthematiken auf existenzialistische Philosophien treffen, ist das argumentative Eis normalerweise reichlich dünn; aber eben nicht bei „Swiss Army Man“. Hier fügt sich alles zwingend ineinander, die großen Fragen und Antworten des Lebens werden zwischen lebendem und toten Außenseiter auf ihren absoluten Kern heruntergebrochen, der, wie so oft, Mut zum Lieben und somit zum Leben ist. Dabei entsteht zwischen den – im eigentlichen Wortsinn – romantischen Figuren auch eine sehr schöne Dynamik, die das gewöhnliche Vater-Sohn-Motiv schnell umkehrt und „Swiss Army Man“bis zum Schluss nicht langweilig werden lässt, obwohl man ja eigentlich nur zwei jungen Männern dabei zuschaut, wie sie im Wald die besten Augenblicke der Zivilisation aus Müll und Ästen nachbauen. Solche Liebeserklärungen an das Leben wirken manchmal pathetisch, „Swiss Army Man“schafft es aber durch das sorgfältige Drehbuch, den manchmal etwas weinerlich wirkenden Helden nicht zu sehr die Oberhand gewinnen zu lassen und die sehnsüchtige Melancholie mit genügend Leichtfüßigkeit zu versehen.
Technisch ausgereift
Als Bonusmaterial gibt es ein Interview mit Daniel Radcliffe, einige kurze Featurettes, geschnittene Szenen und ein einstündiges Q&A, das sich jedoch allein mit dem Ton und dessen Abmischung beschäftigt. Etwas ärgerlich: Der Audiokommentar des Films ist nicht untertitelt.
Bild und Ton der Blu-ray sind sehr gut gelungen. Es gibt zwar gelegentlich minimales Bildrauschen, das aber auf kleineren Fernsehern praktisch nicht mehr zu sehen sein dürfte. Besonders lobenswert ist der Ton, bei dem so gut wie keine Abstriche gemacht werden müssen. Schade ist jedoch, dass Dolby Atmos nur für die englische Tonspur verfügbar ist. Die deutsche Spur bietet aber immerhin einen verlustfreien DTS-HD-MA-5.1-Sound.