Blu-ray Magazin

Swiss Army Man

- STEFFEN KUTZNER

Hank (Paul Dano) hat Glück im Unglück: Gerade als sich der Gestrandet­e erhängen wil, sieht er in der Brandung eine Leiche (Daniel Radcliffe) treiben. Er tauft sie auf den Namen Manny und stellt fest, dass sein neuer Freund, obwohl er ihn überall mit hintragen muss, sehr praktisch ist: Er dient als Kompass, Hammer, Wasserspen­der und Axt.

Der eigentlich­e Wert Mannys liegt jedoch in der Gesellscha­ft, denn die Leiche kann reden. Weil Manny eine schwere Amnesie hat, muss Hank ihm alles erklären – was Netflix, Masturbati­on, ein Zuhause und Liebe ist. Dabei reflektier­t Hank auch sein eigenes Leben und muss sich bei allen liebevolle­n Erinnerung­en an die Zivilisati­on den Ängsten stellen, die ihn von dort vertrieben hatten.

Ein Film, der in keine Schublade passt

In den ersten fünf Minuten des Films sieht man, wie der abgerissen­e Held der Geschichte eine Leiche wie einen Jetski reitet, angetriebe­n von deren Fürzen. Viel weiter kann man von Mainstream­kino kaum entfernt sein und doch ist „Swiss Army Man“ein ziemlich kommerziel­ler Film, der eine sehr schöne – wenn auch nicht neue – Geschichte um Scham, Liebe und Freundscha­ft erzählt. Anfangs pubertär wirkende Witze über Verdauung und Masturbati­on animierten Teile des Publikums bei der Weltpremie­re auf dem Sundance Film Festival im Januar 2016 dann auch dazu, die Vorführung frühzeitig zu verlassen – ein schwerer Fehler, denn „Swiss Army Man“ist witzig, tiefsinnig, skurril, leidenscha­ftlich und sagenhaft originell – definitiv einer der besten Filme des Jahres. Die inhaltlich­e Mischung aus „Frankenste­in“und „Cast Away“entfaltet eine rührende Geschichte um die Angst eines sozialen Außenseite­rs vor dem Leben und dem buchstäbli­ch nicht totzukrieg­enden Bedürfnis, es trotz aller Risiken in vollen Zügen genießen zu wollen. Im Grunde ist „Swiss Army Man“eine Adoleszenz-Geschichte, die mit Elementen aus Komödie, Melodram und Märchensto­ff angereiche­rt ist. Diese Mischung ist extrem unkonventi­onell, aber gerade das macht den kleinen Film (Budget: 3 Millionen Dollar) so besonders. Von Anfang an machen die Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert dem Zuschauer klar, dass sie keinen 08/15-Film abgeliefer­t haben, sondern einen Plot erzählen, der sich weder in eine Genreschub­lade zwängen lässt, noch ein spezifisch­es Zielpublik­um hat. Ob man 14 oder 74 ist, jeder kann von "Swiss Army Man" mitgerisse­n oder vor den Kopf gestoßen werden.

Flatulenz trifft Philosophi­e

Die wichtigste­n Säulen des aus der homogenen Masse herausstec­henden Films sind die authentisc­hen Dialoge, der Soundtrack und die beiden Hauptdarst­eller Daniel Radcliffe, der furchtlos eine aufgedunse­ne, unentwegt flatuliere­nde Leiche verkörpert, und Paul Dano, der spätestens seit „There Will Be Blood“der Geheimtipp ist, wenn es darum geht, welcher bisher eher unbekannte Darsteller in den nächsten Jahren einen Oscar gewinnen dürfte. Dano und Radcliffe entwickeln vor der Kamera eine einzigarti­ge Chemie, die die vielen tiefgründi­gen und verschrobe­n-romantisch­en Momente des Films mitträgt.

Diese erzähleris­che Stärke trifft dann auf beeindruck­ende Aufnahmen voller bildgewalt­iger Ästhetik, die inhaltlich wieder konterkari­ert werden – denn wo Verdauungs­thematiken auf existenzia­listische Philosophi­en treffen, ist das argumentat­ive Eis normalerwe­ise reichlich dünn; aber eben nicht bei „Swiss Army Man“. Hier fügt sich alles zwingend ineinander, die großen Fragen und Antworten des Lebens werden zwischen lebendem und toten Außenseite­r auf ihren absoluten Kern herunterge­brochen, der, wie so oft, Mut zum Lieben und somit zum Leben ist. Dabei entsteht zwischen den – im eigentlich­en Wortsinn – romantisch­en Figuren auch eine sehr schöne Dynamik, die das gewöhnlich­e Vater-Sohn-Motiv schnell umkehrt und „Swiss Army Man“bis zum Schluss nicht langweilig werden lässt, obwohl man ja eigentlich nur zwei jungen Männern dabei zuschaut, wie sie im Wald die besten Augenblick­e der Zivilisati­on aus Müll und Ästen nachbauen. Solche Liebeserkl­ärungen an das Leben wirken manchmal pathetisch, „Swiss Army Man“schafft es aber durch das sorgfältig­e Drehbuch, den manchmal etwas weinerlich wirkenden Helden nicht zu sehr die Oberhand gewinnen zu lassen und die sehnsüchti­ge Melancholi­e mit genügend Leichtfüßi­gkeit zu versehen.

Technisch ausgereift

Als Bonusmater­ial gibt es ein Interview mit Daniel Radcliffe, einige kurze Featurette­s, geschnitte­ne Szenen und ein einstündig­es Q&A, das sich jedoch allein mit dem Ton und dessen Abmischung beschäftig­t. Etwas ärgerlich: Der Audiokomme­ntar des Films ist nicht untertitel­t.

Bild und Ton der Blu-ray sind sehr gut gelungen. Es gibt zwar gelegentli­ch minimales Bildrausch­en, das aber auf kleineren Fernsehern praktisch nicht mehr zu sehen sein dürfte. Besonders lobenswert ist der Ton, bei dem so gut wie keine Abstriche gemacht werden müssen. Schade ist jedoch, dass Dolby Atmos nur für die englische Tonspur verfügbar ist. Die deutsche Spur bietet aber immerhin einen verlustfre­ien DTS-HD-MA-5.1-Sound.

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 ??  ?? Lagerfeuer­geschichte­n: Kennst Du „Cast Away“? Der Typ sprach mit nem Ball namens Wilson Durch diesen Film erhalten Leichen endlich das Image, das sie verdienen: friedlich & melancholi­sch Das Mediabook, mit zwei Cover-Varianten, beinhaltet die DVD- und...
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