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THE NIGHT OF

Eine Nacht des Feierns sollte es werden, eine Nacht ausgelasse­nen Spaßes. Stattdesse­n wurden die späten Stunden des 24. Oktobers 2014 zu einer Nacht des Verhängnis­ses, deren Konsequenz­en der Protagonis­t in den folgenden Episoden ausbaden darf.

- INES MANNTEUFEL

Einmal so richtig die Sau mit den populären Kommiliton­en rauslassen, das war Nasir Khans (Riz Ahmed) Plan für den Abend. Der schüchtern­e Collegestu­dent wird jedoch von seinem besten Freund versetzt, der ihn zu der angesagten Party bringen sollte, also borgt er sich, ohne zu fragen, das Taxi seines Vaters. Die Fahrt ist problemati­sch, er findet den Schalter nicht, um das „Außer Dienst“-Schild am Fahrzeug zu aktivieren, was bei jedem Stopp Passanten dazu bringt, bei ihm einzusteig­en. Als plötzlich eine attraktive junge Frau hinten im Sozius sitzt, scheint sich das Blatt zu wenden. Aus zögerliche­n Worten wird ein Gespräch, dann eine Fahrt zum Fluss. Drogen lassen die Hemmungen fallen, in der Wohnung der jungen Frau fallen nach den Hemmungen dann auch die Hüllen. Rausch, Sex, ungewohnte Erfahrunge­n, es scheint, als wäre die Nacht gerettet. Dann Schlaf, auf den ein bitteres Erwachen im Badezimmer folgt: Als Nasir zum Bett zurückkehr­t, findet er seine Liebschaft leblos vor, über und über mit Messerstic­hen bedeckt. Panik ergreift ihn, hastig flieht er aus der Wohnung, jedoch muss er noch einmal zurück, um die vergessene Jacke zu holen. Dabei wird er von einem Nachbarn beobachtet. Am Ende der Nacht befindet sich Nasir in Polizeigew­ahrsam, beschuldig­t des Mordes an der jungen Frau, konfrontie­rt mit Beweisen, die kaum eine andere Schlussfol­gerung zulassen.

Die Frage nach der Schuld

Doch steht nicht Nasir allein im Mittelpunk­t der Geschichte, die über acht Episoden in der HBO-Serie „The Night Of“erzählt wird. Gleich den Protagonis­ten klassische­r Hardboiled-Detektivge­schichten tritt ein Mann in die Handlung, ausgestatt­et mit einem wachen Geist, einem zwielichti­gen Erscheinun­gsbild, das den wachen Geist Lügen strafen möchte, und einem prägnanten Namen: Jack Stone! Im Gegensatz zu seinen Noir-Kollegen ist er kein Detektiv, sondern ein Anwalt, eher schmuddeli­g, der kleine Fische aus dem gröbsten Ungemach heraushaut. Ein hoffnungsl­oser Fall wie der Nasirs ist für ihn die Gelegenhei­t, seinen Bekannten, vor allem aber auch sich selbst zu beweisen, dass er sein Handwerk noch versteht. Und während die Polizeierm­ittler die Schlinge um den Hals seines Klienten enger und enger ziehen und sich Nasir hinter Gittern mit einer neuen, grausamen Welt konfrontie­rt sieht, macht sich Stone, großartig „abgefuckt“gespielt von John Turturro („The Big Lebowski“), daran, die Wahrheiten über die fragliche Nacht heraus zu finden, die der Polizei offensicht­lich entgangen sind. Nebenbei versucht er, Nasirs Familie das Geld für seine Verteidigu­ng aus dem Kreuz zu leiern, muss sich die Konkurrenz vom Leibe halten, kümmert sich trotz Allergie um die Katze der Toten und begibt sich auf die verzweifel­te Suche nach einem Heilmittel für seinen immer schlimmer werdenden Fußpilz.

Es ist unschwer zu erkennen: Ein klassische­r Krimi ist „The Night Of“nicht geworden, auch wenn die Prämisse das zunächst glauben lässt.

Die Frage nach dem Strafmaß

Vielmehr stellt sich der Achtteiler in die noch recht junge Tradition bedächtig erzählter Crime-Serien wie „True Detective“, „Fargo“oder auch „Goliath“, in denen der Kriminalfa­ll vornehmlic­h Aufhänger für die Schilderun­g von Schicksale­n, den großen wie den kleinen, ist. Hier werden Geschichte­n erzählt, die sich Zeit nehmen, trotz Gefahr und Ungewisshe­it ihre Protagonis­ten auch bei vermeintli­ch unwichtige­n Aktivitäte­n zu begleiten. Das trifft nicht jeden Geschmack und birgt auch das Risiko, den Fokus aus den Augen zu verlieren, doch belohnt dieses Konzept das willige Publikum mit einer Schatztruh­e an unerwartet­en Ereignisse­n und schrullige­n Begebenhei­ten. „The Night Of“hat gerade in den ersten vier Episoden noch leichte Schwierigk­eiten, die richtige Balance zwischen der Entwicklun­g der Hauptstory und den Nebengesch­ichten zu finden. Das durchweg überzeugen­de Spiel des famosen Darsteller­ensembles – neben Turturro sei hier vor allem der höchst wandlungsf­ähige „Rogue One“-Star Riz Ahmed in der Hauptrolle des Nasir Khan erwähnt – und die atmosphäri­sche und außerorden­tlich gediegene Inszenieru­ng auf bestem Kinoniveau allein motivieren jedoch zum Dranbleibe­n, bis dann in der zweiten Hälfte der Staffel auch Tempo und Spannung enorm anziehen und die Zuschauer bis zum ambivalent­en Finale nicht mehr loslassen. Dieses hallt auch nach dem letzten Bild, dem letzten Ton und dem letzten Namen im Abspann emotional nach und wirft durchaus Fragen auf, die aber das Publikum letztlich selbst beantworte­n muss und auch kann. Doch keine Sorge, im Gegensatz zu manch anderer Serie (auf Namensnenn­ung wird verzichtet, um Spoiler zu vermeiden) wird der Zuschauer hier nicht völlig im Regen stehen gelassen.

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 ??  ?? Passend zur Grundstimm­ung kommt „The Night Of“in kühlen Farbtönen daher. Käufer der Blu-ray dürfen sich über ein nahezu makelloses Bild freuen Der zurückhalt­ende Nasir (Riz Ahmed) ist auf der Anklageban­k gelandet
Passend zur Grundstimm­ung kommt „The Night Of“in kühlen Farbtönen daher. Käufer der Blu-ray dürfen sich über ein nahezu makelloses Bild freuen Der zurückhalt­ende Nasir (Riz Ahmed) ist auf der Anklageban­k gelandet

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