NINTENDO SWITCH
Nur wenige Stunden nach Enthüllung der Videospielkonsole Switch gaben Nintendos Aktienkurse erneut nach und Kritiker sahen sich bestätigt, dass der Mario-Erfinder mit Switch lediglich den verpassten Chancen der letzten Jahre hinterherläuft. Doch steht es um Nintendos Zukunft wirklich so schlecht?
Die offizielle Enthüllung der neuen Hybridkonsole Switch war, im Gegensatz zum euphorisch gefeierten Vorschauvideo des letzten Jahres, nicht der erhoffte Befreiungsschlag für Nintendo, sondern diente als Brandbeschleuniger für alle vorab geäußerten Bedenken: Kein ausgebautes Onlinesystem zum Start (nicht einmal Video-on-Demand-Apps sind zu Beginn abrufbar), noch keine überzeugende Unterstützung durch Dritthersteller, wenig Exklusivspiele in den ersten Monaten, im Vergleich zu Playstation und Xbox geringe Hardwareleistung ohne 4K- und HDR-Support und hohe Zusatzkosten für das Zubehör lassen berechtigte Zweifel aufkommen, ob Switch mehr ist, als der letzte Versuch des Traditionsunternehmens, um in Zeiten von Smartphones, Tablets und leistungsstarken 4K-Spielekonsolen eine Nische zu besetzen. Doch ein Großteil der kritischen Stimmen erinnerte frappierend an die Berichterstattung zur Produkteinführung von Nintendos Wii, und wie bereits vor einem Jahrzehnt, so könnte Nintendo auch 2017 ein Überraschungserfolg gelingen. Ganz gleich ob Asien, USA oder Europa, Vorbestellungen für Nintendos Hybridkonsole Switch sind derzeit kaum noch möglich, sodass die angepeilten zwei Millionen Einheiten zum Start schnell vergriffen sein dürften. Die Internetberichterstattung kannte in den letzten Wochen kaum ein anderes Hardwarethema und bei den überall auf der Welt veranstalteten Anspielsessions war der Ansturm so gewaltig, wie bei der Einführung eines neuen iPhones von Apple.
Hybridspieler
Nintendo Switch bedeutet zwei Videospielsysteme in einem. Abgestellt im Dock verhält sich Switch wie eine herkömmliche Videospielkonsole, die eine Bildqualität in 1080p-Auflösung liefert. Der Clou: Sie können Switch in beiden Händen halten, im Akkubetrieb nutzen und über die ansteckbaren Controller sämtliche Switch-Games unterwegs spielen. Diese werden auf einer Speicherkarte, vergleichbar zum Nintendo 3DS, ausgeliefert, ein Disc-Laufwerk besitzt Switch nicht. Die Akkulaufzeit soll bei 2,5 bis 6 Stunden liegen und Switch lässt sich bequem über ein USB-C-Ladekabel mit Energie versorgen. Kleiner Schönheitsfehler: Stellen Sie das Display mittels ausklappbarer Stütze auf, so wird das Anbringen des Ladekabels an der Unterseite erschwert. Dritthersteller wie Hori bringen deshalb eine spezielle Halterung auf den Markt, um Switch im mobilen Betrieb aufladen zu können. Für Zubehörhersteller ist Switch eine wahre Goldgrube: Halterungen und Ladestationen für PKWs dürften in den kommenden Monaten wie Super-Mario-Pilze aus dem Boden schießen und nicht nur Nintendo Goldmünzen in die Kassen spülen. Der interne Speicher der Switch ist mit 32GB knapp bemessen, über MicroSD-Karten lässt sich der Speicher jedoch beliebig erweitern. Der Touchscreen ist mit 6,2 Zoll ausreichend groß, um in die Spielewelten von „Zelda“und „Mario“eintauchen zu können und die Displayauflösung ist mit 1 280 × 720 Pixeln hoch genug, um Symbole und Schriften klar lesbar wiederzugeben. Während in Nintendos Wii U das eigentliche Rechenkraftwerk in der Basisstation integriert war, so befinden sich bei Switch sämtliche Prozessoren, Speicherbausteine und auch ein Lüfter direkt in der mobilen Hybridkonsole. Partner Nvidia versorgt Nintendo mit der bewährten Tegra-X-Technologie, die z.B. die Android-Konsole Shield TV antreibt. Vergleiche mit einer PS4 oder Xbox One sind mit Vorsicht zu genießen, auch wenn Nintendos Switch vornehmlich als Heimkonsole vermarktet wird. Vielmehr handelt es sich um ein Touchscreen-Tablet mit ansteckbaren Controllern und technische Vergleiche zu Smartphones oder iPads sind somit naheliegender. Durch vergleichsweise niedrige Taktraten verliert Nintendos Switch zwar auch einen Leistungsvergleich mit doppelt so teurer Mobiltechnik von Apple und Co., doch im Praxisbetrieb werden Sie kein Smartphone oder Tablet finden, das derart beeindruckende Videospielgrafiken auf den mobilen Bildschirm zaubert. Wer das neue „Zelda“- oder „Mario Kart“-Erlebnis auf Nintendos Switch in beiden Händen hält, wird von der grafischen Wiedergabe beeindruckt sein. Nintendos Trumpfkarte heißt einmal mehr Optimierung: Spieleentwickler können Switch ab Tag 1 technisch ausreizen und müssen keine Rücksicht auf Besitzer älterer Smartphone- oder Tablet-Technik nehmen.
Mobil und episch?
Die immer größeren Spielewelten bergen nicht nur Verkaufschancen, sondern auch eine große Gefahr für Nintendos Switch-Strategie: Will man Abenteuerspiele wie „Zelda“oder „Skyrim“wirklich unterwegs auf einem kleinen Bildschirm spielen, anstatt auf einem XXL-Fernseher gemütlich im Wohnzimmer? Für eine flimmerfreie und detailscharfe Wiedergabe auf einem 4K-Fernseher bietet Switch allerdings nicht genügend Leistung, die internen Prozessoren stellen eine 720p-Auflösung (Mobileinsatz) oder 1080p-Grafik (stationärer Einsatz im Dock) bereit. Inwieweit im Internet aufgetauchte Patentanmeldungen von Nintendo zukünftig eine Rolle spielen werden, ist bislang reine Spekulation. So soll Switch über eine neue modulare Dockingstation eine Leistungssteigerung erfahren, um in Zukunft auch 4K-Grafiken bereitstellen zu können. Selbst eine kompakte 4K-Switch-Konsole ohne Display nach dem Vorbild von Nvidias Shield TV wäre denkbar. Doch aktuell setzt Nintendo mit Switch auf eine Hybridanwendung ohne Fokus auf eine leistungsstarke 4K-Heimanwendung.
Sorge um Nachschub
Das größte Risiko in eine Switch-Investition stellt die fehlende Unterstützung durch Drittentwickler dar. Namhafte Hersteller wie Electronic Arts, Rockstar Games oder Activision werden aufwändige Spiele wie „Mass Effect Andromeda“, „Red Dead Redemption 2“oder neue Teile der „Call of Duty“- und „Battlefield“-Reihe nicht für Switch umsetzen, da Switch nicht über ausreichend Rechenleistung verfügt. Stattdessen sollen alte Spiele neu aufgewärmt werden, darunter „Skyrim“, „Street Fighter
II“und „Rayman Legends“, die es in vergleichbarer Qualität bereits auf PS3 und Xbox 360 gab. Und während Sie diese Spiele für Playstation und Xbox günstig erwerben können, so sind die Spielepreise bei Nintendos Switch zum Start hoch angesetzt: Zwischen 50 und 70 Euro werden für die meisten Games verlangt, einzig Download-Spiele wie „Snipperclips“werden günstiger angeboten. Selbst für Nintendos Minispielsammlung „1-2-Switch“müssen Sie
50 Euro einplanen und es ist unverständlich, weshalb Nintendo das Partyspiel nicht kostenlos allen Switch-Geräten beilegt. Switch kann aktuelle Videospielkonsolen wie PS4 und Xbox One somit nicht ersetzen, sondern stellt nur eine Ergänzung dar und die Zeit wird zeigen, ob Switch mehr ist, als eine Nischenplattform für Nintendos eigene Videospielmarken.
Nintendos Stärke war es schon immer, erfahrene und unerfahrene Spieler zusammenzubringen. Mit der Minispielsammlung „1-2-Switch“könnte dies erneut gelingen. Anstatt pausenlos auf den Bildschirm zu starren, blicken sich zwei Spieler tief in die Augen und vollführen mittels Bewegungssteuerung vorgegebene Kommandos. Ob Samuraischwert schwingen, Tischtennisball schlagen, Pistole ziehen, Kühe melken oder einen Safe knacken: Die Minispiele dauern nur wenige Sekunden, sorgen aber gerade im Freundeskreis für einige Lacher. Der Clou: Die abnehmbaren Controller erlauben es ohne zusätzliche Hardware, dass sich zwei Spieler duellieren und dank innovativen Technologien bleibt es nicht nur bei einer Bewegungssteuerung. So sorgt ein ausgefeilter Vibrationseffekt dafür, dass Sie z.B. simulierte Kugeln im Controller erfühlen
und deren Anzahl bestimmen können. Zudem verfügt ein Controller über eine Infrarotkamera, über die sich Finger oder Mundbewegungen einfangen lassen. Bereiten Sie sich auf ein virtuelles Wettessen vor, bei dem im Anschluss der Unterkiefer schmerzt. Wollen Sie das ab April erhältliche Boxspiel „Arms“zu zweit spielen, müssen Sie in ein zweites Paar Controller investieren und diese sind mit 80 Euro alles andere als günstig. Selbst für den exzellent in der Hand liegenden Pro-Controller verlangt Nintendo satte 70 Euro. Sind Sie eher ein Fan von Onlinewettkämpfen, dann müssen Sie zukünftig mit einer monatlichen Kostenpauschale rechnen, denn Nintendo kündigte an, den bislang kostenlosen Onlineservice zu einem kostenpflichtigen System umzubauen. Die ab März beginnende Testphase soll 6 Monate lang gratis ablaufen, danach sollen jährlich circa 25 Euro fällig werden, wenn Sie Onlineduelle austragen möchten. Zudem sollten Sie unterwegs ihr Smartphone bereithalten, denn anstatt ein Headset an Switch anzuschließen, sorgt eine Smartphone-App für die Kommunikation in Onlinespielen. Ist Ihr Freundeskreis mit ausreichend Switch-Hardware versorgt und duellieren Sie sich am liebsten Angesicht in Angesicht, so können Sie Multiplayer-Gefechte mit bis zu 8 Switch-Konsolen austragen.
Nichts ist in Stein gemeißelt
Im Moment besteht eine große Diskrepanz zwischen dem, was Switch am Erscheinungstag (3. März) ist und dem, was Switch bis Jahresende sein kann. Die Markteinführung erscheint selbst beim Blick durch die rosarote Nintendobrille überhastet: Weder ist der Onlineservice voll funktionsfähig, noch sind ausreichend exklusive Spiele vorhanden. Neue Games wie „Mario Odyssey“erscheinen hingegen erst Ende 2017. Die Hochpreisstrategie ist zudem riskant: Wer Switch mit drei Spielen und zusätzlichem Zubehör (Extra-Controller, Speicherkarte, Schutzhülle, Extra-Ladekabel) erwirbt, muss nicht mit 330 Euro, sondern mit dem doppelten Betrag rechnen. Für Onlinespieler entstehen zusätzliche Kosten durch die monatliche Onlinegebühr und die Voice-Chat-Funktion über die Smartphone-App erscheint eher umständlich als praktisch. Dennoch dürften Early-Adopter nur wenig Grund zum Klagen haben, denn Nintendos handverlesene Titel („Zelda“, „Mario Kart“) gehören zum Besten, was der Videospielmarkt hergibt und auf einem portablen Gerät durfte man eine derartige Qualität noch nie genießen. Zudem hat Nintendo mit der Minispielsammlung „1-2-Switch“, dem Puzzle-Spiel „Snipperclips“und dem Klassiker „Bomberman R“ein paar Geheimtipps zum Start in petto, die alle ansprechen könnten, die von Videospielen normalerweise die Finger lassen. Somit könnte, wie bereits beim Überraschungserfolg Nintendo Wii, ein Schneeballeffekt einsetzen, der sämtliche negativen Vorhersagen überrollt. Die beste Werbung für die neue Switch-Hybridkonsole dürfte nicht von Nintendo ausgehen, sondern von den Spielern, die bereits am Switch-Erscheinungstag viel Geld in eine noch ungewisse Videospielzukunft investieren.