Taboo (1. Staffel)
Serie
Vertrauen flößt er nicht ein, dieser James Keziah Delaney (Tom Hardy), nicht auf den ersten Blick, nicht später. Die eigenartigen Tätowierungen, der unstete, leicht irre Blick, das dominant dreiste Auftreten, das Gangster-Outfit, nein, eine Versicherung würde man diesem Mann sicher nicht abkaufen wollen, schon gar nicht in dem auf Stil und Benimm versessenen England des frühen neunzehnten Jahrhunderts. Aber zu erzählen hätte er bestimmt viel, der ehemalige Soldat und Glücksritter. Den Schilderungen seiner Abenteuer würde man mit glühender Aufmerksamkeit lauschen und ganz vergessen, dass Schicklichkeit und Anstand es eigentlich verböten, sich mit solch einer Kreatur an einen Tisch zu hocken. Man würde etwas verpassen, hörte man ihm nicht zu. Auch die Gäste beim Begräbnis von James‘ Vater, Horace Delaney, staunen nicht schlecht, als der mit keckem Hut und rücksichtsloser Attitüde ausgestattete Abenteurer die Kirche betritt. Die zwei Münzen, die er in die Kollekte steckt, hat er zuvor selbst dem Leichnam seines alten Herren von den Augen genommen. Seine Halbschwester Zilpha (Oona Chaplin) und ihr Ehemann wähnten ihn tot, doch jetzt ist er wieder in London, verfügt über beträchtliche Mittel und ist gewillt,
die Absichten aller anderen zu durchkreuzen, um seine Pläne durchzusetzen. Worin die bestehen, darüber ist man sich nicht einig, doch dass er ein Ärgernis darüber herrscht Klarheit.
Das Erbe
Insbesondere der mächtigen East India Company kommt die Gegenwart des Delaney-Sohnes ausgesprochen ungelegen, hatte man sich doch bereits mit der Tochter des Verstorbenen auf einen Handel geeinigt, die dem Handelsimperium ein augenscheinlich wertloses Territorium an der Westküste Nordamerikas gesichert hätte, das einst vom alten Delaney den Indianern abgehandelt worden war. So sehr sich auch die Vertreter des Unternehmens bemühen, die Nutzlosigkeit des Landstreifens zu betonen, so offensichtlich ist jedoch schon bald, dass dem Gebiet eine enorme Bedeutung zufällt und James Delaney nicht willens ist, sich davon zu trennen. Stattdessen stellt er eine Mannschaft zusammen und erwirbt ein Schiff, das ihn und seine Leute über den Atlantik bringen soll. Was genau er vorhat, bleibt lange Zeit ungewiss, doch seine Pläne und Strategien berühren nicht allein Handel und Reichtümer, sondern auch das Schicksal zweier Nationen im Krieg.
Unartige Dinge
Um keine falschen Erwartungen zu wecken, sei verraten, dass die erste Staffel von „Taboo“nahezu vollständig in London und Umgebung angesiedelt ist, auf ein Abenteuer in rauer Wildnis oder auf hoher See sollte also zumindest jetzt noch nicht gehofft werden. Das prä-viktorianische London stellt jedoch einen aufregenden Schauplatz dar, eine faszinierende Bühne urbaner Pracht und Schaurigkeit, die all den Intrigen, zwielichtigen Deals, verbotenen Liebschaften (irgendwo muss sich der Name der Serie ja auch seine Berechtigung verdienen) und kühnen Plänen, all den Haderlumpen und Ganoven, den Freudenmädchen und Spionen, den Hasardeuren und adligen Schranzen in jeder Hinsicht gerecht wird; Das Panoptikum an illustren Gestalten, die dieses exquisit wiedererrichtete London bevölkern, ist passenderweise von erlesener Vielfalt, wobei reine Sympathieträger und echte Helden nicht anzutreffen sind. Die zentrale Figur, James Delaney, ist kein herzloser Charakter, doch seine Gnadenlosigkeit und seine Unberechenbarkeit qualifizieren ihn bestenfalls zum Antihelden. Doch sind die grausamsten Monster oft diejenigen, die ihrer Brutalität den Mantel der Rechtschaffenheit umzuhängen vermögen und denen ihr privilegierter Status erlaubt, sich vom Fluch der eigenen Verderbtheit vollständig zu distanzieren. Kino-Star Tom Hardy, der die Serie auch erdachte (zusammen mit seinem Vater) und produzierte, und Jonathan Pryce geben zwei ungeheuer charismatische Gegenspieler ab, doch lassen sich ihre Ko-Stars von der Prominenz in der Führungsriege nicht die Butter vom Brot nehmen. „Taboo“versammelt eine Unzahl uriger bis abgründiger Existenzen, unter denen Franka Potente als deutschstämmige Puffmutter mit dem schönen Namen „Helga von Hinten“nur bei oberflächlichem Blick die schrägste ist. Und wie dieses Beispiel demonstriert, watet die Serie zwar konstant durch den Dreck, doch den Sinn für Humor, meist so schwarz wie die Zähne der billigsten Bordsteinschwalben, hat sie nicht verloren.