Girl on the Train
Sie wirkt zunächst wie eine verträumte junge Frau, mit einer kreativen Ader und dem Hang, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Jeden Tag fährt sie mit der Bahn an einem Haus vorbei, wo sie eine attraktive, blonde Frau beobachtet. Dann spinnt Rachel (Emily Blunt) sich Geschichten zusammen, wer diese Frau ist, was sie und ihr Mann beruflich tun und wie ihr Leben voller Liebe sein muss. Dazu erstellt sie Zeichnungen. Natürlich weiß sie nichts vom wirklichen Leben von Megan (Haley Bennett, „Die glorreichen Sieben“) und ihrem Mann. Aber bevor ihre Illusion von der schönen Frau in dem Haus zerbricht, zerbricht die Illusion des Zuschauers von Rachel. Denn sie beobachtet Megan nicht bloß weil sie eine romantische, einsame Träumerin ist, sondern um sich von einem anderen Haus abzulenken, das zwei Nummern weiter ist – ihr altes Haus. Dort hat sie früher gelebt, in ihrem alten Leben, mit ihrem früheren Mann. Sie ist auch kein Mädchen, wie der Titel vermuten lässt, sondern eine erwachsene Frau. Nun lebt ihr Ex-Mann in dem Haus mit seiner neuen Frau Anna (Rebecca Ferguson) und deren Baby. Seitdem fährt sie jeden Tag daran vorbei und kämpft auch schon lange mit einem Alkoholproblem und Blackouts. Genau das ist auch der passende Auftakt für einen Film, in dem nichts ist wie es zunächst scheint.
Zerstörte Illusionen
Natürlich sind Megan und Scott (Luke Evans) kein perfektes Paar. Als sie beim Vorbeifahren etwas sieht, das sie sehr erschüttert, löst das etwas in Rachel aus. Und auch in der neuen Ehe ihres Mannes ist nicht alles so rosig, wie es auf den ersten Blick scheint. Natürlich hilft es auch nicht, wenn Rachel unangemeldet ins Haus kommt, das mal ihr eigenes war. Dann ist Megan Hipwell plötzlich verschwunden, und Rachel kann sich nur noch an Bruchstücke der Nacht ihres Verschwindens erinnern. Sie entschließt sich, herauszufinden was mit Megan passiert ist und dabei zeigt sich immer wieder: Nichts ist wie es scheint. Der Film basiert auf dem Roman von Paula Hawkins, und das interessanteste an der Verfilmung ist Rachel. Die blasse, oft betrunkene und erschöpft aussehende Frau bildet einen starken Kontrast zu der weißen Lattenzaun-Gegend um den Ardsley-On-Hudson Bahnhof (mit Anbindung nach New York), in der sich große Teile der Handlung abspielen und zu den an der Oberfläche perfekten Frauen dort. Die Geschichte wird mit vielen eingeblendeten Retrospektiven erzählt, die dafür sorgen, dass sich alles erst langsam entfaltet, meist anders als vermutet, aber auch sehr schleppend. Rachels Entwicklung ist schmerzhaft und zäh. Dafür ist sie als Protagonistin insofern recht interessant, dass der Zuschauer nicht weiß, ob er ihrem Blick auf die Welt vertrauen kann – sie scheint ja selbst oft nicht zu wissen, was sie denken soll. Das funktioniert aber vor allem, weil Emily Blunt gute Arbeit in ihrer Darstellung der Rachel leistet in einem Tate-Taylor-Film, der bruchstückhaft wirkt, keinen nicht-düsteren Moment hat und der, als die große Enthüllung kommt, diese leider zu unspektakulär verkauft. Am Ende fühlt man sich fast so wirr wie Rachel. Dennoch erzeugt der Film, dessen blasse Farbgebung und auf Dramatik getrimmter Score eine beklemmende Stimmung schaffen, einen gewissen Sog, der macht, dass man sich die knappen zwei Stunden trotzdem fragt, was genau Rachel über die Nacht von Megans Verschwinden enthüllen wird.