DAS PARADIES HAT EINEN HAKEN
Disneys neuester Animations-Film ist ein Coming-Of-Age-Drama vor der wunderschönen Kulisse Hawaiis, mit magischen Geschöpfen, intelligentem Wasser, durch-choreographierten Musical-Einlagen und einem strohdummen Hahn, dessen Überleben an ein Wunder grenzt.
So wie sich einst einige Granden des deutschen Schlagers á la Dieter Thomas Heck („Baby von Hawaii“) oder Udo Jürgens („Immer denke ich an Hawaii zurück“) in das Südseeidyll träumten, um dort die Seele mal prächtig in die Hängematte schmettern zu können, so sehr lässt den miesepetrig, wetterumfinsterten Mitteleuropäer die Vorstellung von Sonne satt, blauem Nass und endlos grüner Pracht gen Hawaii schwelgen. Nur gut, dass uns, von Petrus Geplagte, Ron Clements und John Musker – zwei der angesagtesten und kreativsten zeitgenössischen Köpfe der Walt Disney Schmiede – endlich erlösen und mit einem Ticket auf die Trauminsel winken. Man muss nur zugreifen und taucht ein in…. …vergehende Inseltristesse. Aber was trübt das Paradies, wo sich Kokosnüsse und Fische gerade noch freudig begrüßten? Was ist aus dem einst so stolzen Völkchen geworden? Und was hat all dies mit einem wunderschönen und anmutigen Mädchen namens Vaiana zu tun?
Langfingrige Halbgötter
Als kleines Kind wird Vaiana Zeugin eines Wunders, als sich das Meer vor ihr auftut, eine Schneise bildet und ein besonderes Schmuckstück zum Vorschein kommt. So, als habe der Ozean gerade sie ausgesucht. Zunächst ist sie ob dieses Erlebnisses irritiert und weiß noch nichts von ihrem nahenden Abenteuer.
Wie sie erfahren wird, war ihr Volk einst mit riesigen und prunkvollen Booten auf dem Meer unterwegs, immer auf der Suche nach neuen Entdeckungen und Abenteuern. Doch eines Tages kommt das Gleichgewicht der Welt arg ins Wanken, als der wunderbar eingebildete Halbgott Maui (im Original Dwayne Johnson, im Deutschen Andreas Bourani) einen wertvollen Stein stiehlt, der das Herz einer Naturgöttin darstellt. Im Zweikampf mit einem Feuerdämon unterliegt der hawaiianische Hüne und wurde seither nicht mehr gesehen.
Eine Frau, ein Halbgott und ein Huhn…
Nach einem Gespräch mit ihrer Großmutter und der Entdeckung der versteckten, alten Flotte, wird Vaiana von dem Gedanken beseelt, den Halbgott Maui aufzusuchen, um seinen Fehler auszumerzen und die Vergänglichkeit des Paradieses aufzuhalten. Begleitet wird die junge Häuptlingstochter dabei von Heihei, einem leicht bis mittelschwer unterbemittelten Hahn. Ohne jemals die Kunst der Seefahrt erlernt zu haben, verlässt sich die junge Frau auf ihre Verbindung zu dem Meer und begibt sich waghalsig in ihr Abenteuer. Als sie dem großkotzigen Halbgott Maui tatsächlich begegnet, müssen sich die Drei zusammenraufen, um dessen magischen Fischerhaken zu suchen. Nur dieser kann ihnen helfen, gegen die ausufernde Dunkelheit und den Feuerdämon zu bestehen. Der Ausgang dieser Herzenssache ist ungewiss.
Eins vorweg: Was Walt Disney hier optisch raushaut, ist schlicht ein Gedicht für die Augen. Das brachial blaue Meer schwappt förmlich direkt aus dem Fernseher auf die Couch, um einen geradewegs in den Ozean ziehen zu wollen. Die Animation der Charaktere ist derart gut ausgetüftelt, dass man sich als Protagonist selber in die Geschichte versetzen möchte, um mit den sympathischen Gestalten interagieren zu können. Für manch einen wird die Farbgewalt der noch grünen Inseln wie ein Aufprall mit einem Dampfschlaghammer sein. Für Zuschauer, die des Wetters Grau überdrüssig sind, ist es gewissermaßen eine schillernde Farbtherapie zur Depressionsbekämpfung. Kurzum, die visuellen Möglichkeiten wurden bis ins letzte Fünkchen getuned und auf Hochglanz poliert. Der Ton ist technisch einwandfrei. Die Dynamik ist direkt an der Action orientiert, alles gut abgemischt und surroundiert gekonnt die starke Optik. Einzige Wermutstropfen sind die deutsche Synchronisation (u. a. Andreas Bourani), die obgleich gut umgesetzt, mehrere Wortspielereien und Witze des amerikanischen Originals nicht wiedergeben kann. So kommt der urkomische Dwayne Johnson, der im Original selber singt, als Halbgott Maui nicht ausgereift zur Geltung und einige Gags zünden nur bedingt. Außerdem stören die amerikanisierten Anreden wie „Mom“und „Dad“. Die Protagonisten sind dennoch sympathisch und lassen einen mitfiebern. Maui ist in seiner Selbstüberschätzung derart überzeichnet, dass er dennoch Sympathien zaubern kann oder gerade deswegen. Der einfältige Hahn Heihei wird bei vielen Kindern für ordentliche Lacher sorgen. Die kleinen „Kokosnusspiraten“sind auch putzig und nett für die Vermarktung konzipiert. Apropos Vermarktung. Wie für Disney nicht unüblich, wird der Streifen von vielen musikalischen Einspielungen getragen. Leider ist hierbei die deutsche Songliste nicht in Gänze gelungen. Manche Lieder klingen etwas zu bemüht und dadurch textlich tendenziell oberflächlich. Zudem sind alle Lieder Popstar-mäßig in Szene gesetzt, so als hätten Vaiana und ihre Leute bereits eine lange Gesangskarriere hinter sich und die Choreographie für eine Bühnenshow einstudiert. Aber dennoch wissen zwei, drei Stücke durchaus zu gefallen und werden geneigte Zuhörer ohrwurmend erreichen. Da Geschmäcker verschieden sind, wird es viele Fans der amerikanischen Originalsongs, aber gerade in hiesigen Kinderzimmern eine junge begeisterte Hörerschaft geben.
Das Dream-Team
Nach unter anderem „Arielle, die Meerjungfrau“, „Aladdin“, „Hercules“, „Der Schatzplanet“und „Küss den Frosch“arbeitete das Disney Erfolgsduo Ron Clements und John Musker gemeinsam an „Vaiana“und verschaffte dem Südseeabenteuer einen leidenschaftlichen Anstrich. Selbstredend ist die Geschichte um eine Gruppe, die auf Entdeckungsreise geht und eine junge Frau auf einem Selbstfindungstrip nicht neu. Dennoch gelingt es den beiden ein sympathisches und bildgewaltiges Werk zu zaubern, was einen aus dem Alltag reißt und neugierig auf Überfahrt mitnimmt. Es ist unterhaltsames Bonusmaterial enthalten, so zum Beispiel zwei Kurzfilme. „Herz oder Kopf – Inner Workings“und Maui in einem eigenen Kurzfilm „Angeln gehen“. Man erfährt in diversen Features, was man schon immer wissen wollte über „Das Erbe der Inseln“, „Inselmode“, „Animationskünste“oder „Die Musik von Vaiana“. Es gibt zusätzliche Szenen und Songs.