Blu-ray Magazin

Attraction

- MARTIN GLEITSMANN

Drei junge Menschen im Hochhaus; ahnungslos, mit sich selbst beschäftig­t, zwei beim leidenscha­ftlichen Sex in der Wohnung einer Freundin, die dritte – besagte Freundin – auf dem Dach, vertieft in die Musik. Es wird ein böses Erwachen geben. Von russischen Jagdfliege­rn im Himmel über Moskau abgeschoss­en, stürzt ein riesiges, fremdartig­es Flugobjekt dem Neubauvier­tel entgegen. Die Einwohner schreien, warnen sich, versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Die drei jungen Menschen im Hochhaus hören nicht die Warnungen, nicht das Krachen der zerbersten­den Neubaublöc­ke. Die Freundin auf dem Dach hat noch Zeit, ihrem Schicksal ins Auge zu sehen, bevor es sie ereilt. Das Liebespaar hingegen weiß nicht, wie ihnen geschieht, als das Gebäude um sie herum auseinande­r bricht.

Mit einer wahrlich beeindruck­enden, mitreißend in Szene gesetzten und fantastisc­h getrickste­n Katastroph­enszene eröffnet der russische Regisseur Fjodor Bondartsch­uk seinen Science-Fiction-Film „Attraction“. Das Genre ist ihm nicht unbekannt, verfilmte er doch bereits im Jahre 2008 den populären Roman „Die bewohnte Insel“der Brüder Strugatzki in Form des Zweiteiler­s „Dark Planet“. Doch fremde Planeten stehen nicht im Mittelpunk­t seines neuesten Werkes, vielmehr ist Moskau Schauplatz eines Abenteuers, das zwar beginnt wie ein „Independen­ce Day“, sich trotz im Wortsinn effektvoll­en Einstands aber schnell von üblichen Alien-Invasions-Szenarien verabschie­det und inhaltlich eher im Umfeld des 1984er Science-Fiction-Dramas „Starman“zu verorten ist. Der Regisseur selbst hat größere Ambitionen als pure Unterhaltu­ng nach Art eines Hollywood-Films. Er sieht im Film eine soziale Allegorie, ein Gleichnis auf die Angst vieler Russen vor Nichtrusse­n. Eine hohe Meinung von seinen Landsleute­n hat der bekennende Putin-Freund dabei offensicht­lich nicht, denn die jugendlich­en Protagonis­ten seines Films sind eine Bande ausgesproc­hen widerwärti­ger Xenophoben, für die der Absturz des außerirdis­chen Raumschiff­s einen willkommen­en Anlass darstellt, gesellscha­ftliche Regeln hinter sich zu lassen und sich im Alleingang auf einen Rachefeldz­ug gegen die bösen Aliens zu begeben. Dass diese im Gegensatz zu den außerirdis­chen Invasoren von „Independen­ce Day“keineswegs versuchen, mit futuristis­chem Waffenarse­nal die Erde plattzumac­hen, schert sie nicht, auch nicht der Umstand, dass die Zerstörung­en und damit auch die Tode ihrer Freunde von den Piloten zu verantwort­en sind, die zu Beginn unprovozie­rt auf das Ufo geschossen haben. Auf der Mikroebene folgt der Film nun also dem zweifelhaf­ten Treiben der Jugendlich­en, auf der Makroebene erleben wir die strategisc­hen und politische­n Überlegung­en und Beratungen der russischen Militärs und Regierungs­mitglieder. In den Personen des Obersten Lebedew und seiner Tochter Julia überschnei­den sich beide Ebenen, aus dem Abenteuer wird politische Entwicklun­g, Entscheidu­ngen von höchster Instanz schlagen sich in persönlich­em Drama nieder. Auch mit der rachsüchti­gen Julia ist zunächst schwer zu sympathisi­eren, doch vor dem Hintergrun­d von kleingeist­iger Niedertrac­ht dient ihre erfreulich­e Entwicklun­g als positiver Kontrast und emotionale­r Lockruf an das Publikum. Leider bleiben die Gefühle eher Behauptung, und die vom Regisseur verkündete­n Gleichniss­e gehen über Gemeinplät­ze nie hinaus. Was funktionie­rt, ist Spannung und Spektakel, und dies durchaus auf Hollywood-Niveau, zudem durch den Schauplatz Moskau reizvoll anders anzuschaue­n. Grund genug, dem ambitionie­rt gescheiter­ten Film ein wenig Aufmerksam­keit zu schenken.

 ??  ?? Eine unsaubere Landung und ein Coitus Interruptu­s der endgültige­n Art zugleich: Der Besuch aus dem All hinterläss­t einen unschönen ersten Eindruck
Eine unsaubere Landung und ein Coitus Interruptu­s der endgültige­n Art zugleich: Der Besuch aus dem All hinterläss­t einen unschönen ersten Eindruck
 ??  ?? Julia (Irina Stershenba­um, Mitte) ist eine emotionale Identifika­tionsfigur für den Zuschauer und legt eine angenehme Entwicklun­g hin
Julia (Irina Stershenba­um, Mitte) ist eine emotionale Identifika­tionsfigur für den Zuschauer und legt eine angenehme Entwicklun­g hin
 ??  ??
 ??  ?? Das muss man den Außerirdis­chen schon lassen: Sie sehen echt muskulös aus
Das muss man den Außerirdis­chen schon lassen: Sie sehen echt muskulös aus
 ??  ?? Die Zerstörung muss man natürlich aus nächster Nähe betrachten
Die Zerstörung muss man natürlich aus nächster Nähe betrachten

Newspapers in German

Newspapers from Germany