National Treasure
als es beim Frühstück an seiner Tür klingelt. Es ist die Polizei, und der Vorwurf, dass er vor Jahren eine Frau vergewaltigt haben soll, steht im Raum. Die Situation mutet schon etwas seltsam an: Er wird zum Verhör gebracht, während die Ermittlerin ihm sagt, dass sie ein großer Fan von ihm ist. Zuhause wartet seine Frau Marie (Julie Walters), die irgendwie erschüttert ist, irgendwie aber auch nicht und in ihrer Ehe schon oft einfach weggesehen hat. Sein Freund und Kollege Karl Jenkins (Tim McInnerny) hält zwar zu ihm, aber auch das Verhältnis zu seiner suchtkranken Tochter Dee (Andrea Riseborough), die nun Aspekte ihrer Kindheit in Frage stellt, ist milde gesagt sehr angestrengt.
Es ist schon ziemlich interessant: Man kann zunächst nicht ganz absehen ob er es getan hat oder nicht. Was man aber recht schnell merkt, ist, dass er eine ziemlich sexistische Sicht auf den weiblichen Körper hat. Seine Frau war für ihn schön als sie jünger war, als würden Frauen durch das Altern automatisch ihre Schönheit verlieren. Er hat klare Vorstellungen, wie der Körper einer Frau aussehen sollte. Und anscheinend hat er nicht viel anbrennen lassen, während seine religiöse Frau versucht hat, ein Auge zuzudrücken. Aber ein Sexist ist nicht gleich automatisch ein Vergewaltiger, also bleibt man am Ball. Was ebenfalls schon in der ersten der vier Folgen klar wird: Das wird ein ziemliches Medienspektakel. Innerhalb kürzester Zeit sind die Zeitungen voll mit weiteren Frauen, die Finchley beschuldigen.
Schuldfrage oder Charakterstudie?
„National Treasure“funktioniert auf mehreren Ebenen und ist dabei durch die Fälle Bill Cosby und Harvey Weinstein brandaktuell. Nach einem starken, unbequemen Anfang, der vor allem kriminelle Ermittlungen in einem interessanten Szenario verspricht, deckt die Mini-Serie in zwei der vier Episoden vornehmlich die Dynamik auf, in der die jeweiligen Figuren zu einander stehen. Während Marie sich entschließt, wie immer ihrem Mann zur Seite zu stehen, merkt man dennoch, dass sie Zweifel hegt. Für die Tochter Dee ist dies einerseits ein weiteres Problem auf ihrer ohnehin schon ziemlich langen Liste von Problemen, andererseits beschäftigt es sie doch. So verliert sich der Krimifaktor stellenweise im Drama, das hochinteressant, aber irgendwie auch emotional unterkühlt dargestellt wird. Das ist natürlich Geschmackssache, denn kombiniert mit der kühlen Farbgebung und der Musik, die diese Stimmung unterstreicht, wähnt man sich immer bewusst in der Beobachterrolle. So hat das Ganze etwas von einer eindrucksvollen Sozialstudie, wie sich lange gelebte, schädliche Muster in einer solchen Situation aufrollen können und wie man Verhaltensweisen verursacht oder ermöglicht. Die Schuldfrage rückt dabei lange in den Hintergrund. Die schauspielerischen Leistungen sind tadellos, man kauft jedem der Darsteller seinen Charakter wirklich ab. Besonders das Ehepaar Finchley ist diesbezüglich überzeugend. Das Bild sieht mit den kühlen Farben und dem hochgedrehten Kontrast leicht surreal, aber gut aus. Störend hingegen ist die geringe Tiefenschärfe, wenn die Kamera auf ein Gesicht vorn im Bild fokussiert, verschwimmen die anderen Gesichter und Gegenstände im Bild fast völlig. Auch dies unterstützt zwar den Entfremdungseffekt der anderen stilistischen Mittel, aber die Schärfe leidet. „National Treasure“ist eine gelungene Serie, deren Faszination sich allerdings vor allem auf einem intellektuellen Level abspielt. Emotional bleibt man eher in der Beobachterrolle.