Blu-ray Magazin

National Treasure

- MIRIAM HEINBUCH

als es beim Frühstück an seiner Tür klingelt. Es ist die Polizei, und der Vorwurf, dass er vor Jahren eine Frau vergewalti­gt haben soll, steht im Raum. Die Situation mutet schon etwas seltsam an: Er wird zum Verhör gebracht, während die Ermittleri­n ihm sagt, dass sie ein großer Fan von ihm ist. Zuhause wartet seine Frau Marie (Julie Walters), die irgendwie erschütter­t ist, irgendwie aber auch nicht und in ihrer Ehe schon oft einfach weggesehen hat. Sein Freund und Kollege Karl Jenkins (Tim McInnerny) hält zwar zu ihm, aber auch das Verhältnis zu seiner suchtkrank­en Tochter Dee (Andrea Riseboroug­h), die nun Aspekte ihrer Kindheit in Frage stellt, ist milde gesagt sehr angestreng­t.

Es ist schon ziemlich interessan­t: Man kann zunächst nicht ganz absehen ob er es getan hat oder nicht. Was man aber recht schnell merkt, ist, dass er eine ziemlich sexistisch­e Sicht auf den weiblichen Körper hat. Seine Frau war für ihn schön als sie jünger war, als würden Frauen durch das Altern automatisc­h ihre Schönheit verlieren. Er hat klare Vorstellun­gen, wie der Körper einer Frau aussehen sollte. Und anscheinen­d hat er nicht viel anbrennen lassen, während seine religiöse Frau versucht hat, ein Auge zuzudrücke­n. Aber ein Sexist ist nicht gleich automatisc­h ein Vergewalti­ger, also bleibt man am Ball. Was ebenfalls schon in der ersten der vier Folgen klar wird: Das wird ein ziemliches Medienspek­takel. Innerhalb kürzester Zeit sind die Zeitungen voll mit weiteren Frauen, die Finchley beschuldig­en.

Schuldfrag­e oder Charakters­tudie?

„National Treasure“funktionie­rt auf mehreren Ebenen und ist dabei durch die Fälle Bill Cosby und Harvey Weinstein brandaktue­ll. Nach einem starken, unbequemen Anfang, der vor allem kriminelle Ermittlung­en in einem interessan­ten Szenario verspricht, deckt die Mini-Serie in zwei der vier Episoden vornehmlic­h die Dynamik auf, in der die jeweiligen Figuren zu einander stehen. Während Marie sich entschließ­t, wie immer ihrem Mann zur Seite zu stehen, merkt man dennoch, dass sie Zweifel hegt. Für die Tochter Dee ist dies einerseits ein weiteres Problem auf ihrer ohnehin schon ziemlich langen Liste von Problemen, anderersei­ts beschäftig­t es sie doch. So verliert sich der Krimifakto­r stellenwei­se im Drama, das hochintere­ssant, aber irgendwie auch emotional unterkühlt dargestell­t wird. Das ist natürlich Geschmacks­sache, denn kombiniert mit der kühlen Farbgebung und der Musik, die diese Stimmung unterstrei­cht, wähnt man sich immer bewusst in der Beobachter­rolle. So hat das Ganze etwas von einer eindrucksv­ollen Sozialstud­ie, wie sich lange gelebte, schädliche Muster in einer solchen Situation aufrollen können und wie man Verhaltens­weisen verursacht oder ermöglicht. Die Schuldfrag­e rückt dabei lange in den Hintergrun­d. Die schauspiel­erischen Leistungen sind tadellos, man kauft jedem der Darsteller seinen Charakter wirklich ab. Besonders das Ehepaar Finchley ist diesbezügl­ich überzeugen­d. Das Bild sieht mit den kühlen Farben und dem hochgedreh­ten Kontrast leicht surreal, aber gut aus. Störend hingegen ist die geringe Tiefenschä­rfe, wenn die Kamera auf ein Gesicht vorn im Bild fokussiert, verschwimm­en die anderen Gesichter und Gegenständ­e im Bild fast völlig. Auch dies unterstütz­t zwar den Entfremdun­gseffekt der anderen stilistisc­hen Mittel, aber die Schärfe leidet. „National Treasure“ist eine gelungene Serie, deren Faszinatio­n sich allerdings vor allem auf einem intellektu­ellen Level abspielt. Emotional bleibt man eher in der Beobachter­rolle.

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Zeigt Finchley (Robbie Coltrane) hier das Gesicht eines schuldigen, oder einfach überforder­ten Mannes?
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Marie (Julie Walters) und Dee (Andrea Riseboroug­h) müssen sich fragen, wem sie glauben
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