Colossal
Die meisten von uns kennen das, man trinkt etwas zu viel, tut ein paar Dinge, die man bereut und am nächsten Tag kommt dann das böse Erwachen. Für Gloria (Anne Hathaway) ist das Alltag. Sie sucht seit einem Jahr mehr oder weniger aktiv einen Job und geht ansonsten ihrem Freund Tim (Dan Stevens) als Partygirl auf den Keks – nur dass er sich das nicht mehr bieten lässt und ihr fertig gepackte Koffer mit ihren Habseligkeiten präsentiert. Also verlässt sie New York, geht zurück nach in New Jersey, in die Kleinstadt, in der sie aufgewachsen ist, und bezieht das verlassene Haus, das ihre Eltern dort noch haben. Kaum angekommen trifft sie beim Einkauf ihres ersten Möbelstücks (eine Luftmatratze) auf ihren alten Schulfreund Oscar (Jason Sudeikis). Ihm gehört eine lokale Bar und er gibt den Retter in der Not. Oscar bringt Gloria einen Fernseher und gibt ihr einen Job als Kellnerin. Dazu verschafft er ihr noch ein soziales Umfeld in Form seiner Freunde, Garth (Tim Blake Nelson) und dem schnieken Joel (Austin Stowell). Aber nicht alles ist Friede, Freude, Eierkuchen. Denn in Seoul taucht aus dem Nichts ein riesiges Ungeheuer auf, das für allgemeine Verwüstung und Verwirrung gleichermaßen sorgt. Gloria stellt fest, dass es auf ihre Bewegungen reagiert – sie erkennt es an ihrem Markenzeichen, dem Kopfkratzen, das auch die Verpackung der Bluray ziert. Und was als witziger Film über eine Frau beginnt, die ihr Leben in den Griff kriegen muss, nimmt plötzlich einige düstere und unerwartete Wendungen.
Mal was Neues
Es ist interessant, wie Regisseur und Drehbuchautor Nacho Vigalando es geschafft hat, einen Film zu machen, bei dem man stilistisch teilweise nicht sicher ist, wo er hin will, und der plötzlich mehrere große Themen aufgreift statt eines Hauptthemas, aber bei dem das gar nicht stört. Es verwirrt, sicherlich. Aber „Colossal“macht tatsächlich vieles anders, hält ein paar Überraschungen bereit und gewinnt dadurch als wilder Genremix an Wirkung. Er ist nämlich nicht nur ein Film über das Erwachsenwerden und wieder mit dem eigenen, aus dem Ruder gelaufenen Leben klarzukommen. „Colossal“ist auch eine wunderbare Erzählung über das verletzte männliche Ego und die Grenzen, die es in diesem Fall nicht zu kennen scheint. Als Oscar merkt, dass Gloria tut was sie will, wird der Film auch zum Psychothriller, denn leider kennt er ihr kleines, oder genauer gesagt ihr kolossales Geheimnis. Was für ihn ein böses Spiel um die Macht über eine Frau ist, bedeutet für Gloria das Verschulden einiger Toter. Sie muss also nicht nur die Kontrolle über ihr Leben und das Monster erlangen, sondern sich auch von den Machtgriffen und Erwartungen sämtlicher Männer in ihrem Leben befreien. Und dafür, so zeigt sich, ist Anne Hathaway als Gloria genau richtig besetzt. Dass Hathaway, die einst Hollywoods beliebtestes Hassobjekt war, zur Selbstironie fähig ist, bewies sie bereits als sie sich auf einem Piano bei Talkshow-Host Jimmy Fallon räkelte und „Bitch Don’t Kill My Vibe“schmetterte. In „Colossal“beweist sie komödiantisches Talent und die Fähigkeit, die tragische, aber liebenswerte Heldin zu geben. Visuell ist übrigens auch der farbliche Kontrast interessant, der den Sci-Fi-Teil der Geschichte von Glorias Alltag trennt. Das Monster und Seoul sind dunkel, aber die Stadt sehr farbintensiv, während in Glorias New Jersey alles blass und herbstlich erscheint. Unterm Strich kann man feststellen, dass erstens die Hülle der Blu-ray fälschlicherweise Hoffnungen auf eine reine Komödie weckt, zweitens die Story leicht hanebüchen ist und drittens „Colossal“ein absolutes Nischenprodukt ist. Aber eben auch viertens: Dass all das völlig egal ist, denn der Film funktioniert als etwas wirklich Ungewöhnliches, wenn man sich darauf einlässt.