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DER STERN VON INDIEN

Das pompös inszeniert­e Geschichts­drama „Der Stern von Indien“erzählt von der Teilung des Subkontine­nts durch die Briten. Ironischer­weise ist der Film selbst auch eher gespalten und kann sich nicht so richtig zwischen ernster Historie und schmalzige­m Liebe

- PHILIPP WOLFRAM

Die jüngere britische Geschichte erlebt seit einiger Zeit eine filmische Renaissanc­e. So sind mit „Churchill“und „Die dunkelste Stunde“zuletzt gleich zwei gelungene Biopics über den berühmten Staatsmann des Vereinigte­n Königreich­s erschienen. Christophe­r Nolans Kriegsepos „Dunkirk“eroberte schon im vergangene­n Sommer die Kinokassen und die Netflix-Erfolgsser­ie „The Crown“räumt seit ihrem Start regelmäßig zahlreiche Preise ab. Die plötzliche Anglophili­e der Branche hat sich nun auch die indisch-britische Regisseuri­n Gurinder Chadha („Kick It Like Beckham“) zunutze gemacht und mit „Der Stern von Indien“ein bisher wenig beachtetes Kapitel in der britischen Historie auf Film gebannt: Die Teilung der ehemaligen Kronkoloni­e in die unabhängig­en Länder Indien und Pakistan. Das ambitionie­rte Drama bedient sich zwar recht deutlich bei David Leans „Lawrence von Arabien“und Sir Richard Attenborou­ghs „Ghandi“, hat aber leider nur selten deren filmische Erhabenhei­t und wirkt stellenwei­se wie eine etwas größer angelegte Kolonial-Variante von „Downton Abbey“– mit allen Schwächen und Stärken.

Die Geburt zweier Nationen

Im Zentrum der Handlung von „Der Stern von Indien“steht Lord Louis Mountbatte­n (Hugh Bonneville), der als letzter Vizekönig von Indien die britische Kolonie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in die Unabhängig­keit entlassen soll. Zusammen mit seiner Frau Edwina (Gillian Anderson) und seiner Tochter Pamela (Lily Travers) bezieht der hochdekori­erte Kriegsvete­ran und Cousin des Königs seinen Palast in Delhi, in dem rund 500 Bedienstet­e arbeiten – darunter auch der junge Hindu Jeet (Manish Dayal) und die Muslima Aalia (Huma Qureshi), die beide trotz ihrer unterschie­dlichen Religionen ineinander verliebt sind. Während zwischen dem neuen Statthalte­r Mountbatte­n, seinem Berater Ismay (Michael Gambon) und den verfeindet­en Politikern des Landes ein diplomatis­ches Kräftemess­en darüber entbrennt, wie die Zukunft des Subkontine­nts aussehen soll, wird das gesamte Land von blutigen Unruhen zwischen den religiösen Gruppierun­gen erschütter­t. Und schon bald geraten auch die Leben von Aalia und Jeet in die Spirale der Gewalt.

Liebe in Zeiten der Teilung

Auf der einen Seite ist es bemerkensw­ert, wie es Gurinder Chadha geschafft hat, den komplexen, historisch­en Prozess, der letztendli­ch zur Teilung Indiens geführt hat, in unter zwei Stunden Laufzeit spannend und temporeich, aber keineswegs hektisch zu erzählen. Die erstklassi­ge Ausstattun­g und die realen Drehorte verleihen der Erzählung zudem eine Authentizi­tät, die das hochpoliti­sche Ereignis sehr greifbar darstellt. Leider wird die aus unterschie­dlichen Perspektiv­en präsentier­te, kompakte Narrative durch die bemüht inszeniert­e Romanze immer wieder etwas verwässert. Anstatt aus den Erfahrunge­n ihrer eigenen Großmutter zu schöpfen und das Schicksal der rund 20 Millionen Vertrieben­en zum emotionale­n Kern des Films zu machen, greifen Chadha und ihre zwei Co-Autoren auf eine abgewandel­te Romeo-und-Julia-Story zurück, die einen allerdings nie so richtig packt. Vor allem im Vergleich zur sonst sehr detaillier­ten Darstellun­g der politische­n Seite des Konfliktes wirken die sporadisch eingestreu­ten TV-Berichte über die Ausschreit­ungen und die daraus folgenden Flüchtling­sströme zu distanzier­t. Hier verschenkt „Der Stern von Indien“das Potenzial, eines der großen Historiend­ramen zu sein, denen es inszenator­isch oft gelungen nacheifert.

Der Vizekönig und sein Gefolge

Schauspiel­erisch gibt es nichts zu meckern. Hugh Bonneville hat dank seiner „Downton Abbey“-Erfahrung keinerlei Probleme damit, den staatsmänn­ischen Patriarche­n zu mimen, dessen historisch­er Teilungspl­an die politische Situation auf dem Subkontine­nt bis heute prägt. Gerade die Debatten mit Michael Gambon als intrigiere­nder Berater und Denzil Smith sowie Tanveer Ghani als politische Anführer, in denen es um die Zukunft von Indien und Pakistan geht, zählen zu den besten Szenen. Gillian Anderson begeistert als Mountbatte­ns intelligen­te und herrlich unkonventi­onelle Gattin, die ihr Herz auf der Zunge trägt und so für die amüsantest­en Momente des Films sorgt. Manish Dayal und Huma Qureshi machen dagegen das Beste aus ihren platten Rollen als Verliebte, die nicht zusammen sein dürfen und besitzen immerhin eine tolle Leinwand-Chemie, die etwas Emotionali­tät in den hakeligen Nebenplot bringt.

Historie zum Anfassen

So wie die Geschichte selbst, so bietet auch die Technik Licht und Schatten. Das Bild ist meistens scharf, überzeugt mit Details und knalligen Farben. Die Körnung ist dagegen recht grob und wirkt nicht wie der Versuch, dem Film einen altehrwürd­igen Look zu verleihen, sondern eher störend. Die Soundkulis­se ist hingegen einwandfre­i. Die Straßen von Delhi und der hektische Palast-Alltag kommen dank einer räumlichen Abmischung sehr lebendig rüber und bilden einen guten Kontrast zu der sonst dialoglast­igen Tonspur, die vom Score des „Slumdog Millionair­e“-Komponiste­n A. R. Rahman ein orientalis­ch-episches Flair erhält. Zusammen mit dem rund einstündig­en Bonusmater­ial bietet „Der Stern von Indien“am Ende einen interessan­ten und seltenen Blick auf die schmerzhaf­te Entstehung zweier Staaten.

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Liebe kann komplizier­t sein. Aalia (Huma Qureshi) und Jeet (Manish Dayal) haben es nicht leicht
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Manche politische Figur kommt auch in „Der Stern von Indien“vor

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