DER STERN VON INDIEN
Das pompös inszenierte Geschichtsdrama „Der Stern von Indien“erzählt von der Teilung des Subkontinents durch die Briten. Ironischerweise ist der Film selbst auch eher gespalten und kann sich nicht so richtig zwischen ernster Historie und schmalzigem Liebe
Die jüngere britische Geschichte erlebt seit einiger Zeit eine filmische Renaissance. So sind mit „Churchill“und „Die dunkelste Stunde“zuletzt gleich zwei gelungene Biopics über den berühmten Staatsmann des Vereinigten Königreichs erschienen. Christopher Nolans Kriegsepos „Dunkirk“eroberte schon im vergangenen Sommer die Kinokassen und die Netflix-Erfolgsserie „The Crown“räumt seit ihrem Start regelmäßig zahlreiche Preise ab. Die plötzliche Anglophilie der Branche hat sich nun auch die indisch-britische Regisseurin Gurinder Chadha („Kick It Like Beckham“) zunutze gemacht und mit „Der Stern von Indien“ein bisher wenig beachtetes Kapitel in der britischen Historie auf Film gebannt: Die Teilung der ehemaligen Kronkolonie in die unabhängigen Länder Indien und Pakistan. Das ambitionierte Drama bedient sich zwar recht deutlich bei David Leans „Lawrence von Arabien“und Sir Richard Attenboroughs „Ghandi“, hat aber leider nur selten deren filmische Erhabenheit und wirkt stellenweise wie eine etwas größer angelegte Kolonial-Variante von „Downton Abbey“– mit allen Schwächen und Stärken.
Die Geburt zweier Nationen
Im Zentrum der Handlung von „Der Stern von Indien“steht Lord Louis Mountbatten (Hugh Bonneville), der als letzter Vizekönig von Indien die britische Kolonie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in die Unabhängigkeit entlassen soll. Zusammen mit seiner Frau Edwina (Gillian Anderson) und seiner Tochter Pamela (Lily Travers) bezieht der hochdekorierte Kriegsveteran und Cousin des Königs seinen Palast in Delhi, in dem rund 500 Bedienstete arbeiten – darunter auch der junge Hindu Jeet (Manish Dayal) und die Muslima Aalia (Huma Qureshi), die beide trotz ihrer unterschiedlichen Religionen ineinander verliebt sind. Während zwischen dem neuen Statthalter Mountbatten, seinem Berater Ismay (Michael Gambon) und den verfeindeten Politikern des Landes ein diplomatisches Kräftemessen darüber entbrennt, wie die Zukunft des Subkontinents aussehen soll, wird das gesamte Land von blutigen Unruhen zwischen den religiösen Gruppierungen erschüttert. Und schon bald geraten auch die Leben von Aalia und Jeet in die Spirale der Gewalt.
Liebe in Zeiten der Teilung
Auf der einen Seite ist es bemerkenswert, wie es Gurinder Chadha geschafft hat, den komplexen, historischen Prozess, der letztendlich zur Teilung Indiens geführt hat, in unter zwei Stunden Laufzeit spannend und temporeich, aber keineswegs hektisch zu erzählen. Die erstklassige Ausstattung und die realen Drehorte verleihen der Erzählung zudem eine Authentizität, die das hochpolitische Ereignis sehr greifbar darstellt. Leider wird die aus unterschiedlichen Perspektiven präsentierte, kompakte Narrative durch die bemüht inszenierte Romanze immer wieder etwas verwässert. Anstatt aus den Erfahrungen ihrer eigenen Großmutter zu schöpfen und das Schicksal der rund 20 Millionen Vertriebenen zum emotionalen Kern des Films zu machen, greifen Chadha und ihre zwei Co-Autoren auf eine abgewandelte Romeo-und-Julia-Story zurück, die einen allerdings nie so richtig packt. Vor allem im Vergleich zur sonst sehr detaillierten Darstellung der politischen Seite des Konfliktes wirken die sporadisch eingestreuten TV-Berichte über die Ausschreitungen und die daraus folgenden Flüchtlingsströme zu distanziert. Hier verschenkt „Der Stern von Indien“das Potenzial, eines der großen Historiendramen zu sein, denen es inszenatorisch oft gelungen nacheifert.
Der Vizekönig und sein Gefolge
Schauspielerisch gibt es nichts zu meckern. Hugh Bonneville hat dank seiner „Downton Abbey“-Erfahrung keinerlei Probleme damit, den staatsmännischen Patriarchen zu mimen, dessen historischer Teilungsplan die politische Situation auf dem Subkontinent bis heute prägt. Gerade die Debatten mit Michael Gambon als intrigierender Berater und Denzil Smith sowie Tanveer Ghani als politische Anführer, in denen es um die Zukunft von Indien und Pakistan geht, zählen zu den besten Szenen. Gillian Anderson begeistert als Mountbattens intelligente und herrlich unkonventionelle Gattin, die ihr Herz auf der Zunge trägt und so für die amüsantesten Momente des Films sorgt. Manish Dayal und Huma Qureshi machen dagegen das Beste aus ihren platten Rollen als Verliebte, die nicht zusammen sein dürfen und besitzen immerhin eine tolle Leinwand-Chemie, die etwas Emotionalität in den hakeligen Nebenplot bringt.
Historie zum Anfassen
So wie die Geschichte selbst, so bietet auch die Technik Licht und Schatten. Das Bild ist meistens scharf, überzeugt mit Details und knalligen Farben. Die Körnung ist dagegen recht grob und wirkt nicht wie der Versuch, dem Film einen altehrwürdigen Look zu verleihen, sondern eher störend. Die Soundkulisse ist hingegen einwandfrei. Die Straßen von Delhi und der hektische Palast-Alltag kommen dank einer räumlichen Abmischung sehr lebendig rüber und bilden einen guten Kontrast zu der sonst dialoglastigen Tonspur, die vom Score des „Slumdog Millionaire“-Komponisten A. R. Rahman ein orientalisch-episches Flair erhält. Zusammen mit dem rund einstündigen Bonusmaterial bietet „Der Stern von Indien“am Ende einen interessanten und seltenen Blick auf die schmerzhafte Entstehung zweier Staaten.