36 | Mord Im Orient Express (2017)
Krimi
Kenneth Branagh hat den größten – also Schnurrbart natürlich. In seiner Rolle als Hercule Poirot schmückt er sich mit einer prunkvollen Gesichtsbehaarung, die ein Walross vor Neid erstarren lassen könnte. Stolz und buschig ist er. Aber das ist nicht das Einzige, das Branaghs Poirot auszeichnet, oh nein. Dieser ist ein Mann äußerster Konsequenz. Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer mit einem Fuß versehentlich in den Kot tritt, muss auch den anderen Schuh fäkal beschmutzen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Poirot mag es, wenn die Dinge rechtens zugehen, betrachtet die Welt so wie er findet, dass sie sein soll. In ihm kommt alles zusammen: Gerechtigkeitssinn, ein Auge für das Detail und der Wille, für die eigenen Überzeugungen notfalls durch, pardon, Scheiße zu gehen. Die Geschichte von „Mord im Orient Express“ist nicht neu und wurde schon mehrfach verfilmt. Basierend auf dem Roman von Agatha Christie befindet sich Poirot, der übrigens Belgier ist und nicht Franzose, im Jahr 1935 zufällig in besagtem Zug, als dort ein Mord geschieht. Der Mörder des reichen Ekels Edward Ratchett (Johnny Depp) befindet sich noch an Bord und es liegt an Poirot, ihn zu finden. Verdächtig wird dabei jede der recht speziellen Gestalten. So weit, so bekannt. Was ist an der Neuauflage anders?
Branagh denkt groß
Betrachten wir zuerst, wo der Film zu überzeugen vermag. Ausladend opulent ist nämlich nicht nur Kenneth Branaghs Schnauzer, sondern auch die Bahn. Diese sieht so edel aus, dass man als Zuschauer fast Angst bekommt, beim angucken etwas schmutzig zu machen. Bunter, schärfer und schlichtweg wunderschön sieht er aus, der neue „Mord im Orient Express“. Das Bild wurde plastisch auf 65mm Film gebannt, auf 70mm-Material archiviert und in 4K digital gemastered. Das alles wird abgerundet von einer Riege an Darstellern die so nobel wirkt, wie der Zug selbst. Die Prinzessin Dragimiroff wird von der Grand Dame Judi Dench gespielt, Michelle Pfeiffer ist in die Rolle der Caroline Hubbard geschlüpft und Daisy Ridley mag hier zwar nicht die Macht der Jedi-Ritter haben, aber zeigt als Mary Debenham viel Ausstrahlung. Penelope Cruz macht einen Auftritt als Missionarin und Willem Dafoe kommt schön unsympathisch rüber als Gerhard Hardman. Klingt nach einer spektakulären Verfilmung, bei der Kenneth Branagh hier selbst als Regisseur auftritt. Wobei natürlich der Sidney-Lumet-Film aus dem Jahre 1974 ebenfalls hochkarätig besetzt war, mit Sean Connery, Lauren Bacall, Ingrid Bergmann und Vanessa Redgrave sowie natürlich Albert Finney als Poirot. Aber während man damals trotz des Filmtitels noch irgendwie die Illusion hatte, mit Poirot unwissend den Orient Express zu betreten, weiß man hier von Anfang an, dass etwas passieren wird. Nicht nur, weil die Geschichte bekannt ist, sondern weil man einige Charaktere schon vorher dabei beobachtet, wie sie schicksalhafte Blicke in die Ferne werfen oder sich anderweitig auf Misstrauen erweckende Art benehmen. Dazu wirkt alles überzeichnet und vollgestopft mit zusätzlichen Komponenten. Ein interessanter Zusatz ist, dass Doctor Arbuthnot vom Afro-Amerikaner Leslie Odom Jr. gespielt wird, so dass auch Rassismus in der Handlung thematisiert wird. Letztendlich ist mit Poirots Schnauzer auch sein Ego und seine Bereitschaft zur Action gewachsen, so dass seine schrullige Selbstverherrlichung manchmal zu viel wird. Auch die anderen Charaktere wirken etwas karikaturhaft, wenn auch gut gespielt. Man hat also die Wahl: Entweder man greift zu einer früheren Verfilmung oder man lässt sich auf Branaghs bildgewaltigen Hang zur Übertreibung ein. Dann macht das Ganze auch ganz gut Spaß. Das Bonusmaterial fällt übrigens ähnlich opulent aus wie der Film, mit Featurettes über Agatha Christie, Making-ofs und gelöschten Szenen.