Suburbicon
Willkommen in der Nachbarschaft
Suchen auch Sie noch nach dem perfekten Heim für sich und Ihre Familie? Ein Ort zum Wohlfühlen, wo man auf der Veranda mit den Nachbarn einen Kaffee genießen kann, während Ihr Lebenspartner ein paar Leichen im Garten vergräbt? „Suburbicon“hat, was Sie suchen!
George Clooneys neustes Projekt ist in vielerlei Hinsicht unglaublich. Unglaublich verwirrend, unglaublich genial, unglaublich absurd… Man könnte die Liste weiterführen, es wäre für jeden der richtige Ausdruck dabei. Aber warum ist das so? Ein erster Hinweis könnte ein Blick auf das Drehbuch sein, das von den nicht unwesentlich einflussreichen Brüdern Ethan und Joel Coen („Fargo“, „No Country For Old Men“, „True Grit“) stammt. Wem diese Namen nichts sagen – hier eine kurze Hilfe zur Orientierung: Filme, bei denen die Coen-Brüder an der Entstehung beteiligt sind, sind ein bisschen wie Erdnussbutter. Wenn man sie zum ersten Mal probiert, findet man sie irgendwie merkwürdig, aber nach dem zweiten und dritten Mal ist man plötzlich süchtig.
Der alltägliche Wahnsinn…
1959: In der amerikanischen Stadt „Suburbicon“scheint das Leben in Ordnung zu sein. Die Nachbarschaft ist freundlich, Kinder spielen in den Gärten und wenn man gerade eine Pause vom Blumenpflanzen braucht, hält man einen netten Plausch mit dem Postboten. Der jähe Frieden wird gestört, als mit den Mayers eine afroamerikanische Familie in die Mitte der von Weißen besiedelten Stadt zieht. Als wären sie ein Fremdkörper, schotten sich die Menschen von ihnen ab, errichten Zäune und tun alles, um den Abstand zu wahren. Zeitgleich ereignet sich hinter den Wänden der Familie Lodge eine Tragödie. Während Gardener (Matt Damon) und Margaret (Julianne Moore) sich bemühen, die Fassade der heilen Familie aufrechtzuerhalten und zum Normalzustand zurückzukehren, wächst bei Gardeners Sohn Nicky (Noah Jupe) das Misstrauen. Etwas scheint nicht zu stimmen…
Entgegen dem Verlangen, überall seinen Senf dazuzugeben, muss man bei „Suburbicon“zunächst einmal aufpassen, dass man mit versehentlichen Spoilern nicht das ein oder andere Kartenhäuschen einreisst. Undurchsichtig und unvorhersehbar baut sich die aufwendig konstruierte Handlung auf und lässt nur wenig Antworten auf die überschäumenden Fragen zu.
Stur lächeln und winken
Denn obwohl die Spannung mit dieser Methode gut gehalten werden kann, löst sich die erwartungsvolle Ruhe schon nach wenigen Minuten in Skepsis auf. Gleich zu Beginn springt einem die krankhafte Maskerade ins Auge, mit der die Stadtbewohner durch die Straßen spazieren. Sie wirken unecht, aufgesetzt und lassen mit ihrem steifen Pennywise-Grinsen die Alarmleuchte in unserem Kopf dunkelrot blinken. Und eben weil man von Anfang an etwas ahnt und keinem der Charaktere über den Weg traut, wird es zu einer Herausforderung, dem Drama eine Chance zu geben. Was von Regisseur George
Clooney zweifellos beabsichtigt ist, macht es dem Zuschauer schwer, sich auf die Geschichte einzulassen. Misstrauisch beobachtet man das Treiben und denkt sich: Von dem kleinen Jungen würde ich keine Kekse kaufen. Gewohnt gut sind Matt Damon und Julianne Moore in ihren Soziopathen-Rollen, auch wenn sie diese Rollen in letzter Zeit fast ein wenig inflationär verkörpern. Die Geisteskrankheit steht ihnen einfach verdammt gut! Noah Jupe macht ebenfalls einen guten Job. Als Sohn Nicky scheint er in der Stadt der einzig verbliebene Mensch mit Vernunft zu sein. Und wie alarmierend ist es, wenn dieser Mensch ein Kind ist?
Abseits vom Hollywood-Mainstream
Neben der dominierenden Tragik um Familie Lodge, spielt auch das Leben der Mayers im Haus gegenüber eine Rolle. Als einzige Bürger, die wirklich menschlich erscheinen, werden sie von den selbsternannten „guten Menschen“der weißen Bevölkerung zuerst verachtet, dann ausgegrenzt und schließlich sogar angegriffen. Dieser Handlungsstrang wurde von George Clooney selbst zum Drehbuch hinzugefügt, womit er eine Parallele zwischen der Rassendiskriminierung in den 1950er Jahren und der aktuellen Situation in den USA ziehen wollte. Dieser Aspekt der Geschichte verbindet sich allerdings wenig mit dem Schwerpunkt der Familie Lodge. Auch wenn er dabei hilft, die Stadtbewohner als wütenden Mob näher zu charakterisieren, fügt er sich recht sperrig in die Handlung ein. Das Szenenbild von „Suburbicon“wirkt wie eine plastische Theaterkulisse im Puppenhaus-Stil, mit Puppen, denen man früher den Kopf abgerissen hat. Farbenfrohe Nuancen und Pastelltöne bestimmen anfangs das Bild, das sich gen Ende jedoch schnell ins Düstere ändert. Für eine optimale Betonung des Handlungsverlaufs steht auch die unschuldig vor sich hin dudelnde Musik. Sorglos und idyllisch begleitet sie die Figuren. Vor dem Aspekt der hochgradigen Verrücktheit in Suburbicon verfehlt die Melodie ihre Wirkung nicht. „Suburbicon“trifft definitiv nicht jeden Geschmack. Zusammenhänge erschließen sich nur langsam und je mehr man versucht, die Charakterprofile nachzuvollziehen, desto verwirrter ist man. Dazu kommt, dass die Brutalität und Kaltblütigkeit mit einem komödiantischen Touch versetzt wird, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Wenn man sich dazu entschließt, den Film zu sehen, dann lässt sich dies nicht nebenbei bewältigen und erfordert volle Konzentration. Aber auch hier gilt das Erdnussbutter-Prinzip. Dem einen schmeckt’s, dem anderen nicht. Und das ist auch gleichzeitig wieder ein Pluspunkt für den kleinen Film-Sonderling. Denn egal, ob es einem mundet oder nicht, der Geschmack bleibt im Kopf.