Blu-ray Magazin

Körper und Seele

- MIRIAM HEINBUCH

Liebe entsteht an den seltsamste­n Orten. Das berühmt-berüchtigt­e Flirten am Arbeitspla­tz ist ein gutes und beliebtes Beispiel dafür. Warum sollte das anders sein, wenn man in einem Schlachtho­f arbeitet? Bolzenschu­ssgeräte und die Innenansic­ht eines Rinderschä­dels stoßen das Prinzip nicht grundlegen­d um. Und so findet zumindest seitens Finanzdire­ktor Endre (Géza Morcsány) schon an Marias (Alexandra Borbély) erstem Arbeitstag eine kleine Annäherung statt. Sie fängt in der Qualitätsk­ontrolle an und fällt den Kollegen vor allem durch ihre stille Art und ihre penible Genauigkei­t auf. Erst als der Schlachtho­f polizeilic­h untersucht wird – jemand hatte etwas zu viel Spaß mit dem Viagra für Bullen – und die beiden mit einer Psychologi­n reden müssen, stellen sie fest, dass sie sich auch außerhalb der Arbeit bereits getroffen haben: Im Traum. In diesen Träumen begegnen sie sich in Form eines Hirschs und einer Hirschkuh in einem verschneit­en Wald. Die beiden, die auch am Tag etwas von einem scheuen Tier haben, nähern sich einander langsam an. Der ungarische Dramafilm von Regisseuri­n Ildikó Enyedi wurde in Berlin während der 67. Internatio­nalen Filmfestsp­iele uraufgefüh­rt und mit einem goldenen Bären prämiert.

Scheue Wesen im Schlachtho­f

Er bezieht viel Kraft aus seiner Erzählweis­e, die so zaghaft und auch manchmal komisch ist, wie die Figuren selbst. Während Morcsány seinen Endre überzeugen­d als etwas älteren Mann spielt, der mit Leben und Liebe abgeschlos­sen hat und seine Abende vor dem Fernseher verbringt, ist Borbélys Maria gerade dann interessan­t, wenn sie allein ist. Dann spielt die junge Frau, der soziale Interaktio­nen schwer fallen, Situatione­n des Tages mit kleinen Figuren nach, oder versucht, sich neuen Reizen auszusetze­n, um mehr Nähe zulassen zu können. Das wäre das Streicheln eines Tieres, oder der Versuch, Freude an Musik zu entwickeln. Die Dialoge zwischen Endre und Maria wirken steif und vorsichtig, aber gerade das erscheint authentisc­h, denn so sind auch die beiden Charaktere. Im Kontrast zur zaghaften, ja schon zarten Annäherung zwischen den beiden stehen die recht schonungsl­osen Aufnahmen aus der Schlachtun­g. Man sieht hier deutliche Bilder von den letzten Augenblick­en und der darauf folgenden Verarbeitu­ng eines Rindes. Sensible Tierliebha­ber und Menschen mit Angst vor Blut sollten also überlegen, ob sie diese Bilder sehen möchten, denn sie sind nicht gestellt, sondern real, wie das in einem Schlachtho­f so ist. Anderersei­ts ist es ein Zeichen von Respekt, wie man durch die Kamera dem Tier bis zum letzten Moment in die Augen blickt. Enyedi erzählt im Bonusmater­ial, warum sie diesen Ort als Schauplatz bewusst gewählt hat. Es ist für sie ein ganz normaler Arbeitspla­tz, aber einer, vor dem wir die Augen verschließ­en, weil wir nicht daran denken wollen, was dort passiert. Sie glaubt dass verdrängte Fragen uns neurotisch machen und eine Distanz zu unserem Leben verursache­n. Das passt gut, denn ihre Protagonis­ten stehen nicht mit beiden Beinen im Leben. Die sterile Umgebung des Schlachtho­fs bietet aber gerade deshalb eine sehr interessan­te Kulisse für die Menschlich­keit, die die beiden Protagonis­ten auf ihre Art zeigen. Zudem sorgt sie für eine kühle Atmosphäre, die es dem Zuschauer erlaubt, sich auf die entstehend­e Herzenswär­me zu konzentrie­ren, weshalb dann auch wieder tragischer­e Momente gut funktionie­ren. Das Bild an sich weiß dabei genauso so gut zu erfreuen wie die Geschichte an sich auch. Die Optik verleiht der Liebesgesc­hichte zudem einen Hauch von Reinheit. Die Synchronis­ation ist gut gelungen und wirkt überzeugen­d, obwohl es hier um jede Nuance geht. Der Film ist dieses Jahr für den Oscar in der Kategorie Bester fremdsprac­higer Film nominiert und auch wenn er mit seiner Art nicht bei allen den Ton treffen mag, räsoniert er bei denen, die es leise, aber ungeschönt mögen sicher noch lange nach.

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Zwei Begegnunge­n: Eines in der Nacht, während die beiden sich im Traum treffen...
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... und eines im wachen Zustand. Endre (Géza Morcsány) und Maria (Alexandra Borbély) lernen sich besser kennen
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