Magical Mystery
Bewusstseinsarbeit als Busreise, so wie damals die Beatles – nur auf Rave: Was bei den Beatles die „Magical Mystery Tour“war und mächtig floppte, soll nun im technoesken 90er-Jahre Deutschland funktionieren? Was nach Action, Spaß und jeder Menge Drogen klingt, hat nur einen Haken. Wer soll das Lenkrad halten, wenn alle zugedröhnt herumsteuern oder in irgendwelchen Filmen umherdösen? Die Antwort ist simpel. Es braucht einen abstinenten Karl Schmidt (Charly Hübner), der nunmehr in einer suchttherapeutischen WG in Hamburg haust. Schmidt wer? Genau! Der aus „Herr Lehmann“, dem später von Leander Haußmann verfilmten Sven-Regener-Roman. Der einstige Bildhauer, Barkeeper und Pionier elektronischer Musik tauchte damals mit dem Mauerfall unter und tief in den Drogensumpf und zerstörerische Paranoia ein, was ihn direkt in das betreute und nun ödende Wohnen führte. Aber getreu dem Karl-Schmidt-Zitat gilt: „Manchmal bewegt sich einer nicht, aber deswegen ist er noch lange nicht tot!“Diesem Motto folgend lässt sich Charly, wie Karl von seinen früheren Kumpels Ferdi (Detlev Buck) und Raimund (Marc Hoseman) genannt wird, aus der Lethargie befreien und für ein schrilles Abenteuer als fahrender, „ledernackenmäßiger“DJ-Betreuer einspannen. Diese kommen nämlich gerade mit ihrem Techno-Label Bumm-Bumm-Records ganz groß raus und wollen auf ihrer Tournee quer durch deutsche Landen ziehen. Noch schnell einen Bus gemietet und schon startet eine bunt zusammengewürfelte Chaos-Truppe, inklusive der Meerschweinchen Lolek und Bolek durch. Es folgen wummernde Auftritte, bewusstseinserweiternde Exzesse und Momente der (Rück-)Besinnung auf das Leben.
Der „Herr Lehmann“-Kosmos neu belebt
Wie auch „Herr Lehmann“entstammt „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“der Feder des „Element of Crime“-Frontmannes Sven Regener. Diesmal nimmt sich Arne Feldhusen der filmischen Umsetzung des Romans an und schafft gekonnt den Spagat aus Tragikomödie und Klamauk. Feldhusen versucht erst gar nicht, die Charaktere zu überzeichnen, sondern fokussiert sich auf die einzelnen Episoden und gestaltet das gesamte „Future-Future“-Arrangement (hundeknochengroße Handys, die Billighotelkette Fluxi) mit großer Detailverliebtheit. Gemeinsam mit der Soundtrack-Verantwortlichen Charlotte Goltermann schafft er eine stimmige und überraschend abwechslungsreiche musikalische Reise von Deichkind, über WestBam (der neben anderen Szenegrößen einen Gast-Auftritt hat), Sonic Youth zu The Jesus and Mary Chain und Iggy Pop. Neben den vielen exzessiv-klamaukigen Elementen, zaubert Feldhusen ruhige, besinnliche Momente, die dem Film zu etwas mehr Komplexität verhelfen. Gerade wenn die turtelnden Charly und DJane Rosa sich darüber unterhalten, was es heißt, irre zu sein und warum er „Klapper“besser als „Klapse“findet, zeigen sich tiefsinnigere Gedanken. In diesem Zusammenhang muss man aus der sehr sympathischen und authentischen Besetzung um Detlev Buck, Marc Hosemann und Co besonders Charly Hübner („Das Leben der Anderen“) herausheben. Großäugig, stoisch und manchmal besonnen leidend, meistert er die befremdlichen Situationen – etwa, wenn er seine Crew früh um acht aus einem verschwitzt-druffigen Schuppen abholen muss - und brilliert dabei in seiner zurückhaltenden Demonstration von Abscheu, Faszination und des Aushaltens – eine schauspielerische Meisterleistung! Apropos aushalten: Ob ein jeder Zuschauer sich das obskure Spektakel um Drogenexzesse ohne großartige Handlung bis zum Ende zumuten kann, bleibt offen. Lässt man sich auf das Geschehen ein, winkt ein unterhaltsamer Film voller Running-Gags, lebensphilosophischer Situations-(Tragi)komik und romantischen Besinnlichkeiten mit einem großartigen Soundtrack und tollen Schauspielern.