Grenzgänger – Gefangen im Eis
Mateusz (Andrzej Chyra) fährt mit seinen Söhnen Janek (Bartosz Bielenia) und Tomek (Kuba Henriksen) zu einer einsamen Waldhütte in den eingeschneiten Bergen an der Grenze Polens. Der Witwer will den beiden zeigen, wie man jagt. Aber schnell zeigt sich, dass Janek und Tomek es gar nicht so eilig haben mit dem Fellabziehen und Ausnehmen. Das rohe, dominante Wesen ihres Vaters, der früher beim Grenzschutz gearbeitet hat, ist ihnen fremd. Am nächsten Tag kommt ein Mann (Marcin Dorocinski) durch den Schnee gelaufen und bricht bewusstlos in der Hütte zusammen. Er konnte nur noch sagen, dass er „sie“habe zurücklassen müssen. Mateusz fesselt den Fremden an eines der Betten, setzt seine Söhne an das kaum funktionierende Funkgerät und macht sich auf die Suche nach Verletzten. Tatsächlich findet er recht schnell einen verunglückten Transporter polnischer Menschenschmuggler. Währenddessen wacht der Fremde auf und verwickelt die beiden Jungs in ein perfides Katz-und-Maus-Spiel. Die titelgebende Grenze in „Grenzgänger“bezieht sich nicht nur auf geografische Aspekte, sondern viel mehr auf die mentalen und moralischen Grauzonen, die die Jungen im Laufe der Geschichte betreten und überwinden. Wo sich Janek in der Einführungsszene noch weigert, ein angefahrenes Reh zu töten und sich kurz danach von seinem Vater nötigen lässt, mit ihm zu trinken, tritt widerwillig die Adoleszenz ein, wenn Konrad die beiden Jungs dazu zwingt, sich gegen ihn aufzulehnen. Genau darum geht es in „Grenzgänger“– nicht um das Erwachsenwerden, sondern das Mannwerden, Gewalt zu ertragen und auszuüben, das Böse nicht durch Worte zu bekehren, sondern durch Taten zu besiegen. Diese Männlichkeitshysterie zieht sich durch den gesamten Film und ist dabei nicht subtil angedeutet, sondern liegt mit aller Deutlichkeit da – die tote Mutter, die dominanten Vaterfiguren und der Umstand, dass jede Frau im Film ein Opfer von Unterdrückung ist; nicht, dass es viele Frauen zu sehen gäbe. Nur eine von ihnen spricht – und dann so wenig, dass man die zusammenhängenden Sätze buchstäblich an einer Hand abzählen kann. „Grenzgänger“ist definitiv kein Film, der für die Alison Bechdels und Alice Schwarzers dieser Welt gedreht wurde, sondern für die Ernest Hemingways und John Rambos.
Klare Einflüsse
Das Setting im nicht enden wollenden Schneegestöber, die Abgeschiedenheit in den Bergen, der Nachwuchs, der sich mit pervertierten, gewalttätigen Vaterfiguren herumschlagen muss – das sind alles Motive, die dem Zuschauer aus einem anderen Film sehr bekannt vorkommen. Hört man dann auch noch das wiederkehrende Musikthema von „Grenzgänger“, ist klar, dass Regisseur Kasperski Stanley Kubricks „Shining“nicht nur einmal gesehen hat. Natürlich fehlen aber die übernatürlichen Elemente; „Grenzgänger“ist mit seinen intensiven Blau- und Graufiltern in jedem Moment kühl und realistisch und mit einer klinisch wirkenden Distanz gefilmt. Zwar sind die gängigen Motive aus Thrillern und Kammerspielen alle nicht neu und daher etwas dröge, aber unterhaltsam und spannend ist „Grenzgänger“allemal, auch wenn es keine wirklich originelle Idee im Film gibt. Die sehr glaubwürdigen schauspielerischen Leistungen und die beklemmende Atmosphäre gleichen diesen Umstand wieder aus. Die Blu-ray bietet nur die deutsche Tonspur, was vermutlich für den Großteil der Zuschauer nicht weiter relevant ist. Dass man im Menü nicht einmal die einzelnen Kapitel anwählen kann, ist da schon ein deutlich größerer Makel. Mit dem Bonusmaterial ist es auch nicht weit her – nur ein wenige Minuten umfassendes Featurette ist vorhanden, das Aufnahmen vor und nach der digitalen Bearbeitung zeigt. Allerdings beschränkt sich der Vergleich auf eingefügte Schneeflocken und eine Actionszene mit digital ergänztem Feuer.