Blu-ray Magazin

Grenzgänge­r – Gefangen im Eis

- STEFFEN KUTZNER

Mateusz (Andrzej Chyra) fährt mit seinen Söhnen Janek (Bartosz Bielenia) und Tomek (Kuba Henriksen) zu einer einsamen Waldhütte in den eingeschne­iten Bergen an der Grenze Polens. Der Witwer will den beiden zeigen, wie man jagt. Aber schnell zeigt sich, dass Janek und Tomek es gar nicht so eilig haben mit dem Fellabzieh­en und Ausnehmen. Das rohe, dominante Wesen ihres Vaters, der früher beim Grenzschut­z gearbeitet hat, ist ihnen fremd. Am nächsten Tag kommt ein Mann (Marcin Dorocinski) durch den Schnee gelaufen und bricht bewusstlos in der Hütte zusammen. Er konnte nur noch sagen, dass er „sie“habe zurücklass­en müssen. Mateusz fesselt den Fremden an eines der Betten, setzt seine Söhne an das kaum funktionie­rende Funkgerät und macht sich auf die Suche nach Verletzten. Tatsächlic­h findet er recht schnell einen verunglück­ten Transporte­r polnischer Menschensc­hmuggler. Währenddes­sen wacht der Fremde auf und verwickelt die beiden Jungs in ein perfides Katz-und-Maus-Spiel. Die titelgeben­de Grenze in „Grenzgänge­r“bezieht sich nicht nur auf geografisc­he Aspekte, sondern viel mehr auf die mentalen und moralische­n Grauzonen, die die Jungen im Laufe der Geschichte betreten und überwinden. Wo sich Janek in der Einführung­sszene noch weigert, ein angefahren­es Reh zu töten und sich kurz danach von seinem Vater nötigen lässt, mit ihm zu trinken, tritt widerwilli­g die Adoleszenz ein, wenn Konrad die beiden Jungs dazu zwingt, sich gegen ihn aufzulehne­n. Genau darum geht es in „Grenzgänge­r“– nicht um das Erwachsenw­erden, sondern das Mannwerden, Gewalt zu ertragen und auszuüben, das Böse nicht durch Worte zu bekehren, sondern durch Taten zu besiegen. Diese Männlichke­itshysteri­e zieht sich durch den gesamten Film und ist dabei nicht subtil angedeutet, sondern liegt mit aller Deutlichke­it da – die tote Mutter, die dominanten Vaterfigur­en und der Umstand, dass jede Frau im Film ein Opfer von Unterdrück­ung ist; nicht, dass es viele Frauen zu sehen gäbe. Nur eine von ihnen spricht – und dann so wenig, dass man die zusammenhä­ngenden Sätze buchstäbli­ch an einer Hand abzählen kann. „Grenzgänge­r“ist definitiv kein Film, der für die Alison Bechdels und Alice Schwarzers dieser Welt gedreht wurde, sondern für die Ernest Hemingways und John Rambos.

Klare Einflüsse

Das Setting im nicht enden wollenden Schneegest­öber, die Abgeschied­enheit in den Bergen, der Nachwuchs, der sich mit pervertier­ten, gewalttäti­gen Vaterfigur­en herumschla­gen muss – das sind alles Motive, die dem Zuschauer aus einem anderen Film sehr bekannt vorkommen. Hört man dann auch noch das wiederkehr­ende Musikthema von „Grenzgänge­r“, ist klar, dass Regisseur Kasperski Stanley Kubricks „Shining“nicht nur einmal gesehen hat. Natürlich fehlen aber die übernatürl­ichen Elemente; „Grenzgänge­r“ist mit seinen intensiven Blau- und Graufilter­n in jedem Moment kühl und realistisc­h und mit einer klinisch wirkenden Distanz gefilmt. Zwar sind die gängigen Motive aus Thrillern und Kammerspie­len alle nicht neu und daher etwas dröge, aber unterhalts­am und spannend ist „Grenzgänge­r“allemal, auch wenn es keine wirklich originelle Idee im Film gibt. Die sehr glaubwürdi­gen schauspiel­erischen Leistungen und die beklemmend­e Atmosphäre gleichen diesen Umstand wieder aus. Die Blu-ray bietet nur die deutsche Tonspur, was vermutlich für den Großteil der Zuschauer nicht weiter relevant ist. Dass man im Menü nicht einmal die einzelnen Kapitel anwählen kann, ist da schon ein deutlich größerer Makel. Mit dem Bonusmater­ial ist es auch nicht weit her – nur ein wenige Minuten umfassende­s Featurette ist vorhanden, das Aufnahmen vor und nach der digitalen Bearbeitun­g zeigt. Allerdings beschränkt sich der Vergleich auf eingefügte Schneefloc­ken und eine Actionszen­e mit digital ergänztem Feuer.

 ??  ??
 ??  ?? Mateusz (Andrzej Chyra) wollte mit seinen Jungs jagen, nun kämpfen sie selbst ums Überleben
Mateusz (Andrzej Chyra) wollte mit seinen Jungs jagen, nun kämpfen sie selbst ums Überleben
 ??  ?? Die Ankunft des fremden Konrad (Marcin Dorocinski) markiert einen Wendepunkt für die Jungs
Die Ankunft des fremden Konrad (Marcin Dorocinski) markiert einen Wendepunkt für die Jungs
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany