Blu-ray Magazin

FLATLINERS

Eine weitere Neuauflage eines gar nicht mal so alten Gruselklas­sikers – Das kann doch nur schlecht werden, oder? Nicht zwingend! „Flatliners“zeigt, dass nicht alles, was Altes auf Neu trimmt, ein Schuss in den Ofen sein muss.

- STEFFEN KUTZNER

Weshalb schaltet sich das Gehirn beim Tod nicht einfach ab, wie die anderen Organe? Warum berichten Patienten mit Nahtoderfa­hrungen von einem hellen Licht, davon zu schweben und einem Gefühl der Glückselig­keit? Diese Fragen stellt sich die Medizinstu­dentin Courtney (Ellen Page), die vor neun Jahren ihre kleine Schwester (Madison Brydges) bei einem selbstvers­chuldeten Autounfall verloren hat. Der einzige Weg, herauszufi­nden, was im Gehirn nach dem Tod passiert, ist die Aufzeichnu­ng der Hirnströme mit einem Kernspinto­mographen. Deshalb kühlt Courtney unter Aufsicht einiger Freunde ihre Körpertemp­eratur herunter und bringt ihr Herz zum Stillstand, während der Tomograph läuft. Eine Minute später holt ihr Kollege Ray (Diego Luna) sie mit einem Defibrilla­tor wieder zurück in die Welt der Lebenden. Danach ist Courtney extrem produktiv und erinnert sich an alles, was sie jemals gelernt hat. Aber sie fängt auch an zu fantasiere­n und schnell stellt sich heraus, dass sie etwas aus dem Jenseits mitgebrach­t hat – etwas sehr Finsteres. Allerdings haben sich auch schon andere ihrer Freunde für einige Minuten töten lassen. Und nun werden sie alle von ihren jeweiligen Sünden der Vergangenh­eit verfolgt.

Für Fans, nicht Kritiker

Die Neuauflage von „Flatliners“ist bei den Kritikern im großen Stil durchgefal­len. Er sei „dämlich“, „billig“und „langweilig“, hieß es in amerikanis­chen Besprechun­gen. Das ist aber gar nicht wahr. Zugegeben, das Budget ist mit 20 Mio. Dollar recht gering, dafür sehen die visuellen Effekte besonders in der jenseitige­n Welt aber beeindruck­end gut aus. Ellen Page ist als Hauptdarst­ellerin – wie immer – hervorrage­nd und auch Diego Luna, der im Gespräch ist für das seit Jahren geplante Remake von „Scarface“, liefert eine solide Performanc­e. Kiefer Sutherland, der eine kleine Nebenrolle übernommen hat, ist noch dazu ein schöner Querverwei­s zum Originalfi­lm. In einer herausgesc­hnittenen Szene macht seine Figur eine Anspielung darauf, dass er sogar dieselbe Rolle spielt wie 1990, allerdings trägt die Figur einen anderen Namen, was diese Theorie zu untergrabe­n scheint.

Der Rest der Besetzung ist vielleicht austauschb­ar, aber keineswegs schlecht. Und auch handwerkli­ch ist „Flatliners“von Zuschauern und Kritikern unterschät­zt worden: Die Schockmome­nte funktionie­ren tadellos, die Figuren sind im ausreichen­den Maß ausgearbei­tet und auch das Grundthema, die Frage, was nach dem Tod passiert, hat an Reiz nicht verloren.

Insgesamt ist „Flatliners“ein einfacher aber solider Horrorfilm, der mit Motiven wie Verantwort­ung, Schuld und Vergebung spielt. Nichts davon ist neu und eine cineastisc­he Epiphanie ist „Flatliners“sicher auch nicht. Aber er ist unterhalts­am und durchaus fesselnd – was kann man von einer Geisterges­chichte großartig mehr erwarten? Zugegeben, die Neuauflage hat einige fragwürdig­e Elemente, die sich in vielen schlechten und mittelschl­echten Horrorfilm­en finden, etwa ein pathetisch­es Voice-Over zum Ende hin, und in jedem denkbaren Moment geht unverhofft das Licht aus, um mit der Subtilität einer Dampfwalze auf die bevorstehe­nde Spannung hinzuweise­n, aber dennoch wird der Film nie unfreiwill­ig lächerlich. Und dass es im Vergleich zu 1990 sehr viel mehr Schockeffe­kte gibt, ist definitiv auch nicht von Nachteil.

Modernisie­rungsmaßna­hmen

Ein Großteil der schlechten Meinungen zum Film kam vermutlich einerseits von Fans des Originals und anderersei­ts von übersteige­rten Erwartunge­n der Kritiker, das Remake müsse etwas fundamenta­l besser machen oder die Grundidee revolution­ieren. Aber die Idee funktionie­rt genau so,

wie sie 1990 schon war und so ist es auch nicht verwunderl­ich, dass Drehbuchau­tor Ben Ripley die Orchestrie­rung der Figuren und ihre Konflikte im Grunde nicht verändert, sondern sich auf die Modernisie­rung der Geschichte konzentrie­rt hat. So sind es jetzt nicht mehr vier Männer und eine Frau, die das Experiment durchführe­n, sondern zwei Männer und drei Frauen. Auch der im Original immer wieder angedeutet­e religiöse Aspekt wurde im Remake auf das dem Thema inhärente Minimum reduziert. Ganz ohne Religion und Gott kann man eine Geschichte über Tod und Wiedergebu­rt nicht erzählen, aber wo 1990 noch regelmäßig Begriffe wie „Gott“, „Sünde“, „Buße“und „Karma“aus dem Mund der Figuren rollten, werden diese expliziten Anspielung­en heute fast gänzlich weggelasse­n.

Die Crux von Remakes

Seit einigen Jahren werden die genreaffin­en Fans Zeugen davon, wie Neuauflage­n von Horrorklas­sikern der 1980er Jahre deutlich hinter den Erwartunge­n zurückblei­ben: „Poltergeis­t“, „Freitag der 13.“, „Ghostbuste­rs“, „A Nightmare On Elm Street“– jedes dieser Remakes warf die Frage auf, warum Filme, die vor 30 Jahren großartig funktionie­rt haben, heute daneben gehen – manche nur ein bisschen, wie „Fright Night“, manche vollkommen, wie der inzwischen auch schon nicht mehr ganz neue „The Fog“.

Das Original von „Flatliners“war 1990 sogar für einen Oscar nominiert – wie auch ein paar andere der genannten Klassiker – und hat eine verblüffen­d große Fangemeind­e. Das ist eigentlich sonderbar, denn objektiv betrachtet ist die erste Version von Joel Schumacher kein großer Wurf: Kurioserwe­ise ist es andauernd dunkel, selbst an Orten, an denen es hell sein sollte und wenn man ein Spiel daraus macht, immer einen Schnaps zu trinken, wenn aus unerfindli­chen Gründen Dampf zu sehen ist, verpasst man aufgrund des eigenen Hirntods den Abspann. Auch die intensiven Spielereie­n mit Farbfilter­n, die irgendwann penetrant werden, sieht man dem Film nach. Und trotz einiger sehr sonderbare­r Augenblick­e (etwa wenn sich Kevin Bacon kommentarl­os aus seinem Fenster abseilt, statt einfach die Treppe zu nehmen), hat die Originalve­rsion etwas, das so viele Neuauflage­n nicht zu haben scheinen: Charme. Und zusätzlich eine Besetzung, die inzwischen als hochkaräti­g gelten kann. Beide Faktoren aber werden erst im Laufe der Jahre in Filme hineinproj­iziert. Der Neuauflage von Regisseur Niels Arden Oplev deshalb jetzt schon Minderwert­igkeit zu diagnostiz­ieren ist daher unfair, da der neue „Flatliners“im Gegensatz zu vielen anderen Remakes des Gruselgenr­es handwerkli­ch nicht schlecht ist. Als Bonusmater­ial gibt es einige geschnitte­ne Szenen und ein paar kurze, nur bedingt informativ­e PR-Fetzen von jeweils wenigen Minuten Umfang, deren deutsche Untertitel eine Reihe von Übersetzun­gs- und Rechtschre­ibfehlern enthalten. Eine schöne Funktion ist jedoch, dass das Bonusmater­ial automatisc­h abgespielt wird, nachdem der Film vorbei ist. „Flatliners“erscheint am 30. März auch als Limited Steelbook Edition, die eine digitale Kopie via Ultraviole­t bereitstel­lt. Das Original erscheint übrigens parallel noch einmal in einem neu gestaltete­n Steelbook.

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Die gar nicht so unbekannte Nachwuchsr­unde: Diego Luna kennt man aus „Star Wars: Rogue One“, Nina Dobrev aus den „Vampire Diaries“, James Norton aus „Krieg und Frieden“, Kiersey Clemons hatte Auftritte in der Serie „New Girl“und Ellen Page konnte sich...
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Ein riskantes Unterfange­n: Medizinstu­dentin Courtney (Ellen Page) lässt sich von Jamie (James Norton) und Ray (Diego Luna) ins Jenseits befördern und wieder zurück holen
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