Immer noch eine unbequeme Wahrheit - UNSERE ZEIT LAUFT
Elf Jahre nach Friedensnobelpreisträger Al Gores erstem Film über den Klimawandel, „Eine unbequeme Wahrheit“, erscheint sein zweiter Film. Dieser wählt zwar einen etwas anderen Weg, aber das Ziel des Films ist immer noch das selbe.
Al Gores Oscar-prämierter Film „Eine unbequeme Wahrheit“erschien als ein Weg, seine politische Niederlage zu verarbeiten um sie dann in eine konstruktive Richtung zu lenken. Der ehemalige Politiker, der unter Clinton als Vize-Präsident diente, hatte etwa sechs Jahre zuvor die Präsidentschaftswahl gegen Bush verloren und stürzte sich voll in den Umweltschutz. Den Weg zu dieser Leidenschaft für unseren Planeten präsentierte er damals zusammen mit zahlreichen Daten zum Klimawandel. Auch in „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“macht er seine Arbeit und sich selbst zum Thema. Das bringt für den Film eine Reihe an Vor- und Nachteilen mit sich, was in einem Einerseits-Andererseits-Spiel mündet.
Der Vorgänger stützte sich in großen Teilen auf die Präsentation von Fakten in Form von Vorträgen mit Statistiken, Diagrammen und Forschung. Al Gore war der menschliche Klebstoff darin, der das alles zusammen hielt. Nun sehen wir ihn als eine Art Umwelt-Lobbyisten, der hinter den Kulissen versucht, Kooperationen in die Wege zu leiten und Aufklärungsarbeit zu leisten. Unterbrochen werden diese Aufnahmen durch seine Schulungen, die er für angehende Umwelt-Aktivisten gibt, durch Vorträge die er hält und durch Besuche, die er Gebieten abstattet in denen der Klimawandel schon Zeichen hinterlässt. Auch hier ist also die ständige Konstante Al Gore selbst.
Desillusionierung
Und auch in „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“wird es persönlich. So viel Personenfokus ist bei einer Dokumentation auf jeden Fall Geschmacksache. Dafür ist es aber auch irgendwie transparent. Al Gore macht überhaupt keinen Hehl daraus, dass er mit seinen Filmen eine Agenda verfolgt. Wenn er über das Gefühl redet, persönlich versagt zu haben, weil wir insgesamt noch nicht weiter gekommen sind in puncto Klimarettung, dann mag das für manche emotional und unsachlich wirken. Für andere gibt er einem Zustand ein Gesicht, den sie nur zu gut kennen: Die Desillusionierung, die sich nach langen Jahren des Aktivismus einstellt, wenn man immer wieder seine Kraft zum Allgemeinwohl einsetzt, ohne sichtbare Ergebnisse zu erzielen. Wie es ist, wenn man seine Zeit und Energie hineinsteckt, um dann zwischen Hoffnungsschimmern und ermüdender Verzweiflung zu schwanken, wird selten wirklich angesprochen, aber viele Aktivisten kennen das Gefühl. Nachvollziehbar wird das schon, wenn der Zuschauer Gore dabei folgt, wie er mit Flutopfern auf den Philippinen redet. Noch deutlicher kann man es aber sehen, als er bei der UN-Klimakonferenz in Paris alle ihm möglichen Strippen zieht, um ein Gelingen der Konferenz zu sichern. Man sieht ihn von Treffen zu Treffen gehen, auf Rücksitzen von Autos telefonieren, und der Erfolg krönt scheinbar seine Bemühungen. Dann kommt Trump, verkündet den Ausstieg aus dem Pariser Abkommen und die Desillusionierung ist zurück. Der Film musste übrigens entsprechend angepasst werden.
Was der Film nicht ist...
Es gibt Stimmen, die sich von Gore mehr gewünscht hätten. Das ist verständlich, denn vieles findet in „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“gar keinen Platz. Zwar ist von erneuerbaren Energiequellen die Rede und von fossilen Brennstoffen, aber das sind nicht die einzigen Quellen der Umweltverschmutzung. Da wäre zum Beispiel die Massentierhaltung, die viel Energie und Wasser kostet. Gerade weil Gore 2013 verkündet hatte, keine tierischen Lebensmittel mehr zu konsumieren, hätten sich manche dazu eine Aussage gewünscht. Auch andere Industrien, wie beispielsweise die Modeindustrie, verschmutzen Wasser und richten Schaden an. Wer sich schon mit dem Thema Klimawandel auskennt, wird hier auch kaum Neues lernen. Tatsächlich wäre es sehr interessant gewesen zu hören, welche Industrien Gore als problematisch sieht und wie man die Dinge verbessern könnte. Aber das würde den Rahmen dieses Films sprengen. Einen solchen Film, der so konkrete Lösungswege über die der Ingenieure der Energiebranche hinaus vorschlägt, kann er vielleicht noch gar nicht drehen. Denn wie auch in seinem ersten Film ist Al Gore noch immer damit beschäftigt, überhaupt die breite Masse, die Politiker und die Wirtschaft davon zu überzeugen, dass es den Klimawandel gibt und dass er ein Problem darstellt.
… was er dafür ist
Um das zu erreichen ist er durchaus gewillt, emotional zu argumentieren. Ist das polemisch? Auf jeden Fall. Die Logik ist einfach: Wir schaden uns nicht, wenn wir pfleglich mit der Erde umgehen. Wir schaden uns aber immens, wenn wir es nicht tun und er mit seinen Prognosen Recht behält. Natürlich kann man über seine Annäherungsweise und die massive Selbstdarstellung denken, was man will. Man kann auch kritisieren, dass er Demokratie-Probleme anspricht oder wie sehr Umweltkatastrophen die Ärmsten der Armen treffen, wenn er selbst so privilegiert ist. Andererseits nutzt er sein Privileg ja für diese Menschen. Und vielleicht erreicht er gerade mit Emotionen die Menschen, die für Argumente und Fakten bislang nicht offen waren. Mit anderen Worten: So differenziert man den Film und seine Machart sehen kann und sollte, so interessant und wichtig ist er trotzdem. Und auch wenn er deutlich weniger informativ ist als sein Vorgänger, so bringt er dennoch Belege und ergänzt ihn doch sinnvoll. Da der Film zusammengesetzt ist aus verschiedenen Arten von Aufnahmen, schwankt die Bildqualität. Die Verständlichkeit ist durchweg gegeben und der Film ist schön synchronisiert. Im Bonusmaterial befinden sich die Featurettes „Den Wandel bewirken: Ein Dialog mit den Mächtigen“und „Die Wahrheit in 10 Minuten“sowie das Musikvideo zum Song „Truth To Power“von der Band One Republic. „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“ist insofern ein wichtiger Film, dass er verdeutlicht, wie sehr die Arbeit von Aktivisten nicht nur von Schritten vorwärts geprägt ist, sondern eben auch von so manchem Ausfallschritt zurück. Es wäre also nicht nur aus filmtechnischer Sicht wünschenswert, wenn der nächste Film von Al Gore, falls es ihn jemals geben sollte, keine Überzeugungsarbeit mehr leisten muss, sondern sich mit den Lösungsansätzen beschäftigen darf und dafür vielleicht etwas weniger mit seiner Person.