Die Unsichtbaren – Wir wollen leben
Der Zweite Weltkrieg ist bekanntlich das Steckenpferd der deutschen Filmindustrie. Nicht nur, weil es in der historischen Verantwortung liegt, auch 73 Jahre nach Kriegsende an die Gräueltaten des NS-Regimes zu erinnern, sondern weil auch noch nicht jede Geschichte aus dieser Zeit erzählt wurde. Eine weitere Lücke schließt Claus Räfles Doku-Fiktion „Die Unsichtbaren – Wir wollen leben“. Der spannende Hybrid aus Zeitzeugen-Interviews, nachgestellten Szenen und Archivaufnahmen skizziert das Leben von vier jungen Juden, die zwischen 1942 und 1945 in Berlin untertauchen mussten, um der Deportation in die Konzentrationslager zu entgehen. Was schnell zu einem halbgaren Mix mit History-Channel-Flair hätte werden können, wandelt sich unter der Regie des renommierten Dokumentaristen zu einem kraftvollen und wichtigen, weil aufklärerischen Werk, das anhand von beeindruckenden Einzelschicksalen den harten Überlebenskampf der verfolgten Juden und ihrer zahlreichen deutschen Helfer offenbart.
Vier wollen leben
Die vier Zeitzeugen, die Räfle und seine Co-Autorin Alejandra López bereits 2009 interviewt hatten (zwei von Ihnen sind mittlerweile verstorben), stehen exemplarisch für die rund 7000 „unsichtbaren“Juden, die sich jahrelang in Berlin versteckten – diese gefährliche Situation überlebten allerdings nur circa 1 500 von ihnen. Darunter auch Cioma Schönhaus (Max Mauff), Hanni Lévy (Alice Dwyer), Ruth Arndt (Roby O. Fee) und Eugen Friede (Aaron Altaras). Jeder dieser jungen Juden entging auf seine Art der NS-Geheimpolizei und dem drohenden Tod in den Lagern. Schönhaus trickste die Behörden mit falschen Unterlagen aus und wurde selbst zum professionellen Passfälscher, während Lévy sich die Haare blond färbte, um als Arierin durchzugehen. Arndt profitierte von dem Mut zahlreicher Helfer – Bekannte ihres Vaters und ihrer Freundin – darunter auch ein hochrangiger NS-Offizier. Und Friede kam über Umwege und dank seines nicht-jüdischen Stiefvaters irgendwann beim Widerstand unter.
Tödliches Versteckspiel
Die gewählte Erzählform kann den TV-Hintergrund seiner Macher nie komplett abschütteln, dennoch gelingt es dem Film eindrucksvoll, die Interviews und die nachgestellten Spielszenen (samt Off-Kommentar der Schauspieler) organisch und spannend zu verbinden. Die voneinander losgelöste Parallel-Inszenierung der Geschichten schadet dabei weder der dramatischen Wirkung noch dem Tempo. Im Gegenteil: Die geschickt eingesetzten Archivaufnahmen und die Einbindung historischer Figuren wie Werner Scharf (Florian Lukas) oder Stella Goldschlag (Laila Maria Witt) verleihen der Handlung stets die Aura des Authentischen. Das Schauspiel ist (bis auf Ausnahmen wie Mauff und Dwyer) meist typisch deutsch und schwankt zwischen theaterbühnenhaft und hölzern. Auch bei der Technik zeigt sich der Film ambivalent: Die Spielszenen glänzen mit hoher Schärfe und guten Kontrastwerten. Den Interviews merkt man ihr Alter dagegen leider an – die TV-typischen Halbbild-Aufzeichnungen wurden hochskaliert, geschärft und an die Vollformat-Framerate angeglichen – dadurch wirken die Aufnahmen manchmal etwas ruckelig. Der Sound ist dagegen glasklar und brilliert in leisen Szenen mit akzentuierten Geräuschen, die einen wie die Figuren stets vor Schreck zusammen zucken lassen. In die hektischen Szenen wie der Bombardierung Berlins wirkt die Tonspur dann sehr räumlich. Dieser Film ist nicht nur ein weiterer, mahnender Beitrag über die NS-Zeit. „Die Unsichtbaren“ist packend inszenierte Zeitgeschichte über wahren Mut und echte Menschlichkeit.