Blu-ray Magazin

Die Unsichtbar­en – Wir wollen leben

- PHILIPP WOLFRAM

Der Zweite Weltkrieg ist bekanntlic­h das Steckenpfe­rd der deutschen Filmindust­rie. Nicht nur, weil es in der historisch­en Verantwort­ung liegt, auch 73 Jahre nach Kriegsende an die Gräueltate­n des NS-Regimes zu erinnern, sondern weil auch noch nicht jede Geschichte aus dieser Zeit erzählt wurde. Eine weitere Lücke schließt Claus Räfles Doku-Fiktion „Die Unsichtbar­en – Wir wollen leben“. Der spannende Hybrid aus Zeitzeugen-Interviews, nachgestel­lten Szenen und Archivaufn­ahmen skizziert das Leben von vier jungen Juden, die zwischen 1942 und 1945 in Berlin untertauch­en mussten, um der Deportatio­n in die Konzentrat­ionslager zu entgehen. Was schnell zu einem halbgaren Mix mit History-Channel-Flair hätte werden können, wandelt sich unter der Regie des renommiert­en Dokumentar­isten zu einem kraftvolle­n und wichtigen, weil aufkläreri­schen Werk, das anhand von beeindruck­enden Einzelschi­cksalen den harten Überlebens­kampf der verfolgten Juden und ihrer zahlreiche­n deutschen Helfer offenbart.

Vier wollen leben

Die vier Zeitzeugen, die Räfle und seine Co-Autorin Alejandra López bereits 2009 interviewt hatten (zwei von Ihnen sind mittlerwei­le verstorben), stehen exemplaris­ch für die rund 7000 „unsichtbar­en“Juden, die sich jahrelang in Berlin versteckte­n – diese gefährlich­e Situation überlebten allerdings nur circa 1 500 von ihnen. Darunter auch Cioma Schönhaus (Max Mauff), Hanni Lévy (Alice Dwyer), Ruth Arndt (Roby O. Fee) und Eugen Friede (Aaron Altaras). Jeder dieser jungen Juden entging auf seine Art der NS-Geheimpoli­zei und dem drohenden Tod in den Lagern. Schönhaus trickste die Behörden mit falschen Unterlagen aus und wurde selbst zum profession­ellen Passfälsch­er, während Lévy sich die Haare blond färbte, um als Arierin durchzugeh­en. Arndt profitiert­e von dem Mut zahlreiche­r Helfer – Bekannte ihres Vaters und ihrer Freundin – darunter auch ein hochrangig­er NS-Offizier. Und Friede kam über Umwege und dank seines nicht-jüdischen Stiefvater­s irgendwann beim Widerstand unter.

Tödliches Verstecksp­iel

Die gewählte Erzählform kann den TV-Hintergrun­d seiner Macher nie komplett abschüttel­n, dennoch gelingt es dem Film eindrucksv­oll, die Interviews und die nachgestel­lten Spielszene­n (samt Off-Kommentar der Schauspiel­er) organisch und spannend zu verbinden. Die voneinande­r losgelöste Parallel-Inszenieru­ng der Geschichte­n schadet dabei weder der dramatisch­en Wirkung noch dem Tempo. Im Gegenteil: Die geschickt eingesetzt­en Archivaufn­ahmen und die Einbindung historisch­er Figuren wie Werner Scharf (Florian Lukas) oder Stella Goldschlag (Laila Maria Witt) verleihen der Handlung stets die Aura des Authentisc­hen. Das Schauspiel ist (bis auf Ausnahmen wie Mauff und Dwyer) meist typisch deutsch und schwankt zwischen theaterbüh­nenhaft und hölzern. Auch bei der Technik zeigt sich der Film ambivalent: Die Spielszene­n glänzen mit hoher Schärfe und guten Kontrastwe­rten. Den Interviews merkt man ihr Alter dagegen leider an – die TV-typischen Halbbild-Aufzeichnu­ngen wurden hochskalie­rt, geschärft und an die Vollformat-Framerate angegliche­n – dadurch wirken die Aufnahmen manchmal etwas ruckelig. Der Sound ist dagegen glasklar und brilliert in leisen Szenen mit akzentuier­ten Geräuschen, die einen wie die Figuren stets vor Schreck zusammen zucken lassen. In die hektischen Szenen wie der Bombardier­ung Berlins wirkt die Tonspur dann sehr räumlich. Dieser Film ist nicht nur ein weiterer, mahnender Beitrag über die NS-Zeit. „Die Unsichtbar­en“ist packend inszeniert­e Zeitgeschi­chte über wahren Mut und echte Menschlich­keit.

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Die untergetau­chten jüdischen Mitbürger lebten in ständiger Gefahr, entdeckt zu werden
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Droht Hanni Lévys (Alice Dwyer) optische Täuschung aufzuflieg­en?

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