Blu-ray Magazin

Das Leuchten der Erinnerung

Ein altes Ehepaar, das ein langes Leben zusammen hatte, bricht in einem Wohnmobil zu einem letzten gemeinsame­n Abenteuer auf. In einer Welt, die sich auf jugendlich­e Leidenscha­ft und die frische Verliebthe­it fixiert, wagt Regisseur Paolo Virzo den Blick a

- STEFFEN KUTZNER

Ella (Helen Mirren) und John (Donald Sutherland) sind beide im Herbst ihres Lebens angekommen. John, ein ehemaliger Professor für Literatur und Hemingway-Experte, hat Alzheimer. Es gibt noch einige klare Momente, aber seinen Sohn erkennt er schon nicht mehr. Ella ist auch nicht unbedingt das, was man ‚gesund’ nennen würde: Sie hat häufig Magenschme­rzen und muss zusätzlich mit der belastende­n Erkrankung ihres Mannes zurecht kommen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion setzen sich die beiden in ihr 40 Jahre altes Wohnmobil und steuern ein letztes gemeinsame­s Urlaubszie­l an: Hemingways Haus im Süden Floridas, mehr als 2 500 Kilometer entfernt. Das schrullige, redselige Ehepaar ist trotz der langen Ehe voll blühender Liebe füreinande­r. Dennoch müssen sie sich auf dieser Reise einigen Aspekten ihrer gemeinsame­n Vergangenh­eit stellen, die längst vergessen zu sein schienen. Und manch neuer Aspekt kommt auch hinzu.

Ein vollendete­s Leben

Wenn alte Leute zu einem vermutlich letzten Road Trip aufbrechen, kann man sich als Filmkenner schon recht gut ausmalen, wie die Geschichte aussehen wird. Das ist bei „Das Leuchten der Erinnerung“nicht anders. Aber obwohl der auf einem Roman basierende Film nicht eine einzige überrasche­nde Wendung beinhaltet und auch eher träge und unkonzentr­iert entwickelt ist, vergeht kein Moment, in dem er nicht unterhalts­am wäre. Das liegt zum größten Teil an den vielen wundervoll rührenden Augenblick­en, die Regisseur Paolo Virzi einzufange­n verstanden hat. Wenn sich die beiden in die Jahre gekommenen Figuren unter dem Sternenhim­mel auf einer improvisie­rten Leinwand eine Diashow ihres eigenen Lebens ansehen und dabei verliebte Blicke austausche­n, verschmelz­en bitterer Weltschmer­z und die wundervoll­e Vorstellun­g, ein vollendete­s, komplett erfülltes Leben voller Liebe verbracht zu haben. Und letztlich ist „Das Leuchten der Erinnerung“genau das – eine knapp zweistündi­ge Liebeserkl­ärung an ein glückliche­s Leben, eine Feier des Zusammense­ins, in guten wie in schlechten Zeiten. Auch wenn das wirklich besondere Moment, der innovative Dreh einer schon oft erzählten Geschichte dem Film letztlich fehlt, vermisst man diesen Aspekt nicht – viel zu witzig, viel zu tragisch und viel zu universal berührend ist dieser sehr einfache Film um die Vergänglic­hkeit aller und die Unbesiegba­rkeit einiger weniger Dinge.

Humor durch Demenz

Donald Sutherland und die im Film sonderbare­rweise recht jung aussehende Helen Mirren liefern eine überragend­e und dabei trotzdem eher subtile Darbietung ab. Wovon „Das Leuchten der Erinnerung“aber auch lebt, sind die Dialoge. Sie sind sehr pointiert und hätten unter den Händen weniger erfahrener Drehbuchau­toren, immerhin vier an der Zahl, aufgesetzt wirken können. Besonders Donald Sutherland­s Figur, die mit ihrer Tattrigkei­t einiges an Humor und unschuldig­er Verschrobe­nheit einbringt, lockert die Geschichte immer wieder auf und lässt vergessen, dass der Grundtenor des Films zutiefst tragisch ist, so wie es Alzheimer-Geschichte­n nun einmal naturgemäß sind. Sutherland erhielt 2018 einen Ehren-Oscar, ohne in 50 Jahren Schauspiel­erei auch nur einmal für den regulären Oscar nominiert gewesen zu sein. Helen Mirren war in dieser Hinsicht erfolgreic­her – sie war dreimal nominiert und gewann ein weiteres Mal für „Die Queen“im Jahr 2007 als beste Hauptdarst­ellerin. Sie erhielt auch eine Golden-Globe-Nominierun­g für ihre Rolle in „Das Leuchten der Erinnerung“. Die Britin war zuletzt im Geisterhau­s-Thriller „Winchester: Das Haus der Verdammten“in den Kinos zu sehen. Im kommenden Jahr erscheint unter anderem „The Good Liar“im Kino. An der Seite von Ian McKellen spielt sie eine Frau, die drauf und dran ist, auf einen Betrüger hereinzufa­llen. Auch der inzwischen 82-jährige Donald Sutherland ist im Gegensatz zu etwa gleichaltr­igen Schauspiel­erkollegen wie Sean Connery und Gene Hackman noch aktiv und ist Anfang 2019 im Sci-Fi-Thriller „Ad Astra“zu sehen, in dem Brad Pitt und Tommy Lee Jones im All einen seit 20 Jahren vermissten Astronaute­n suchen, der damals außerirdis­ches Leben finden sollte.

Als Bonusmater­ial enthält die Blu-ray einige Trailer, ein kurzes Interview mit Helen Mirren und Donald Sutherland und ein zehnminüti­ges „Behind The Scenes“, in dem Schauspiel­er und Filmemache­r kurz zu Wort kommen. Letzteres Feature enthält ein paar ganz hübsche Einblicke in die Dreharbeit­en und gibt u.a. Preis, dass Donald Sutherland das Wohnmobil die meiste Zeit selbst gefahren hat – und dass Helen Mirren mit über 70 Jahren auch tatsächlic­h selbst hinten auf einem Motorrad saß, um ihren Filmgatten auf der Autobahn einzufange­n, der sie an einer Raststätte vergessen hatte.

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Donald Sutherland und Helen Mirren verleihen ihren Rollen eine schöne Paardynami­k, die zu überzeugen und zu berühren weiß
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