Das Leuchten der Erinnerung
Ein altes Ehepaar, das ein langes Leben zusammen hatte, bricht in einem Wohnmobil zu einem letzten gemeinsamen Abenteuer auf. In einer Welt, die sich auf jugendliche Leidenschaft und die frische Verliebtheit fixiert, wagt Regisseur Paolo Virzo den Blick a
Ella (Helen Mirren) und John (Donald Sutherland) sind beide im Herbst ihres Lebens angekommen. John, ein ehemaliger Professor für Literatur und Hemingway-Experte, hat Alzheimer. Es gibt noch einige klare Momente, aber seinen Sohn erkennt er schon nicht mehr. Ella ist auch nicht unbedingt das, was man ‚gesund’ nennen würde: Sie hat häufig Magenschmerzen und muss zusätzlich mit der belastenden Erkrankung ihres Mannes zurecht kommen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion setzen sich die beiden in ihr 40 Jahre altes Wohnmobil und steuern ein letztes gemeinsames Urlaubsziel an: Hemingways Haus im Süden Floridas, mehr als 2 500 Kilometer entfernt. Das schrullige, redselige Ehepaar ist trotz der langen Ehe voll blühender Liebe füreinander. Dennoch müssen sie sich auf dieser Reise einigen Aspekten ihrer gemeinsamen Vergangenheit stellen, die längst vergessen zu sein schienen. Und manch neuer Aspekt kommt auch hinzu.
Ein vollendetes Leben
Wenn alte Leute zu einem vermutlich letzten Road Trip aufbrechen, kann man sich als Filmkenner schon recht gut ausmalen, wie die Geschichte aussehen wird. Das ist bei „Das Leuchten der Erinnerung“nicht anders. Aber obwohl der auf einem Roman basierende Film nicht eine einzige überraschende Wendung beinhaltet und auch eher träge und unkonzentriert entwickelt ist, vergeht kein Moment, in dem er nicht unterhaltsam wäre. Das liegt zum größten Teil an den vielen wundervoll rührenden Augenblicken, die Regisseur Paolo Virzi einzufangen verstanden hat. Wenn sich die beiden in die Jahre gekommenen Figuren unter dem Sternenhimmel auf einer improvisierten Leinwand eine Diashow ihres eigenen Lebens ansehen und dabei verliebte Blicke austauschen, verschmelzen bitterer Weltschmerz und die wundervolle Vorstellung, ein vollendetes, komplett erfülltes Leben voller Liebe verbracht zu haben. Und letztlich ist „Das Leuchten der Erinnerung“genau das – eine knapp zweistündige Liebeserklärung an ein glückliches Leben, eine Feier des Zusammenseins, in guten wie in schlechten Zeiten. Auch wenn das wirklich besondere Moment, der innovative Dreh einer schon oft erzählten Geschichte dem Film letztlich fehlt, vermisst man diesen Aspekt nicht – viel zu witzig, viel zu tragisch und viel zu universal berührend ist dieser sehr einfache Film um die Vergänglichkeit aller und die Unbesiegbarkeit einiger weniger Dinge.
Humor durch Demenz
Donald Sutherland und die im Film sonderbarerweise recht jung aussehende Helen Mirren liefern eine überragende und dabei trotzdem eher subtile Darbietung ab. Wovon „Das Leuchten der Erinnerung“aber auch lebt, sind die Dialoge. Sie sind sehr pointiert und hätten unter den Händen weniger erfahrener Drehbuchautoren, immerhin vier an der Zahl, aufgesetzt wirken können. Besonders Donald Sutherlands Figur, die mit ihrer Tattrigkeit einiges an Humor und unschuldiger Verschrobenheit einbringt, lockert die Geschichte immer wieder auf und lässt vergessen, dass der Grundtenor des Films zutiefst tragisch ist, so wie es Alzheimer-Geschichten nun einmal naturgemäß sind. Sutherland erhielt 2018 einen Ehren-Oscar, ohne in 50 Jahren Schauspielerei auch nur einmal für den regulären Oscar nominiert gewesen zu sein. Helen Mirren war in dieser Hinsicht erfolgreicher – sie war dreimal nominiert und gewann ein weiteres Mal für „Die Queen“im Jahr 2007 als beste Hauptdarstellerin. Sie erhielt auch eine Golden-Globe-Nominierung für ihre Rolle in „Das Leuchten der Erinnerung“. Die Britin war zuletzt im Geisterhaus-Thriller „Winchester: Das Haus der Verdammten“in den Kinos zu sehen. Im kommenden Jahr erscheint unter anderem „The Good Liar“im Kino. An der Seite von Ian McKellen spielt sie eine Frau, die drauf und dran ist, auf einen Betrüger hereinzufallen. Auch der inzwischen 82-jährige Donald Sutherland ist im Gegensatz zu etwa gleichaltrigen Schauspielerkollegen wie Sean Connery und Gene Hackman noch aktiv und ist Anfang 2019 im Sci-Fi-Thriller „Ad Astra“zu sehen, in dem Brad Pitt und Tommy Lee Jones im All einen seit 20 Jahren vermissten Astronauten suchen, der damals außerirdisches Leben finden sollte.
Als Bonusmaterial enthält die Blu-ray einige Trailer, ein kurzes Interview mit Helen Mirren und Donald Sutherland und ein zehnminütiges „Behind The Scenes“, in dem Schauspieler und Filmemacher kurz zu Wort kommen. Letzteres Feature enthält ein paar ganz hübsche Einblicke in die Dreharbeiten und gibt u.a. Preis, dass Donald Sutherland das Wohnmobil die meiste Zeit selbst gefahren hat – und dass Helen Mirren mit über 70 Jahren auch tatsächlich selbst hinten auf einem Motorrad saß, um ihren Filmgatten auf der Autobahn einzufangen, der sie an einer Raststätte vergessen hatte.