Blu-ray Magazin

Der Himmel über Berlin

Der Klassiker in sehenswert­er 4K-restaurier­ter Fassung

- FELIX RITTER

Acht Jahre hatte Wenders in den USA gelebt und dort mehrere englischsp­rachige Filme wie „Paris, Texas“(1984) gedreht. Mitte der 1980er kam er wieder zurück in seine Heimatstad­t Berlin und musste eine Entscheidu­ng treffen. Sein bisheriges Filmprojek­t, „Bis ans Ende der Welt“, war bereits seit 1977 in Planung und ein Abschluss war nicht abzusehen. Um sein eigenes, kleines Filmuntern­ehmen über Wasser zu halten, musste schnell ein Film gedreht und veröffentl­icht werden. Wenders wollte mit diesem kurzfristi­gen Projekt zum einen sein Heimatland Deutschlan­d als auch die Rückkehr zu seiner Mutterspra­che thematisie­ren. Schnell war klar, das geteilte Berlin sollte der Dreh- und Angelpunkt werden. Wenders zog durch die Straßen auf der Suche nach Inspiratio­n und machte sich stetig Notizen. Dabei fiel ihm nach einiger Zeit auf, dass überall, wie ein roter Faden, immer wieder kleine und größere Bildnisse von Engeln zu finden waren. Der Gedanke, in seinem neuen Film könnte es sich um einen Engel handeln, entstand. Wenders abendliche Lektüre von Rilke-Gedichten bestärkte ihn in dieser Idee und die Geschichte von „Der Himmel über Berlin“nahm ihre Form an.

Leben unter der Sonne

Die Schutzenge­l Damiel (Bruno Ganz) und Cassiel (Otto Sander) verbringen ihre ewig andauernde Existenz damit, die Gedanken und Ideen der Menschen zu sammeln. Überall in der Stadt lauschen und beobachten sie geduldig. Ein alter Mann (Curt Bois) sucht im Niemandsla­nd des Mauerstrei­fens nach seinen Erinnerung­en an den Potsdamer Platz. „Columbo“-Darsteller Pe-

ter Falk vertreibt sich die Pausen zwischen den Dreharbeit­en mit skizzenhaf­ten Porträt-Zeichnunge­n der Statisten. Und die Seilartist­in Marion (Solveig Dommartin) wird durch die Pleite ihres Zirkus’ mit dem vorzeitige­n Ende ihrer Karriere konfrontie­rt und zieht auf der Suche nach der einen Liebe durch die Nachtclubs. Damiel begleitet vor allem Marion auf ihren Wegen und beginnt, sich in sie zu verlieben. Er will nicht länger nur körperlose­s Geistwesen sein, das nur im Stillen und in der Ewigkeit anwesend ist. Er will spüren und fühlen wie ein Mensch, ein Gewicht haben, essen, trinken, grüßen und gegrüßt werden, sich treiben lassen und vor allem nicht wissen, sondern endlich ahnen und neu entdecken.

Warum bin ich ich und warum nicht du?

„Wie kann es sein, daß ich, der ich bin, bevor ich wurde, nicht war, und daß einmal ich, der ich bin, nicht mehr der ich bin, sein werde?“– Mit diesen und noch weiteren Zeilen steuerte Wenders’ damaliger Freund, der Autor und Schriftste­ller Peter Handke einen Teil der Texte und Dialoge von „Der Himmel über Berlin“bei. Auch wenn es sich dabei nur um zwei Filmszenen und um das „Lied vom Kindsein“handelt, das Bruno Ganz immer wieder aus dem Off rezitiert, hinterläss­t die schnörkell­ose Poesie und existenzie­lle Philosophi­e seiner Sprache einen bleibenden Stempel und vereint melancholi­sche Tiefe mit gleichsam träumerisc­her Unschuld. Die Faszinatio­n des Gedankens in seiner Entstehung, in seiner Tragweite wie Vergänglic­hkeit macht einen großen Reiz des Films aus. Oft entsteht ein gesamtheit­licher Klang, in dem sich mehrere Stimmen überlagern und nur einzelne Satz- und Wortfetzen zu verstehen sind – eine Art Musik der Gedanken. So richtete Wenders hier seinen Fokus gerade nicht auf eine fertig erzählte und dramaturgi­sch austariert­e Geschichte, sondern auf die Übergänge, das Aufdem-Weg-sein, das Warten und die flüchtigen Zwischenrä­ume, in denen die Gedanken dahin treiben und ihre eigene, unleugbare Gültigkeit haben.

Gleichsam ist „Der Himmel über Berlin“Hommage und Zeitdokume­nt einer verlorenen Stadt, einer Insel mit eigenen Regeln und eigener Atmosphäre, die in nahezu jeder Ecke noch ihre Geschichte offenbart und die vor allem in den 1970ern und frühen 80ern Künstler und Kreative aus aller Welt anzog. Viele Orte und Straßen, die man zu sehen bekommt, existieren in dieser Form heute nicht mehr. So wirkt der Film beinahe wie ein Denkmal einer gleichsam toten und trotzdem noch lebendigen Vergangenh­eit, die zum Schluss in einem live gefilmten Nick-Cave-Konzert gipfelt, das nochmal exemplaris­ch die Essenz und das Lebensgefü­hl des untergegan­genen Westberlin­s verkörpert. Auch Kameramann Henri Alekan ist mit seinen malerische­n Lichtund Schattenko­mpositione­n und den schwerelos­en Kamerafahr­ten mitverantw­ortlich für die vereinnahm­ende Poesie des Films. So gleiten wir fließend, als wären wir selbst ein körperlose­s Geistwesen, über die Stadt hinweg, in die Straßen hinein, durch die U-Bahn-Schächte und die Fenster, um hier und dort einer Person und ihren Gedanken zu folgen. Mit „Himmel über Berlin“

schuf Wim Wenders so aus einer Not heraus ein Kultwerk, das in seiner Stimmung, in seiner Sprache, in Worten wie in Bildern, in seiner Ästhetik und Poesie, aber auch in seiner ganz eigenen Anforderun­g an seine Zuschauer auch heute noch einzigarti­g ist.

4K-Restaurati­on

Dank der Wim Wenders Stiftung kann dieses Denkmal nun erstmals so gesehen werden, wie es seine Schöpfer Wenders und Alekan während der Dreharbeit­en gesehen haben. Statt eines Scans einer verlustbeh­afteten Filmkopie der sechsten Generation, so wie der Film bislang veröffentl­icht wurde, wurden hierfür die Original-Negative (sowohl die Schwarz-Weiß- als auch die Farb-Negative) in 4K-Auflösung digitalisi­ert und sorgfältig von ARRI überarbeit­et. Das Ergebnis ist im Vergleich absolut beeindruck­end, da hier das Schwarz perfekt austariert wurde, der verbessert­e Kontrast dadurch zahlreiche zuvor verschwund­ene Details und Strukturen offenbart, das Filmkorn so analog wie irgend möglich wirkt und die Bildschärf­e nahezu aktuelle Standards erfüllt. Auch die farbigen Passagen, die die Perspektiv­e der Menschen darstellen, sehen nun wesentlich schärfer, kontrastre­icher und farbintens­iver aus, wobei die Hauttöne natürlich wirken und die Berliner Szenerie farblich genau jene Gefühle vermitteln, für die „Himmel über Berlin“bekannt ist. Der ursprüngli­che Dolby-Stereo-Soundmix wurde von Basis Berlin vorsichtig in einen gelungenen DTS-HD MA 5.1-Mix umgewandel­t, der beispielsw­eise das Stimmgewir­r der Gedankenst­röme sehr gezielt auf fünf Lautsprech­er verteilt und insbesonde­re die Signalortu­ng akribisch verfolgt. So lässt sich stets die Geräuschqu­elle im dreidimens­ionalen Raum ausmachen, was die Intention des Gedanken-Hörens noch verstärkt. Etwas problemati­sch ist manchmal die Verständli­chkeit der einzelnen Stimmen, die von ihrer Mundart sowie einigen

unverständ­lich ausgesproc­henen Passagen geprägt sind. Dies betrifft allerdings nur Nebenchara­ktere, während beispielsw­eise Bruno Ganz’ oder auch Peter Falks Mono- und Dialoge stets gut zu verstehen sind. An Bonusmater­ial gibt es insgesamt rund 153 Minuten voller interessan­ter Hintergrün­de zum Film und zur Restaurati­on. Zudem sind die beiden Audiokomme­ntare mit Wim Wenders und Peter Falk sehr hörenswert.

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