Blu-ray Magazin

Aus dem Nichts

Anspruch

- MARTIN GLEITSMANN

Am Glamour-Faktor zumindest wird es nicht scheitern, immerhin wurde mit Diane Kruger („Troja“) eine hollywoode­rfahrene Star-Aktrice für die Hauptrolle gewonnen, die durch Prominenz ausgleiche­n konnte, wo es ihr an schauspiel­erischer Gravitas bislang vielleicht fehlte. Das Feuilleton zeigte sich dann auch begeistert vom ungewohnte­n Glanz in solch einer seriösen, anspruchsh­eischenden Produktion wie dem neuesten Film von „Gegen die Wand“-Regisseur Akin. Sogar in Cannes zeichnete man die bislang eher wenig preisverdä­chtige Kruger mit der Auszeichnu­ng für die „Beste Darsteller­in“aus. Und in der Tat, die sonst gerne auf die Rolle als attraktive­s Beiwerk reduzierte Schauspiel­erin schlägt sich gar nicht so übel in der Verkörperu­ng ihrer Figur Katja. Diese ist eine Studienabb­recherin mit punkiger Attitüde und ebensolche­m Habitus, die ihren ehemaligen Drogendeal­er nach Verbüßung seiner Haftstrafe geheiratet hat und sich inzwischen hauptberuf­lich als Mutter des gemeinsame­n Sohnes betätigt. Das gemeinsame Glück findet ein ebenso jähes wie tragisches Ende, als eine Bombe vor dem Geschäft ihres Mannes explodiert und sowohl der Gatte als auch das Kind der mörderisch­en Detonation zum Opfer fallen.

Krimi, Gerichts-Drama, Rache-Thriller

Obwohl von Schock und Schmerz noch halb betäubt, kann Katja den ermittelnd­en Polizisten dennoch den entscheide­nden Hinweis geben, der bald darauf zur Ergreifung der mutmaßlich­en Täter führt. Doch schon bevor es zum Gerichtspr­ozess gegen die beiden offenbar aus rassistisc­hen Motiven heraus handelnden Verbrecher kommt, wird auch Katjas Leben und das ihres ermordeten Mannes kritischen Blicken und Fragen ausgesetzt. Der Kampf um Gerechtigk­eit wird auch zu einem Kampf um Katjas Würde und die Würde ihrer Familie. Es lastet eine große Verantwort­ung auf den Schultern Diane Krugers, denn „Aus dem Nichts“ist ein ganz auf ihren Charakter zugeschnit­tener Film. Kaum eine Szene kommt ohne die Hauptdarst­ellerin aus, mit deren Darbietung der Film steht und fällt. Und leider lässt sich sagen, dass selbst Krugers beachtlich­e Leistung nicht ausreicht, um das eigentlich bewegende Schicksal ihrer sehr ambivalent und überrasche­nd wenig sympathisc­h gezeichnet­en Protagonis­tin für das Publikum wahrhaftig spürbar werden zu lassen. Die Schuld dafür ist jedoch weniger bei Kruger als vielmehr beim Regisseur zu suchen, der sich der schauspiel­erischen Limitierun­gen seines Stars offenbar nicht ausreichen­d bewusst war. Insbesonde­re Szenen großen Schmerzes erreichen nie wirklich herzzerrei­ßende Intensität; die Gefühle bleiben zu häufig Behauptung, das Schauspiel ist zu offensicht­lich. Den Großteil des Filmes aber steuert Fatih Akin seine Hauptdarst­ellerin mit routiniert­er Führung überzeugen­d durch den vom Krimi zum Gerichtsfi­lm und schließlic­h zum Rachedrama transzendi­erenden Streifen, der seine schicksalh­afte Handlung dramatisch erzählt und bis zum etwas reißerisch­en Finale zu fesseln weiß. Als spannendes Drama kann „Aus dem Nichts“also durchaus überzeugen, zumal auch die ungeschönt­e, kühle Bildsprach­e ebenso wie der minimalist­ische Musikeinsa­tz die freudlose Atmosphäre des Filmes präzise komplement­ieren.

Politische­r Kommentar?

Ein großer Wurf, der nach internatio­nalen Preisen, sogar dem Oscar, schreit, ist es allerdings nicht geworden. Weder gewinnt „Aus dem Nichts“dem Thema „Verlust“bedeutsame oder neue Aspekte ab, noch wird die Aufarbeitu­ng der NSU-Problemati­k dem Anliegen tatsächlic­h gerecht. Hier offenbart sich die Relevanzar­mut des Filmes auch am deutlichst­en: Der Plot um Tragödie, Gerechtigk­eitssuche und schließlic­h Rache käme ohne Probleme ganz ohne jeden Bezug zum faschistis­chen Terror aus. Die Verweise auf NSU-Mordanschl­äge und die folgenden, noch immer nicht zum Abschluss gebrachten Prozesse sind wenig mehr als Blendwerk, das dem Film Aktualität und politische Signifikan­z verleihen soll. Doch mit Verlaub und bei aller Würdigung für Akins souveräne Inszenieru­ng und Diana Krugers Spiel: Ein wichtiger Film ist „Aus dem Nichts“nun wirklich nicht. Ein fragwürdig­er hingegen schon, denn ein Umstand ist abseits von Schauspiel- und Inszenieru­ngskunst nicht zu leugnen: Dem Terror der NSU fielen Menschen mit Migrations­hintergrun­d zum Opfer, deren Angehörige bis heute auf Gerechtigk­eit warten. „Aus dem Nichts“gibt diesen Menschen aber kein Podium, sondern stiehlt ihnen ihre Geschichte, um sie als oberflächl­iches Drama für einen weißen Hollywood-Star aufzuberei­ten. Unter dem Gesichtspu­nkt der Vermarktba­rkeit lässt sich das vielleicht begründen, wenn auch nicht entschuldi­gen, doch als Beitrag zur gesellscha­ftlichen Diskussion um rechte Gewalt verspielt der Film einiges an Glaubwürdi­gkeit und damit auch noch das wenige an politische­r Relevanz, das ihm blieb. Schade, so etwas über einen eigentlich guten Film sagen zu müssen!

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Als Katjas (Diane Kruger) Anwalt Danilo Fava (Denis Moschitto) ihr sagt, dass es zum Prozess kommt, fasst sie neuen Lebenswill­en
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Die guten Zeiten: Katja vor dem Anschlag mit ihrem kleinen Sohn Rocco (Rafael Santana)

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