Aus dem Nichts
Anspruch
Am Glamour-Faktor zumindest wird es nicht scheitern, immerhin wurde mit Diane Kruger („Troja“) eine hollywooderfahrene Star-Aktrice für die Hauptrolle gewonnen, die durch Prominenz ausgleichen konnte, wo es ihr an schauspielerischer Gravitas bislang vielleicht fehlte. Das Feuilleton zeigte sich dann auch begeistert vom ungewohnten Glanz in solch einer seriösen, anspruchsheischenden Produktion wie dem neuesten Film von „Gegen die Wand“-Regisseur Akin. Sogar in Cannes zeichnete man die bislang eher wenig preisverdächtige Kruger mit der Auszeichnung für die „Beste Darstellerin“aus. Und in der Tat, die sonst gerne auf die Rolle als attraktives Beiwerk reduzierte Schauspielerin schlägt sich gar nicht so übel in der Verkörperung ihrer Figur Katja. Diese ist eine Studienabbrecherin mit punkiger Attitüde und ebensolchem Habitus, die ihren ehemaligen Drogendealer nach Verbüßung seiner Haftstrafe geheiratet hat und sich inzwischen hauptberuflich als Mutter des gemeinsamen Sohnes betätigt. Das gemeinsame Glück findet ein ebenso jähes wie tragisches Ende, als eine Bombe vor dem Geschäft ihres Mannes explodiert und sowohl der Gatte als auch das Kind der mörderischen Detonation zum Opfer fallen.
Krimi, Gerichts-Drama, Rache-Thriller
Obwohl von Schock und Schmerz noch halb betäubt, kann Katja den ermittelnden Polizisten dennoch den entscheidenden Hinweis geben, der bald darauf zur Ergreifung der mutmaßlichen Täter führt. Doch schon bevor es zum Gerichtsprozess gegen die beiden offenbar aus rassistischen Motiven heraus handelnden Verbrecher kommt, wird auch Katjas Leben und das ihres ermordeten Mannes kritischen Blicken und Fragen ausgesetzt. Der Kampf um Gerechtigkeit wird auch zu einem Kampf um Katjas Würde und die Würde ihrer Familie. Es lastet eine große Verantwortung auf den Schultern Diane Krugers, denn „Aus dem Nichts“ist ein ganz auf ihren Charakter zugeschnittener Film. Kaum eine Szene kommt ohne die Hauptdarstellerin aus, mit deren Darbietung der Film steht und fällt. Und leider lässt sich sagen, dass selbst Krugers beachtliche Leistung nicht ausreicht, um das eigentlich bewegende Schicksal ihrer sehr ambivalent und überraschend wenig sympathisch gezeichneten Protagonistin für das Publikum wahrhaftig spürbar werden zu lassen. Die Schuld dafür ist jedoch weniger bei Kruger als vielmehr beim Regisseur zu suchen, der sich der schauspielerischen Limitierungen seines Stars offenbar nicht ausreichend bewusst war. Insbesondere Szenen großen Schmerzes erreichen nie wirklich herzzerreißende Intensität; die Gefühle bleiben zu häufig Behauptung, das Schauspiel ist zu offensichtlich. Den Großteil des Filmes aber steuert Fatih Akin seine Hauptdarstellerin mit routinierter Führung überzeugend durch den vom Krimi zum Gerichtsfilm und schließlich zum Rachedrama transzendierenden Streifen, der seine schicksalhafte Handlung dramatisch erzählt und bis zum etwas reißerischen Finale zu fesseln weiß. Als spannendes Drama kann „Aus dem Nichts“also durchaus überzeugen, zumal auch die ungeschönte, kühle Bildsprache ebenso wie der minimalistische Musikeinsatz die freudlose Atmosphäre des Filmes präzise komplementieren.
Politischer Kommentar?
Ein großer Wurf, der nach internationalen Preisen, sogar dem Oscar, schreit, ist es allerdings nicht geworden. Weder gewinnt „Aus dem Nichts“dem Thema „Verlust“bedeutsame oder neue Aspekte ab, noch wird die Aufarbeitung der NSU-Problematik dem Anliegen tatsächlich gerecht. Hier offenbart sich die Relevanzarmut des Filmes auch am deutlichsten: Der Plot um Tragödie, Gerechtigkeitssuche und schließlich Rache käme ohne Probleme ganz ohne jeden Bezug zum faschistischen Terror aus. Die Verweise auf NSU-Mordanschläge und die folgenden, noch immer nicht zum Abschluss gebrachten Prozesse sind wenig mehr als Blendwerk, das dem Film Aktualität und politische Signifikanz verleihen soll. Doch mit Verlaub und bei aller Würdigung für Akins souveräne Inszenierung und Diana Krugers Spiel: Ein wichtiger Film ist „Aus dem Nichts“nun wirklich nicht. Ein fragwürdiger hingegen schon, denn ein Umstand ist abseits von Schauspiel- und Inszenierungskunst nicht zu leugnen: Dem Terror der NSU fielen Menschen mit Migrationshintergrund zum Opfer, deren Angehörige bis heute auf Gerechtigkeit warten. „Aus dem Nichts“gibt diesen Menschen aber kein Podium, sondern stiehlt ihnen ihre Geschichte, um sie als oberflächliches Drama für einen weißen Hollywood-Star aufzubereiten. Unter dem Gesichtspunkt der Vermarktbarkeit lässt sich das vielleicht begründen, wenn auch nicht entschuldigen, doch als Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion um rechte Gewalt verspielt der Film einiges an Glaubwürdigkeit und damit auch noch das wenige an politischer Relevanz, das ihm blieb. Schade, so etwas über einen eigentlich guten Film sagen zu müssen!