THE COMMUTER
Das tägliche Pendeln zur Arbeit und wieder zurück nach Hause ist üblicherweise ein langweiliges, nerviges Ritual, dem der brandneue Actionthriller „The Commuter“jedoch atemlose Hochspannung abzugewinnen versucht.
Liam Neesons Karriere verläuft in ungewöhnlichen Bahnen. Während es durchaus üblich ist, dass insbesondere männliche Schauspieler in jüngeren Jahren körperbetonte und actionlastige Rollen spielen, um dann als reifere Semester den eskapistischen Popanz hinter sich zu lassen und sich ganz dem großen und wichtigen Drama zu widmen, schlägt der Ire den Erwartungen an eine ähnliche Entwicklung ein Schnippchen. Stand die erste Periode seiner Schauspielerei in den Achtzigern und Anfang der Neunziger Jahre noch ganz im Zeichen des Ringens um gute Rollen, das sich in meist kleinen Rollen in solch unterschiedlichen Filmen wie „Krull“, „Excalibur“und schließlich sogar einer Hauptrolle in Sam Raimis „Darkman“niederschlug, läutete die oscargekrönte Darbietung in Steven Spielbergs „Schindlers Liste“eine neue Ära seines Schaffens ein. Seine Rolle als Oscar Schindler verhalf ihm berechtigterweise zu großer Prestige und einem Ruf als ernsthaftem Mimen, dem selbst Auftritte wie der als Jedi-Meister in „Star Wars – Die Dunkle Bedrohung“nichts anhaben konnten. Umso überraschender war es, als sich Neeson 2008 im stattlichen Alter von 56 Jahren noch einmal neu erfand, und zwar als Actionheld im Selbstjustiz-Actionthriller „Taken – 96 Hours“. Diesem rasanten, knallharten und moralisch fragwürdigen Luc-Besson-Vehikel folgten nicht nur zwei Fortsetzungen, sondern auch zahlreiche andere Produzenten erkannten in Liam Neeson plötzlich ungeahntes Potenzial als Actionstar. In einem Alter, in dem viele andere Schauspieler plötzlich ihre Liebe zu Malerei oder Winzerei entdecken, entdeckte Neeson seinen inneren Charles Bronson. Als „Mann mit einer ganz speziellen Reihe von Fähigkeiten“(O-Ton „Taken“) befreite Neeson nicht nur seine Filmfamilien aus den Klauen internationaler Verbrechersyndikate, er räumte auch ganz allgemein mit Terroristen, Ganoven, Außerirdischen und anderem üblen Gesindel auf.
Eingeschworenes Duo
Ein Regisseur scheint zu dieser härteren, physischeren Seite des Stars ein besonders tiefes, inniges Verständnis entwickelt zu haben, inszenierte er doch nicht nur einen, sondern mit „The Commuter“(deutsch übersetzt „Der Pendler“) nun sogar schon vier kernige Reißer mit Neeson. Der Spanier Jaume Collet-Serra hatte sich
mit „House Of Wax“und „Orphan“zunächst vor allem unter Horrorfans einen Namen gemacht, bevor er mit „Unknown Identity“(2011) seinen ersten Actionfilm auf die Leinwände losließ, der Neesons Status als neue Actionikone untermauerte und den Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit darstellte.
„The Commuter“greift für seine Geschichte auf das Konzept des kommerziell bislang erfolgreichsten Streifen des Regisseur-Hauptdarsteller-Gespanns zurück, den Flugzeug-Actionthriller „Non-Stop“aus dem Jahre 2014. Die ähnliche Konstellation ist kein Zufall, sondern wurde nach Aussage des Regisseurs bewusst gewählt, verdankten seiner Ansicht nach doch auch einige von Alfred Hitchcocks besten Filmen ihre Spannung vergleichbaren Situationen. Doch was genau macht diese Konstellation aus? Ein Blick auf die Handlung bringt möglicherweise Klarheit. Liam Neesons Charakter Michael MacCauley wirkt bei erster Betrachtung so langweilig wie die täglichen Zugfahrten, die ihn jeden Tag aus dem Umland nach New York und wieder zurückbringen. MacCauley ist Versicherungsverkäufer, hat allerdings – man ahnt es schon – eine aufregendere Vergangenheit, einst war er nämlich Polizist. Er ist beliebt bei Kollegen und Kunden, hat immer noch Freunde bei der Polizei, über seiner Familie strahlt die Sonne des Glücks. Was seine Frau und sein Sohn allerdings nicht wissen: Der Sonnenschein ist trügerisch, dunkle Wolken finanziellen Ungemachs werfen schon unheilvolle Schatten. Als dem rechtschaffenen Versicherungsmann dann von seiner Firma auch noch aus heiterem Himmel (wir bleiben bei der Wetter-Metaphorik) gekündigt wird, drohen sich die finsteren Wolken zu einem verheerenden Unwetter zusammen zu ballen, das die Zukunft der Familie ernsthaft gefährdet. Eine mögliche Lösung des Problems offenbart sich während der Heimfahrt im Zug, als eine geheimnisvolle fremde Frau (Vera Farmiga), die sich als Joanna vorstellt, MacCauley mit einer hypothetischen Situation konfrontiert. Würde er, so fragt sie ihn, für die Summe von 100 000 Dollar an Bord des Zuges etwas erledigen, das für ihn eine Kleinigkeit wäre, möglicherweise aber große Konsequenzen nach sich ziehen würde, von denen er jedoch nichts erführe? Die Kleinigkeit erweist sich als Suche nach einem Mann, der im Zug nichts verloren habe und dem MacCauley einen GPS-Tracker unterschieben soll. Verständlicherweise kommt dem ehemaligen Polizisten dieses Angebot reichlich zweifelhaft vor, doch angesichts seiner finanziellen Nöte beschließt er, nach dem Gesuchten Ausschau zu halten. Zuvor allerdings folgt er dem Hinweis der inzwischen ausgestiegenen Joanna und findet im WC ein Geldpaket von 25000 Dollar, das er nach einigem Zögern einsteckt. Dann macht er sich auf die Suche.
Zugzwang
Noch weiß er es nicht, doch von nun an gibt es kein Zurück mehr, denn als er schließlich zögert, meldet sich Joanna telefonisch und demonstriert, dass sie das Schicksal seiner Familie
als auch das der Zugpassagiere in ihren Händen hält. Entsetzt muss MacCauley erkennen, dass er, ohne es zu ahnen, Teil einer Verschwörung geworden ist und sich, wenn er nichts tut, um dieser Einhalt zu gebieten, rasend schnell auf eine Katastrophe zubewegt. Wie gut, dass er jetzt auf seine Fähigkeiten als Polizist zurückgreifen kann! Ganz sicher stand nicht nur Hitchcock Pate bei der Geschichte von „The Commuter“, dem gewisse inhaltliche Parallelen zum 1951er Thriller „Der Fremde im Zug“immerhin nicht abzusprechen sind. Hier wie dort lässt sich der Protagonist im Zug auf das Angebot einer fremden Person ein, dessen weitreichende Konsequenzen ihm allerdings nicht bewusst sind. Verlagert der Hitchcock-Film seine Geschichte jedoch zügig zu einem anderen Schauplatz, bleibt die Handlung von „The Commuter“auf den fahrenden Zug beschränkt. Die Hochspannung, welche aus der Action in fortwährender Bewegung und aus der Gruppendynamik der Passagiere an Bord resultiert, ähnelt dann aber eher dem 1990er Jahre-Actionkracher „Speed“oder eben auch dem Vorgängerwerk „Non-Stop“denn dem geruhsam die Spannungsschraube anziehenden Hitchcock-Klassiker. Wer Wert auf plausible Handlungs-Hintergründe und Charakter-Motivationen legt, wird sich freilich mit dem im Verlauf der Geschichte immer komplexer werdenden Verschwörungsplot mitunter etwas schwertun, der ein wenig zu sehr auf Überraschungen und Wendungen aus ist und dabei etwas zu bereitwillig die Grenzen der Glaubwürdigkeit strapaziert. Doch lebt „The Commuter“zum Glück vor allem von den Erfordernissen des dramatischen Augenblicks, weniger vom großen inhaltlichen Kontext. Und dramatische Augenblicke hält der übrigens nahezu vollständig in Sets in den englischen Pinewood-Studios gedrehte Film erfreulicherweise im Übermaß bereit, sodass Betrachtungen über Sinn oder Unsinn von komplizierten Plänen und hinterhältigen Kabalen von der unmittelbaren Wucht des Überlebenskampfes glatt weggefegt werden, zumindest bis nach Ende des Abspanns.
Ein Neeson für alle Fälle
Es ist einmal mehr in nicht zu geringem Teil Liam Neeson zu verdanken, dass „The Commuter“so gut funktioniert. Die lange Erfahrung als Charakterdarsteller, die Spannweite seiner Rollen, seine beruflichen Triumphe, seine persönlichen Schicksalsschläge, all das hilft ihm, nie in die gelangweilte, häufig unfreiwillig selbstparodistische Routine anderer altgedienter Actionstars zu verfallen. Es fällt leicht, sich mit seinem schicksalsgebeutelten Jedermann zu identifizieren, verkörpert er doch jene bodenständige Glaubwürdigkeit, die dem Verschwörungsplot beizeiten abgeht, und die auch in den sporadischen körperlichen Auseinandersetzungen trotz kampfstarker Gegner und fetziger Choreographie nicht leidet, ganz im Gegenteil. Was dem Drehbuch an Plausibilität abgeht, können die vorwärts treibende, stilsichere Inszenierung, der charismatische Hauptdarsteller und ein kongeniales Nebendarsteller-Ensemble großteils wieder gutmachen. Auch manches Hitchcock-Drehbuch war, wenn man ehrlich ist, ziemlich mit der heißen Nadel gestrickt, die darauf aufbauenden Filme aber wurden dank des inszenatorischen Geschicks des Meisters und großartiger Besetzung dennoch zu Klassikern der Filmgeschichte. Und auch wenn in Bezug auf „The Commuter“die Bezeichnung „moderner Klassiker“vielleicht doch etwas sehr voreilig und vermessen wäre, lässt sich nicht abstreiten, dass Regisseur Jaume Collet-Serra seinen Hitchcock studiert, verstanden und in moderne Filmsprache übersetzt hat. Der Vergleiche seines Schaffens zu diesem Film müsste sich Hitchcock jedenfalls ganz sicher nicht schämen.