Blockbuster
Unsane, Gringo, Black Panther, Pacific Rim: Uprising, 12 Strong, Tomb Raider (2018)
Steven Soderbergh widmet sich wieder einmal seinen Lieblingsthemen: Menschliche Krankheitsbilder und der kritische Blick auf die Pharma-Industrie. Ähnlich wie in „Contagion“oder „The Knick“strickt er aus einer harmlosen Alltags-Situation beklemmenden Horror, der jedem zustoßen könnte.
Steven Soderbergh ist seit der Rückkehr aus seiner Schaffenspause einer der umtriebigsten Filmemacher unserer Zeit. Nach dem Ende seiner Arbeit an der brillanten Krankenhaus-Serie „The Knick“2015 schüttelte er den Anti„Ocean’s“-Film „Logan Lucky“, die siebenteilige Miniserie „Mosaic“und den vorliegenden Psychothriller „Unsane“aus dem Ärmel, als wären sie die leichtesten Fingerübungen. Und während sich sein nächster Film, das Sportler-Drama „High Flying Bird“, in der Postproduktionsphase befindet, laufen bereits die Vorbereitungen zum Polit-Drama „The Laundromat“auf Hochtouren. Andere Regisseure stemmen in dieser kurzen Zeit vielleicht gerade mal ein einziges Projekt. Doch wie es aussieht, benötigt Soderbergh keinerlei Schlaf, kommt mit relativ wenig Budget zurecht und produziert auch noch ganz nebenbei weitere Filme und Serien wie „Bill & Ted Face The Music“, „Ocean’s Eight“oder „Now Apocalypse“.
Da stellt sich einem natürlich ganz automatisch die Frage, ob bei solch immensem Arbeitsvolumen überhaupt noch qualitativ hochwertige Produkte entstehen können? Insbesondere, wenn ein Film wie „Unsane“in gerade einmal zehn Tagen mit einem iPhone 7 Plus gedreht wurde, drängt sich geradezu der Verdacht auf, dass es sich um einen Schnellschuss handeln muss, mit dem etwas Geld in die Kasse gespült wird. Gerade einmal 1,5 Millionen US-Dollar soll der Streifen gekostet haben, während er weltweit an den Kinokassen rund 14 Millionen US-Dollar einspielte. Doch bevor Sie jetzt den Artikel vorzeitig beenden, ohne dem Film eine Chance zu geben, sollten Sie sich die Frage stellen: Ist die Qualität eines Films wirklich an solchen Zahlen zu bemessen? Oder besteht die Möglichkeit, dass Soderbergh einfach die Chance nutzte, in einem gerade erst geschlossenen Krankenhaus kostengünstig mit nur wenigen, relativ unbekannten Darstellern und sehr viel Eigeneinsatz eine lang gehegte Vision zu verwirklichen? Schließlich feierte „Unsane“nicht umsonst seine Premiere auf der diesjährigen Berlinale und erntete die unterschiedlichsten Kritiken.
SIMPLE HANDLUNG
Den Kern des Films bildet eine stringente und relativ einfache, gar schon oft verwendete Geschichte im Sinne eines Hitchcockschen Psychothrillers: Eine junge Frau zieht in eine neue Stadt, um einem Stalker zu entkommen. Beim ersten Anzeichen ihres erneut aufblühenden Verfolgungswahns sucht sie eine Psychotherapeutin auf, unterschreibt ein Standard-Formular und landet dadurch unfreiwillig in einer privaten psychiatrischen Anstalt. Fortan versucht sie ihrem Gefängnis zu entkommen, muss aber zu ihrem Entsetzen feststellen, dass ihr Stalker einer der Betreuer ist. Oder bildet sie sich nur alles ein? Jeder Zuschauer, der sich mehr von der Geschichte dieses Soderbergh-Thrillers erhofft, sei hiermit vorgewarnt: Inhaltlich gibt es weder unerwartete Twists noch sonstige Innovationen. Das einzige, was der Film durchgängig macht, ist, die Meinung des Zuschauers bezüglich Sawyers’ (Claire Foy) Geisteszustand immer wieder ins Wanken zu bringen. Dies kombiniert er mit der permanenten Wut und der Fassungslosigkeit über dieses unangenehme Gefühl des Ausgeliefertseins. So stellt er beispielsweise Fallen, in die der Betrachter unbemerkt hineintappt. Gemeint sind die obligatorischen „Verhandlungsgespräche“zwischen der vermeintlich gesunden Patientin und dem medizinischen Personal. Ab dem Moment, in dem Sawyer für die Standard-Untersuchung ihre zivile Kleidung ab- und den Patientenkittel anlegt, muss selbst der objektivste Zuschauer zugeben, dass es merkwürdig klingt, wenn sie sagt „Das ist ein Missverständnis! Ich gehöre nicht hierher!“oder „Gleich kommt die Polizei und holt mich hier heraus!“Na klar!
TOTALE ABHÄNGIGKEIT
Doch wie soll ein gesunder Mensch auch sonst der geschlossenen Anstalt entkommen, als mit der Beteuerung, er sei nicht verrückt? Ein Strategiewechsel zum passiven Absitzen der Gefangenschaft ist angesagt. Wenn sie sich normal verhält, wird sie sicherlich in kürzester Zeit entlassen werden. Ganz gewiss. Auf diese Weise folgt Strategiewechsel um Strategiewechsel, wobei die ins Horror-Genre umschlagende Stalker-Komponente immer mächtiger zu werden scheint. Sobald Sawyer erzählt, wie harmlos alles begann, in welchem Ausmaß sich die Verfolgung und Beeinflussung auf ihr Leben auswirkte und welche Macht der Stalker trotz gerichtlicher Verfügung offenbar immer noch über sie hat, springt der Horror auf den Zuschauer über. Zuvor lag ebenjener eher wie in Franz Kafkas „Das Schloss“in der Vergrößerung des Abstandes zwischen Protagonistin und ihrem Ziel, je stärker sie versucht, dort hinzugelangen. Wie in Kafkas „Der Process“wird die Protagonistin von der Gesellschaft festgesetzt und in eine Rolle gedrängt, die sie mit der Zeit selbst zu akzeptieren scheint. Das alles wirkt abtraumhaft, absurd und etwas abstrakt. Der Stalker allerdings ist eine greifbare Horror-Gestalt, die es so tatsächlich geben könnte. Wenn Matt Damon als polizeilicher Stalking-Spezialist Sawyer erklärt, weshalb man seinen Facebook-Account besser sofort löschen und auch möglichst auf keinerlei Handy-Foto geraten sollte, spricht er direkt zu den Zuschauern, um ihnen echte Angst einzujagen.
DER STALKER-FILM
Darstellerin Claire Foy selbst hat sich zumindest für diesen Film nicht an eine solche Kein-Handy-Regel gehalten. Zehn Tage lang folgte Ihr Soderbergh wie ein Stalker mit der Handykamera seines iPhones und nutzte die Vorteile des sehr flexibel einsetzbaren, kleinen Aufzeichnungsgerätes komplett aus. Egal ob „The Shining“-artige Kamerafahrten durch enge Flure, schnelle Schwenks, extreme Steadycam-artige Aufnahmen oder sehr nahe Perspektiven – das Handy ließ sich offenbar leicht an kleinen Objektiven, Aparaturen oder gar an den Schauspielern selbst befestigen, sodass eine eigene erzählerische Dynamik entstand. Die Aufnahmen wurden in 4K-Auflösung getätigt, wobei sich die Handy-Ästhetik leicht z. B. an der häufigen Überbelichtung, den matten Farben, dem 1.56 : 1-Bildseitenverhältnis sowie den partiellen Bewegungsunschärfen erkennen lässt. Die ansonsten sehr scharfen Handy-Aufnahmen dienten also nicht nur der Kostenersparnis, sondern passen auch stilistisch perfekt zum Thema. Claire Foys enorme Leistung besteht darin, dass sie den Film fast vollständig trägt. Sie spielt eine Person, die in jeder Situation sowohl als völlig gesund als auch als geistig krank gesehen werden
könnte. Als aufstrebende Schauspielerin, die mit der Edel-Serie „The Crown“und der anstehenden Stieg-Larsson-Verfilmung „The Girl In The Spider’s Web“gewiss viele neue Fans dazugewinnt, zeigt sie hier, welch authentische Darstellerin in ihr steckt. Alle anderen Schauspieler spielen ominöse Nebencharaktere, die Sawyer entweder tiefer in die Misere reiten oder ihr Hoffnung auf einen Ausweg geben. Wird sie ihre Mutter (Amy Irving) herausholen? Wird ihr der vernünftig erscheinende Insasse Nate (Jay Pharoah) helfen? Weshalb ist die durchgeknallt wirkende Violet (Juno Temple) so fies zu ihr? Und ist der Pfleger George Shaw wirklich der Stalker David Strine (Joshua Leonard)?
ALLEINSTELLUNGSMERKMAL?
Genaue Beobachter werden feststellen, dass die Farbe Blau als Marker für die Mittel des Machtmissbrauchs auftaucht: Als Pille samt Becher, als Kleidung, Kittel, Raumbeleuchtung, Bettbezug samt Fessel, Gummizellen-Wand, Unterschrift. Sowohl hinter der Kamera, als auch im Schnittraum hat Soderbergh also bei der Inszenierung samt Symbolik ganze Arbeit geleistet und eine tolle Dynamik in die Bildsprache eingebracht. Angesichts des wenig innovativen Skripts und der Tatsache, dass das Szenario der Nervenheilanstalt in Kombination mit potenziell veränderter Wahrnehmung durch solche Filme und Serien wie „12 Monkeys“, „Shutter Island“, „Durchgeknallt“, „Tabula Rasa“sowie „Legion“ein wohlbekanntes ist, tut sich der Film lediglich durch die außergewöhnliche Form und eventuell noch durch das Stalker-Thema hervor. Auch sonst ist er handwerklich gelungen, verwendet coole bis verstörend schräge Synthie-Klänge sowie Klavier-Musik als maßgeschneiderte Untermalung und bewegt sich bis zum Schluss auf dem erzählerischen Niveau eines klassischen Thrillers, mit sämtlichen Vor- und Nachteilen. Das rund vier einhalb-minütige Behind-The-Scenes-Filmchen „Unsanity“ist das einzige Bonusmaterial auf der Disc und dient hauptsächlich dazu, auch den letzten Skeptiker davon überzeugen, dass der Film wirklich ausschließlich mit Handy-Technologie realisiert wurde. Thriller-Fans werden hierin also nichts wirklich Neues entdecken können, außer ein handwerklich und darstellerisch gut inszeniertes Exemplar des Lieblingsgenres.