Hagazussa
Die Alpen im 15. Jahrhundert: Albrun (Aleksandra Cwen) hat als Kind mit angesehen, wie ihre Mutter (Claudia Martini) von der Perchta befallen wurde, einer bösen Hexe, die in den Nächten nach dem Jahreswechsel von den Menschen Besitz ergreift und sie in den Tod führt. Das hängt ihr viele Jahre später immer noch nach: Die anderen Bewohner der Alb glauben, ihre Milch sei vergiftet und auch einen Mann hat sie nie gefunden.
Aber Albrun hat ganz andere Probleme: Seit einiger Zeit glaubt sie, dass jemand – oder etwas – sie verfolgt. Eine Stimme ruft ihren Namen aus dem Dunkel des Waldes, so wie einst ihre besessene Mutter nach ihr gerufen hatte. Der Fluch der Perchta scheint auch auf Albrun zu liegen. Als ihre einzige Freundin (Tanja Petrovsky) sie verrät, driftet Albrun schließlich mehr und mehr in den Wahnsinn ab.
Ein Film mit Vorbildern
Es sind kubricksche Methoden, die Regisseur und Autor Lukas Feigelfeld in seinem Abschlussfilm der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (und gleichzeitig seinem ersten abendfüllenden Spielfilm) zu Felde führt: Wie in „Shining“wird auch in „Hagazussa“durch lange Aufnahmen, monotone und gerade dadurch bedrohlich wirkende musikalische Untermalung und ausgeprägte Dialogarmut ein surreales Setting etabliert, dessen genaue Gefahrenquelle sich zunächst gar nicht lokalisieren lässt.
Wie im thematisch und optisch nicht unähnlichen Überraschungserfolg „The Witch“(2015) dringen Kälte und Geisteskrankheit hier in die Geschichte ein, ähnlich wie die Feuchtigkeit aus den alles umgebenden Wäldern. Die sehr langen Einstellungen und unaufgeregten Kamerafahrten zeichnen eine Welt, in der es praktisch keine Farben gibt und auch nicht geben soll. Umso kontrastiver wirken dann auch einige eingestreute Landschaftsaufnahmen mit strahlend blauem Himmel und sattem Grün, das sonst vom Nacht-und-Nebel-Setting geschluckt wird. Ebenfalls ein effektvolles Detail: Die sehr wenigen Dialoge sind in breitem österreichischen Akzent gehalten, wodurch sich der (wohl meist Hochdeutsch sprechende) Zuschauer noch weniger willkommen fühlt in dieser Welt, in der Traum und Wirklichkeit ineinander übergehen und sich schließlich gar nicht mehr unterscheiden lassen.
Chiffrierter Horror
Entgegen der Erwartung, die der durchschnittliche Zuschauer an einen gruselig gehaltenen Film stellt, sind in „Hagazussa“viele Motive und Einstellungen eingearbeitet, die sich einem nicht sofort erschließen. Die metaphorisch aufgeladene „Wiedergeburt“im Wasser etwa wird nur bei literarisch erfahrenen Zuschauern einen Aha-Moment auslösen und auch sonst gibt es einige Elemente, die subtil, chiffriert oder in irgendeiner Weise analogisiert sind. Der Schlüssel zum Verständnis liegt bei „Hagazussa“sehr viel tiefer vergraben als in anderen Filmen des Genres, was jedoch gerade reizvoll ist.
Was genau die Hagazussa ist, wird im Film gar nicht erwähnt, selbst der Terminus fällt im Lauf der Handlung nicht. Im 36-seitigen Begleitheft, das der limitierten Media-Book-Edition beigelegt ist, wird jedoch erläutert, dass im mittelalterlichen Aberglauben die Hagazussa ein halbdämonisches Wesen war, das auf der das Grundstück umgebenden Hecke oder dem Zaun saß und somit die Personifikation der Grenze zwischen Zivilisation und Wildheit darstellt. Das Begleitheft ist dank einer Interpretation des bekannten Filmwissenschaftlers Marcus Stiglegger sehr aufschlussreich, auch was die weniger verständlichen Passagen und Motive des Films angeht.
Der Edition liegt auch eine Bonus-DVD bei, die jedoch keine weiteren Informationen zum Film selbst enthält, sondern den vorangegangenen und ebenfalls sehr beklemmenden Kurzfilm des Regisseurs (der auch schon „Hagazussa“s Hauptdarstellerin zeigt, jedoch nur in einer Nebenrolle), ein Musikvideo sowie eine erweiterte Szene. Auf der Blu-ray befindet sich noch – ganz ohne Hinweis im Menü – ein Audiokommentar des Regisseurs.