No Game, No Life Zero
Kaum eine populäre Animeserie kommt ohne Kino-Ableger aus. Oft sprechen diese die Hardcore-Fans der Serie an und lassen sich ohne Vorwissen kaum genießen. Gelegentlich wird das andere Medium aber auch genutzt, um neue Fans zu gewinnen. Schauen wir uns an, in welche Kategorie der Kinofilm zu „No Game, No Life“fällt!
Zehn Gebote sind es, denen jedes Wesen der sechzehn intelligenzbegabten Rassen der Fantasywelt Disboard folgen muss. Und im Gegensatz zu den biblischen zehn Geboten steht das Verbot zu töten ganz oben auf der Liste. Gleich danach folgt der Befehl, alle Dispute über Spiele auszutragen. So hat es Tet, der eine wahre Gott, verkündet, und so wird es gemacht. Und so erfahren es die Zuschauer gleich in der ersten Episode der erfolgreichen Anime-TV-Serie „No Game, No Life“aus dem Jahre 2014. Doch wie kam es zu solch ungewöhnlichen Regeln, insbesondere in einem Fantasy-Szenario, wo üblicherweise heldische Gefechte und epische Schlachten an der Tagesordnung stehen? Diese Frage beantwortet „No Game, No Life Zero“, ein Anime-Spielfilm aus dem letzten Jahr, der uns in die Zeit zurückführt, in der noch verheerende Kriege Disboard verwüsteten, sechstausend Jahre vor den Ereignissen der TV-Serie.
Eine Welt in Aufruhr
In der Hierarchie der sechzehn Rassen, die Disboard bevölkern, steht Imanity, die Menschheit, ganz unten, vor sechstausend Jahren schon genauso wie auch in der (fiktiven) Gegenwart. Kein Wunder also, dass es beim weltweiten Kampf der Rassen und ihrer „Old Deus“genannten Götter gar nicht gut aussieht für die Menschen, denen magische Fähigkeiten ebenso abgehen wie göttliche Verbündete.
Immer verzweifelter verheizt Riku, der jugendliche Anführer der letzten Menschen, seine Leute in einem Kampf, der eigentlich schon verloren ist. Während der Schmerz über die von ihm verantworteten Opfer in ihm wütet, stößt Riku in den Ruinen einer alten Elfenstadt auf die ausgestoßene Androidin Schwi (oder auch Schuwi, Untertitel und Synchro sind sich da nicht ganz einig). Das Roboterwesen im Körper eines kleinen Mädchens gehört zur Rasse der „Ex-Machinas“, einer Schwarmintelligenz, von der sich Schwi aus ungeklärten Umständen losgelöst hat. Sie unterbreitet Riku mittels eines Schachspiels das Angebot, sich ihm anzuschließen, um das Mysterium des menschlichen Herzens kennenzulernen. Im Gegenzug würde sie ihm den Grund für den verheerenden Krieg verraten und das Geheimnis, ihn zu beenden.
Zunächst widerwillig – immerhin gehört die Androidin einer feindlichen Rasse an – geht Riku auf das Angebot Schwis ein, doch wie das mit derartigen Beziehungen häufig so ist, lernt man sich kennen, beginnt, andere Standpunkte zu verstehen, kommt man sich näher, verli…, stopp, wir wollen nicht zu viel verraten. Verraten sei aber, dass in der Beziehung letztlich auch der Schlüssel darin liegt, die drohende Vernichtung abzuwenden und den Krieg ein für allemal aus Disboard zu verbannen.
Ernstes Epos
Wer mit der Serie vertraut ist, wird schon aus der kurzen Zusammenfassung der Prämisse von „No Game, No Life Zero“erkennen, dass die Atmosphäre des Spielfilms im Vergleich erheblich finsterer ist. Schon die Tatsache, dass Kämpfe hier eben noch wirkliche Kämpfe auf Leben und Tod und keine Spiele sind, verleiht den Auseinandersetzungen eine häufig bedrückende, regelrecht apokalyptische Intensität, die sich auf den gesamten Film überträgt.
Das Töten, die Verluste, die Furcht haben Riku zu einem Soziopathen gemacht, dessen Fassade heiterer Gelassenheit immer wieder Risse bekommt, aus denen verstörende Ausbrüche von hysterischer Wut und fast noch hysterischerer Albernheit sprudeln. Der Humor und auch der kontroverse Fanservice der Serie haben in einem solchen Umfeld nur wenig Platz, was einerseits konsequent ist, den Film aber im Gegenzug auch zu einer reichlich trostlosen Angelegenheit macht. Vor allem aber lenkt nun nichts mehr ab vom simplen, pseudo-philosophischen Unterbau der Geschichte. Viele große Worte werden ausgetauscht, von denen nicht klar ist, ob den Autoren tatsächlich die dahinterstehenden Konzepte bekannt sind. Viel Zeit wird dafür aufgebracht, heiße Luft zu produzieren, viel zu wenig Zeit hingegen wird der Charakterentwicklung und insbesondere der für den Plot doch so bedeutsamen Beziehungen gewidmet. Viel wird gesagt, wenig gefühlt. Und ohne das relativierende Augenzwinkern der TV-Serie drängt sich zudem eine Frage mit unangenehmer Deutlichkeit auf: Warum ist es den „No Game, No Life“-Machern so unerhört wichtig, dem männlichen und erkennbar erwachsenen Helden der Geschichte unbedingt eine Partnerin an die Seite zu stellen, die erkennbar im Körper eines Kindes steckt, der dann auch noch regelmäßig mehr oder weniger unbekleidet gezeigt wird? Klar, Gründe werden genannt, die diese Entscheidung zumindest soweit motivieren, dass man sich rechtlich auf der sicheren Seite weiß, aber diese Obsession mit romantisierten und sexualisierten minderjährigen Mädchenkörpern scheint doch mehr als nur ein bisschen fragwürdig. Immerhin lenkt sie auch ab von den Qualitäten, die „No Game, No Life Zero“fraglos aufzuweisen hat.
Symphonie der Sinne
Visuell fährt der Film beispielsweise richtig dicke Geschütze auf, insbesondere in den mitreißenden, fantastisch animierten Actionszenen. Statt auf die übersaturierten Farben der Serie setzt „Zero“auf eine großteils gedeckte Farbpalette, aus der kräftige Rot- und Orange-Akzente Unheil dräuend herausbrechen. Die Charakterdesigns kombinieren eigenständige Elemente mit aus der Serie vertrauten Stilen, letzteres immer dann, wenn wenig subtil ein verwandtschaftlicher Zusammenhang über eine Ahnenlinie hergestellt werden soll. Denn – das will der Film sein Publikum nicht vergessen lassen – wir haben es hier mit Vorfahren der Figuren aus der Serie zu tun. Noch deutlicher hebt sich „Zero“auf der Tonspur von seinen TV-Ursprüngen ab. Die unauffälligen Synthie- und Folklore-Klänge der Serie mussten einem angemessen üppigen Orchester-Soundtrack Platz machen, dessen apokalyptische Opulenz einer Wagner-Oper alle Ehre machen würde.
Durch seine bombastische Präsentation empfiehlt sich „No Game, No Life Zero“auf den ersten Blick natürlich regelrecht als attraktiver Einstieg für bislang Uneingeweihte. Und immerhin, nach den etwas undurchsichtigen bis kryptischen ersten fünfzehn Minuten schält sich auch für Neueinsteiger eine Handlung heraus, der sich ohne große Probleme folgen lässt. Es lässt sich aber auch nicht leugnen, dass man es ihnen nicht gerade leicht macht. Zwei, drei Minuten, um ganz kurz die Konstellation und Zusammenhänge der Welt zu erklären, hätten hier Wunder bewirkt. Und die dramatischen Ereignisse der zweiten Filmhälfte verlieren ohne Kenntnis der TV-Serie gar einen Großteil ihrer emotionalen Wucht. Eine echte Empfehlung kann für Neueinsteiger also nicht gegeben werden, es sei denn, man möchte sich einfach an der überwältigenden Bilderflut ergötzen. Fans der Serie hingegen erhalten ein interessantes, wenn auch durchwachsenes Prequel, dass die Welt von Disboard besser zu verstehen hilft.