Special Interest
Egal was kommt, The Frankenstein Complex,
Christian Vogel reist mit seinem Motorrad um die Welt, zeichnet alles auf und macht daraus eine Dokumentation, die nicht nur ihn oder seine Begegnungen mit Menschen aus aller Welt zum Kernthema hat. Auch der Zuschauer selbst steht im Mittelpunkt, der sich mit seinen eigenen Lebensvorstellungen auseinandersetzt.
Meist bedienen sich die Menschen Glückskeksweisheiten, um sich zu motivieren, die eigenen Träume zu erfüllen. Etwa wie „Ein Risiko einzugehen birgt die Gefahr zu scheitern. Keins einzugehen birgt die Gewissheit nicht gewinnen zu können.“Verinnerlicht man sich dieses oder ein anderes Mantra, gehört aber immer noch so einiges dazu, ebenjenes Risiko auch tatsächlich einzugehen und die Konsequenzen zu tragen, seien sie positiver oder negativer Natur. Für seine fast ein Jahr andauernde Weltreise auf dem Motorrad kündigte der damals 34-jährige Journalist Christian Vogel seinen Job und die Wohnung. Er bereitete sich mehrere Monate vor, plante die grobe Route, besorgte Visa, nahm Kontakt zu Menschen auf, die Erfahrung mit solchen Touren hatten und rüstete seine Maschine für die Kameratechnik auf. Zudem eignete er sich Wissen zur Notfall-Medizin sowie Motorrad-Mechanik an und sprach mit seinen Eltern und Bekannten über die Fahrt ins Ungewisse. Und da das Leben nie nach Plan verläuft, kam während der Vorbereitung noch eine neue Liebe hinzu, die den Abschied umso schwerer machte. Authentisch erzählt der Filmemacher über alles, was dazu gehört, so als wolle er dem Zuschauer ein paar Tipps mit auf den Weg geben, sollte dieser mit ähnlichen Gedanken spielen.
Aufbruch
Der Anfang der Dokumentation vermittelt dem Publikum nicht zuletzt durch die professionelle Kameraführung von Bernd Rischner eine Form der Sicherheit. Die einzelnen Interview-Einblendungen mit den Angehörigen geben einen guten Einblick in die Gefühlswelt der Menschen, die Christian Vogel bis dahin begleitet haben. Aber auch das mulmige Gefühl des zunächst drohenden und dann tatsächlich eintreffenden Abschieds wird hervorragend transportiert. Es ist eben doch in erster Linie eine egoistische Entscheidung, die allerlei emotionalen Schaden ausgerechnet bei den Menschen anrichten kann, die einem am nächsten stehen. Und dann geht es endlich los. Aus der Trauer des Abschieds wird Zuversicht und Vorfreude auf all jene Dinge, die nun anstehen.
Mit dem Flugzeug geht es zum Startpunkt der Motorrad-Tour nach Orlando in die USA. Die eingesetzte Kameratechnik bleibt zwar weiterhin in vielen Sequenzen bei der Panasonic GH4, wechselt aber für die Fahrt-Aufnahmen auf die kompaktere GOPRO Hero 4, die dem Zuschauer herrliche Eindrücke vom Roadtrip und einen Hauch von Freiheit vermitteln. So gestaltet sich der erste Teil des Trips genau so, wie es sich jeder Motorrad-Fan oder auch Reisende erträumt: Gut ausgeruht und mit vollem Akku cruist Vogel durch die Gegend, zeltet, passiert interessante Orte und spricht mit nicht minder interessanten Leuten. Zu seinen Gesprächspartnern zählt unter anderem der digitale Pionier Mike Paull, der an den ersten Joysticks mitarbeitete und trotz seines amputierten Unterschenkels nach wie vor eine Passion für das motorisierte Zweirad besitzt. Oder auch Helge Pedersen, dessen Reisebeschreibungen Christian Vogel zu seiner eigenen Tour bewegten und der ihm nun in Persona mitteilt, dass seinem Bike noch ein paar Schrammen zu einer echten Persönlichkeit fehlen. Doch auch Probleme bleiben nicht aus, sei es in der heißen und durch unwegsamen Sand schwer befahrbaren Wüste oder in der Kälte Alaskas. Die Reise führt ihn weiter Richtung Seoul, Wladiwostok in die Mongolai bis hin nach Indien, wo sein Schicksal schließlich ein besonderes Kapitel für ihn bereit hält.
Den Weg als Ziel
Nicht nur Interviews durchbrechen die dichte Atmosphäre des Trips. Obwohl sehr viel mit der Kamera eingefangen wurde, gab es doch Momente, die eine filmische Dokumentation nicht zuließen. Aus diesem Grund wurde das Material an einigen wenigen Stellen um gezeichnete Elemente erweitert, während der Filmemacher aus dem Off die jeweilige Situation beschreibt. Zudem helfen Karten-Animationen bei der Orientierung. Die Doku zeigt wunderschöne Landschaftsaufnahmen und zugleich auch haarsträubende Momente, persönliche Gespräche, Partys, Lehrreiches für Globetrotter (Keine rohe Milch trinken!), manchmal sogar witzige Episoden. Daraus entstehen 122 Minuten gelungene Unterhaltung, die die eigene Reise-Lust anregen und nahezu ohne Romantisierung bzw. Beschönigung zeigen, wie so eine große Tour aussehen kann. Das sind Erfahrungswerte, die man nicht missen sollte, die beeindrucken und anspornen.
Reisebericht