Blu-ray Magazin

Titelthema: „Birds Of Prey“

- FALKO THEUNER

Das noch junge Jahr 2020 steht bei den Comic-verfilmung­en ganz im Zeichen der Powerfraue­n. „Wonder Woman 1984“, „Black Widow“, „Mulan“und „Birds Of Prey“brechen das von Männern dominierte Genre auf. Harley Quinns fröhliche Bande gibt dafür ab dem 6. Februar einen besonders bunten Startschus­s mit dem ersten rein weiblichen Kino-superhelde­nteam.

Trennungen sind immer schmerzhaf­t und es gibt verschiede­ne Methoden, um sie zumindest im Ansatz zu verarbeite­n: Ein neuer Haarschnit­t, Unternehmu­ngen mit Freunden, ein vorübergeh­ender Tapetenwec­hsel, ein Haustier, alternativ­e Hobbies … im Falle der psychisch angeschlag­enen Harleen Quinzel (Margot Robbie) scheint fast alles davon zuzutreffe­n, nachdem sie ihren durchgekna­llten Lover mit dem irren Lächeln verlassen musste. Allerdings ist bei ihr alles ein wenig extremer. Als Haustier, und damit auch als Ersatz-liebesobje­kt, schafft sie sich eine charmant grinsende Hyäne namens Bruce (Wayne?) an, mit der sie fortan gemeinsam lachen kann. Ihr neuer Freundeskr­eis besteht aus Selbstjust­izlern wie Huntress (Mary Elizabeth Winstead), Black Canary (Jurnee Smollett-bell) und Renee Montoya (Rosie Perez). Und ihr neues Hobby hat etwas mit Gewalt an Männern zu tun. Jede Menge Gewalt an Männern, mit Hämmern, Baseballsc­hlägern, Sprengstof­f, spitzen Absätzen, Kopfnüssen, Arschtritt­en, Pistolen, Gewehren, Rollschuhe­n, einer Hyäne und unschlagba­rem, schwarzem Humor. Damit zielt der Film in den

USA auf ein „R-rating“ab, was unserem FSK-18 ähnelt. Der Fairness halber sind auch einige Frauen bei den Opfern der Gewalttäte­rinnen dabei, aber sie tun es ja für einen „guten Zweck“. Und damit ist nicht nur die Unterhaltu­ng der erwachsene­n Kinogänger gemeint.

Emanzipati­on von Mr. J

Der Grund, weshalb solch unterschie­dliche Charaktere – ein mafiöser Rache-engel, eine vom System frustriert­e Polizistin, eine hochfreque­nte Sängerin und eine durchgekna­llte Ex-arkhamasyl­um-therapeuti­n – überhaupt zusammenfi­nden, ist Oberbösewi­cht Roman Sionis (Ewan Mcgregor), auch besser unter dem Namen „Black Mask“bekannt. Mit seiner schwarzen Totenschäd­elmaske ist er in den Comics quasi das optische Pendant zu Marvels Red Skull. Doch im Gegensatz zum knochenges­ichtigen Nazi ist Roman eher ein skrupellos­er Unternehme­r bzw. Mafioso, dessen Untergeben­e ebenfalls zum Tragen von Masken genötigt werden. In seinem Besitz befinden sich zahlreiche Immobilien Gothams und sein Einfluss ist enorm, weshalb es

kaum verwundert, dass er auf irgendeine­r Weise mit jeder einzelnen Frau verbandelt ist, die später zu den „Raubvögeln“gehören wird – sei es nun durch eine geschäftli­che Beziehung oder durch einen Auftragsmo­rd. Warum er jetzt ausgerechn­et so viel Wirbel um die kleine Cassandra Cain (Ella Jay Basco) macht, weiß keiner so recht. Fakt ist, dass die wortkarge Waise (die in den Comics zu Batgirl 2 ausgebilde­t wird) von ihm gejagt wird und offenbar auch eine geübte Diebin ist. Und auch wenn Harley Quinn die Teenagerin zunächst als lästiges Anhängsel empfindet, wächst zwischen ihnen im Laufe der Zeit doch so etwas wie eine Freundscha­ft. Cassandra wiederum entdeckt in der frisch gegründete­ten Superhelde­nformation eine Chance, ihrem Straßen-schicksal zu entkommen bzw. nimmt sich die weiblichen Mitglieder zum Vorbild.

Emanzipati­on von männlichen Helden

Cassandras Schicksal ähnelt entfernt dem von Helena Bertinelli, der Tochter eines Mafia-bosses, die im Kindesalte­r Zeuge des Mordes an ihrer Familie wurde und nun als perfekt ausgebilde­te Killerin unter dem Namen Huntress auf Rache sinnt. Bewaffnet mit Armbrust und Motorrad verfolgt sie gnadenlos all jene, die mit dem Mord in Zusammenha­ng stehen. Renee Montoya wiederum nähert sich dem Szenario von der anderen Seite des Gesetzes. Die toughe Polizei-ermittleri­n wird auf die vielen Toten rund um Sionis aufmerksam, schafft es aber nicht, sich dem Multimilli­onär auf legalem Wege zu nähern. Das von Korruption geprägte System des Gotham-police-department­s macht ihre einen Strich durch die Rechnung, weshalb sie den Fall auf eigene Faust verfolgt. Dinah Lance ist die Dritte im Bunde und erhält aufgrund ihrer tödlichen Stimme den Decknamen „Black Canary“. Einigen Serien-fans dürfte diese Heldin bereits aus dem „Arrowverse“bekannt sein, wo sie an der Seite von Oliver Queen für Gerechtigk­eit sorgt. In „Birds Of Prey“nutzt sie ihre Stimme aber auch zum Singen und bringt in einem von Romans Nachtclubs die Gläser zum schwingen.

Emanzipati­on vom Comic

Dass nun ausgerechn­et Harley Quinn zu dieser Truppe stößt, ist angesichts der Comics erst einmal verwunderl­ich. Dort ist es nämlich die querschnit­tsgelähmte Barbara Gordon (in „The Killing Joke“verletzte sie der Joker schwer mit einer Pistole) alias Batgirl alias Oracle das Gründungsm­itglied, das die „Birds Of Prey“zusammen bringt. Doch seit dem enorm positiv aufgenomme­nen Auftritt Margot Robbies in „Suicide Squad“emanzipert sich die erstmals in der „Batman Animated“-serie aufgetrete­ne Harley Quinn auch zunehmend im Comic vom Joker-sidekick zur alleinsteh­enden Anti-heldin. Seit 2019 kann man sie sogar in ihrer eigenen laufenden Trickserie sehen, wo sie gesprochen von Big-bang-theorystar Kaley Cuoco recht blutige Abenteuer erlebt. Entspreche­nd ihrer anhaltende­n Popularitä­t ist es logisch, dass eher sie als Publikums-magnet fungiert und mit ihrer charmant durchgekna­llten Art (und schon geht die Ace-chemiefabr­ik in Flam

men auf!) die Show rockt. Will man ihren Charakter mit früheren Film- bzw. Comic-heldinnen vergleiche­n, dann ähnelt ihr wohl das von Lori Petty gespielte „Tank Girl“(1995) am meisten, dessen Neuverfilm­ungs-rechte erst 2019 von Margot Robbies Produktion­sfirma Luckychap Entertainm­ent aufgekauft wurden. Auch hier gab es unerwartet­e Musical-einlagen und Gewalt-exzesse zu sehen. Auch hier verbündete­n sich ein paar Frauen und ein Mädchen (mit Jim Hensons Känguru-männern bzw. den Rippers), um einen skrupellos­en Großuntern­ehmer zu stürzen. Das punkig anarchisti­sche Werk der Regisseuri­n Rachel Talalay erhielt damals durchwachs­ene Kritiken, was weniger an der emanzipato­rischen Botschaft oder den kreativen Darstellun­gsformen lag, als an der wirren, unlogische­n Erzählweis­e und Charakterd­arstellung. Auch „Birds Of Prey“ erhält mit Harley Quinn eine durch ihren konfusen Geisteszus­tand nicht gerade vertrauens­würdige Erzählerin, weshalb der Zuschauer mit einigen abgefahren­en Erzähltech­niken rechnen sollte.

Emanzipati­on vom sexy Image

Doch was macht eigentlich Margot Robbies Interpreta­tion der schalkhaft­en Verbrecher-königin so besonders? Was war der Grund, weshalb danach so viele Harley-quinn-kostüme über die Cosplay-ladentheke­n gingen? Das in „Suicide Squad“von ihr dargestell­te Bild zeigt eine sehr athletisch­e, auf Regeln pfeifende, mit Handtasche und Handy hantierend­e, an die große Liebe glaubende, manchmal menschlich­e, meist aber coole Psychopath­in, die neben ihrer enormen Gewaltbere­itschaft vor allem auch eines ist: sexy. Knappe Hot-pants gehörten quasi ebenso zu ihrem Equipment wie ein riesiger Holzhammer oder auch ein Baseball-schläger. In „Birds Of Prey“scheinen die Outfits etwas weniger knapp und noch ein bisschen mehr in die punkigere Richtung zu gehen. Statt ihres „Pudding“-halsbandes, das sie symbolisch an den Joker bindet, trägt sie nun einen Knochen-anhänger mit dem Namen ihrer Hyäne um den Hals. Somit ist klar, dass sie sich nicht mehr für ihren geliebten „Pudding“kleidet, sondern ausschließ­lich ihrem eigenen Kleidungsg­eschmack folgt. Ihre schrullige Art hat sie sich beibehalte­n, ebenso ihre akrobatisc­he Kampfkunst mit vielen Sprüngen, Rädern und Überschläg­en. Doch auch der Person, die sich unter der ganzen Schminke und den extremen Gebaren verbirgt, wird ein wenig mehr Freiraum gegeben. Als Hauptdarst­ellerin, aber

auch als Produzenti­n, definiert Margot Robbie mehr denn je die Darstellun­g dieser ikonischen Comic-figur, die durch sie einen enormen Popularitä­ts-aufschwung erhielt.

Hätte man nicht Harley als Frontfrau gewählt, die dem Kinopublik­um bereits bekannt ist, hätte eine andere Dc-ikone das Ruder übernehmen müssen wie etwa Catwoman, Batgirl, Poison Ivy oder auch Katana, die man ja ebenfalls bereits in „Suicide Squad“erleben durfte. Doch wäre die Zugkraft dadurch wahrschein­lich geschmäler­t gewesen, zumal die für 2021 geplante Fortsetzun­g „The Suicide Squad“unter der Leitung von Marvels „Guardians Of The Galaxy“-regisseur James Gunn nur noch wenige Figuren aus dem ersten Teil vorweisen wird. Bei „Birds Of Prey“entschied man sich für die weitestgeh­end noch unbekannte Regisseuri­n Cathy Yan, die mit ihrem Debut-film „Dead Pigs“(2018) unter anderem auf dem Sundance-filmfestiv­al Erfolge feierte. Für das Drehbuch zeichnet „Bumblebee“-autorin Christina Hodson verantwort­lich, die ebenso an der Produktion des Kinofilms „The Flash“(2022) beteiligt sein wird. Statt als eine Fortsetzun­g zu „Suicide Squad“oder ein Prequel zu „The Suicide Squad“versteht sich „Birds Of Prey“eher als alleinsteh­ender Film. Damit folgt er dem Trend des jüngsten Dc-films „Joker“, erzähleris­ch unabhängig zu bleiben und ein von den restlichen Dc-veröffentl­ichungen völlig losgelöste­s Gotham City zu präsentier­en.

Über die Emanzipati­on hinaus

Der Kinofilm ist übrigens nicht der erste Versuch, die „Birds Of Prey“mit echten Schauspiel­ern zu realisiere­n. Schon 2002 versuchte man mit Huntress (Ashley Scott) als Hauptfigur, die hier noch die Tochter von Batman und Catwoman ist, eine Tv-serie über ein Superheldi­nnen-team aufzuziehe­n. An ihrer Seite kämpften Dinah Lance (Rachel Skarsten) alias Black Canary, sowie die an den Rollstuhl gefesselte Barbara Gordon (Dina Meyer). Auch hier gab es schon eine Harley Quinn (Mia Sara), die als Dr. Harley Quinzel psychisch gestörte Patienten im Arkham Asylum behandelte. Doch wer die Superhelde­n-serien der 1990er Jahre und von Anfang 2000 kennt, weiß, dass die Qualität der Kostüme und Trickeffek­te noch ein paar Stufen unter dem waren, was man von heutigen Genre-vertretern so kennt und dass auch die Action eher aus Explosione­n und durchbroch­enen Fenstersch­eiben bestand als aus sorgfältig durchchore­ographiert­en Martial-arts-einlagen. Die Serie „Birds Of Prey“wirkte daher eher wie „Drei Engel für Charlie“anstatt einer waschechte­n Comic-verfilmung.

Dies ist bei dem am 6. Februar anlaufende­n Kinofilm nicht der Fall. Hier bekommt der Zuschauer die kunterbunt­e Version einer Comic-geschichte aus der verschrobe­nen Perspektiv­e einer durchgekna­llten Erzählerin geboten. Es gibt sowohl freakige Gewalt-exzesse, deren Jugendfrei­gabe wahrschein­lich nicht FSK-12 sein werden, als auch „Susi und Strolch“-momente, die Harley mit ihrer geliebten Hyäne teilt. Abgefahren­e Waffen kommen ebenso zum Einsatz wie skurrile Verkleidun­gen, satte Martial-arts-action, Explosione­n und natürlich waschechte Superheldi­nnen-kostüme, die sich durch ihre Funktional­ität auszeichne­n. Superkräft­e sind allerdings auch hier rar gesät, weshalb eher die Form als der Inhalt die Genre-zugehörigk­eit zum Comic-film bestimmt. Es ist ein energierei­cher, rasanter Tripp, der natürlich auch Klischees wie den Vorzeige-handlanger Victor Zsasz (Chris Messina) beinhaltet, einen Messer-bewährten Fiesling, der sich für jedes seiner Opfer eine weitere Narbe in die Haut ritzt. Glückliche­rweise nimmt sich der Film nicht allzu ernst – warum sollte er auch, schließlic­h ist Harley Quinn aus gutem Grund wie ein Hofnarr gekleidet. Man darf also gespannt sein, ob sie und ihre Girl-gang ihr Publikum entspreche­nd unterhalte­n werden. Zu wünschen wäre es ihr ja, da sie zu den spannendst­en Charaktere­n gehört, die die Us-comic-welt in den letzten Jahrzehnte­n hervorgebr­acht hat.

 ??  ?? Endlich mal geballte Frauenpowe­r ohne männliche Alibiunter­stützung
Endlich mal geballte Frauenpowe­r ohne männliche Alibiunter­stützung
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 ??  ?? Jurnee Smollett-bell übernimmt die Rolle der Black Canary
Jurnee Smollett-bell übernimmt die Rolle der Black Canary
 ??  ?? Ewan Mcgregors verschlage­ner Schurkenbl­ick macht Lust auf mehr „Birds of Prey“wird der achte Film des DC Extended Universe sein
Ewan Mcgregors verschlage­ner Schurkenbl­ick macht Lust auf mehr „Birds of Prey“wird der achte Film des DC Extended Universe sein
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M. Robbie war 2019 eine der bestbezahl­testen Schauspiel­erinnen
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Wie in „Susi & Strolch“sorgt eine einsame Nudel für „Romantik“

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