Blu-ray Magazin

White Lily

- FALKO THEUNER

Japans traditione­lles Filmstudio Nikkatsu wurde 2012 ganze 100 Jahre alt. Während es anfangs mit Filmen im Stile des Shimpa-theaters (modernisie­rte Melodramen) den Markt eroberte, waren es später ab den 1970ern insbesonde­re die sogenannte­n „Roman Porno“-produktion­en, die das Studio finanziell über Wasser hielten. Diese Softcore-pornos folgten nach der sexuellen Revolution Ende der 1960er ähnlichen Strukturen wie die ebenfalls im Entstehen begriffene­n Hentaiund Ecchi-animes. Sie spielten zwar meist in der Alltagswel­t der Zuschauer, beinhaltet­en aber oft auch pervertier­te Fantasien, z. B. mit Aalen, Inzest, Sex mit Schülern, Harems-konstellat­ionen oder sogar Vergewalti­gungen. Es wurde viel herumexper­imentiert, wodurch auch Sex-parodien auf bekannte Tropen wie den Robin-hood-mythos oder Akira Kurosawas „Die sieben Samurai“entstanden. Da dieser Produktion­szweig einen solch wichtigen Part bei der Entwicklun­g des Studios spielte, feierte Nikkatsu 2016 dessen 45jähriges Bestehen mit mehreren „Roman Porno“-filmen, die von namhaften Regisseure­n wie Sion Sono („Antiporno“), Isao Yukisada („Aroused By Gymnopedie­s“), Akihiko Shiota („Wet Woman In The Wind“), Kazuya Shiraishi („Dawn Of The Felines“) und Hideo Nakata („White Lily“) umgesetzt wurden. Beim letztgenan­nten Film handelt es sich um ebenjenen, den wir hier besprechen wollen.

Ästhetisch, sinnlich und hocherotis­ch

„White Lily“führt die Zuschauer zunächst in eine klassische Mentor-schüler-konstellat­ion ein, in der die desillusio­nierte, einst leidenscha­ftliche Töpfermeis­terin Tokiko (Kaori Yamaguchi) dem Alkohol verfallen ist und ihr Heil in flüchtigen One-night-stands sucht. Die wenigen Momente ihrer Nüchternhe­it verbringt sie vor der Kamera, um ihre Töpferschu­le zu promoten, doch ihren Pflichten als Lehrerin kommt sie nicht nach. Würde ihre halb so alte Schülerin Haruka (Rin Asuka) nicht den Laden vollkommen selbststän­dig schmeißen, müsste das Kleinunter­nehmen gewiss dicht machen. Aus Frust wegen des schlechten Sex’ mit ihren Männern sucht Tokiko regelmäßig das Bett ihrer Schülerin auf, die es bereitwill­ig mit ihr teilt. Während die Meisterin einfach nur befriedigt werden will, sieht Haruka in ihr die große Liebe, der sie sich voll und ganz unterwirft. Die wechselhaf­ten Männer-besuche Tokikos machen Haruka nichts aus. Das ändert sich, als der junge, gutaussehe­nde Satoru (Shôma Machii) vor der Tür steht und sein Pflichtpra­ktikum in der Töpferwerk­statt „absitzen“will. In ihn verliebt sich Tokiko sichtbar, sodass sie von Anfang an kaum ihre Finger von dem Jüngling lassen kann. Von Eifersucht gezeichnet wehrt wiederum Haruka die penetrante­n Annäherung­sversuche Satorus ab, dem es offenbar egal ist, was seine Freundin Akane (Kanako Nishikawa) davon hält. „Ring“-regisseur Hideo Nakata begann seine Karriere bei Nakkatsu als Co-regisseur für „Roman Porno“-filme, weshalb er mit diesem erotischen Drama seinem Regie-kollegen Masaru Konuma huldigt. Deshalb entspreche­n die Charaktere auch typischen Figuren-klischees japanische­r Erotik: Die Meisterin, die aus Eifersucht heraus sadistisch­e Züge annimmt und ihre Vormachtst­ellung schamlos ausnutzt; Die Schülerin, die in ihrer kindlichen Art komplette Unterwürfi­gkeit und Selbstaufg­abe mit Liebe verwechsel­t; Und der ebenfalls sehr naive Knabe, der sich komplett passiv und meinungslo­s seiner sexuellen Triebhafti­gkeit ergibt. Völlig unreflekti­ert bleibt dabei das Thema der sexuellen Nötigung durch eine elterliche Vertrauens­person. Auch wenn zwischen den Figuren keinerlei genetische Verwandtsc­haft besteht, so werden auf diese Weise doch inzestuös wirkende Mutter-sohn-tochtermot­ive geschaffen.

Auf der positiven Seite steht die sehr ästhetisch­e Darstellun­g der erotischen Begegnunge­n, die übrigens keineswegs ins Pornografi­sche abdriften und stattdesse­n ohne Ausnahme visuell ansprechen. Die nackten Körper dienen nie der reinen Fleischbes­chau, sind fast immer würdeund kunstvoll inszeniert, während die Intimzonen häufig durch Metaphern wie geöffnete Lilien-blüten oder Ton-formende Finger (samt entspreche­nder „Glitsch“-geräusche) angedeutet bzw. durch klug gewählte Voyeurs-perspektiv­en während des Akts verdeckt werden. Auch, dass es überhaupt einen im Vergleich zu westlichen Erotik-filmen doch sehr tiefgreife­nden dramaturgi­schen Rahmen gibt, ist dem Machwerk anzurechne­n. Mit ausgefeilt­en Charaktere­n, die eine nachvollzi­ehbare Psyche besitzen, wäre das Ganze aber dennoch wesentlich interessan­ter gewesen und stärker in die Richtung von Bernardo Bertolucci­s „Die Träumer“gerückt.

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 ??  ?? Wie in Sartres „Geschlosse­ne Gesellscha­ft“sorgt die Dreierbezi­ehung für stetig steigende Missgunst
Wie in Sartres „Geschlosse­ne Gesellscha­ft“sorgt die Dreierbezi­ehung für stetig steigende Missgunst
 ??  ?? Die ästhetisch­en Liebesszen­en gleichen mehr sinnlichem Vouyeurism­us anstatt Pornograph­ie
Die ästhetisch­en Liebesszen­en gleichen mehr sinnlichem Vouyeurism­us anstatt Pornograph­ie

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