Allein an der Front
Portugal setzt seinem Kriegshelden Aníbal Milhais ein filmisches Denkmal. Soldat Milhais (João Arrais) war im Ersten Weltkrieg – der Titel verrät es – allein an der Front zurückgeblieben. Auf dem Weg durchs feindliche Hinterland versucht er, zurück zu seiner Einheit zu kommen. Portugal ist bekannt für seinen Wein, süßen Nachtisch und Azulejos. Für seine florierende Filmindustrie dagegen kennt man Portugal nicht unbedingt, vor allem nicht für internationale Blockbuster. Dass „Allein an der Front“kaum jemand kennt, liegt daran, dass der Film weder zum cleveren Autorenkino gehört, das man manchmal auf kleineren Filmfestivals findet, noch ein hochdramatischer Kriegsfilm ist. Stattdessen setzt er darauf, dass der Zuschauer den Kriegshelden kennt, von dem außerhalb Portugals jedoch kaum jemand gehört haben dürfte. Der mit nur 85 Minuten recht knapp bemessene Film begeht darüber hinaus noch den fatalen Fehler, die eigentliche Heldentat und damit das Erzählenswerte an der Geschichte erst nach einer Stunde Laufzeit zu präsentieren. „Allein an der Front“hätte sehr spannend werden können, episch, dramatisch – stattdessen schaut man eine Stunde schlecht ausgearbeiteten Charakteren zu, wie sie mittelmäßig synchronisierte Plattitüden von sich geben und sich die Erzählebenen sinnentleert vermischen. Es ist, als hätte „The Revenant“die irrelevante Vorgeschichte von Hugh Glass ausufernd erzählt und dann den Bärenangriff und die Rückkehr in die Zivilisation in nur 20 Minuten gepresst.
Oder als würde die Titanic erst zehn Minuten vor dem Abspann sinken. Das funktioniert hinten und vorne nicht und auch in einer unerfahrenen Produktionsfirma hätte das jemand bemerken müssen.
Tock, tock, tock, tock – vier Mal klopfen zur vollen Stunde bedeutet: Wir sind noch da, wir leben noch! Die 23 verbliebenen Männer an Bord des havarierten und auf Grund gelaufenen russischen U-bootes K-141 genannt Kursk hoffen verzweifelt auf Rettung. Doch während die einen hoffen, zögern die anderen und die Uhr tickt.
Das Wasser steigt, die Atemluft wird langsam knapp und alles, was zwischen Leben und Tod liegt, ist eine dünne Schicht Metall. Rettung ist unterwegs. Hofft man. Doch was, wenn nicht? Wenn die Menschen, denen man sein Leben anvertraut, am Ende doch nicht kommen? Das eigene Leben nicht mehr in der Hand zu haben ist ein Gefühl, das einen um den Verstand bringen kann – eine Situation, die niemand erleben möchte. Und doch befanden sich 23 russische Soldaten des Atom-u-bootes K-141 Kursk am 12. August 2000 in genau dieser prekären Situation. Ihre Geschichte und ihr trauriges Schicksal wurden nun von Thomas Vinterberg verfilmt. Damit geht der Mitbegründer der Dogma-95-bewegung erstaunlich mainstream-artige Wege, ist der dänischen Regisseurs doch vor allem durch seine intimen Beziehungsgeschichten à la „Das Fest“oder „Die Kommune“bekannt. Tatsächlich entstammt die Idee auch nicht seinem Kopf, sondern der Filmproduktionsgesellschaft Europacorp, die ihn 2016 mit der Umsetzung der U-boot-katastrophe beauftragte. Auch wenn die Geschichte grundsätzlich auf einer wahren Begebenheit basiert, fußt das Drehbuch von Robert Rodat („Der Soldat James Ryan“) in weiten Teilen auf dem
Buch „A Time To Die“, das zwei Jahre nach dem Unglück erschien und vom Us-amerikanischen Autor und Journalisten Robert Moore stammt. Dank dessen akribischer Forschung rund um das havarierte Atom-u-boot, besticht der Film nicht nur durch eine emotionale Handlung, sondern auch durch traurige Fakten und eine Menge unglaublicher Details. Es zeigt, wie leichtfertig man Menschenleben aufs Spiel gesetzt hat, wie die Öffentlichkeit mit Lügen hingehalten wurde und wie der Propaganda-apparat versuchte, die eigenen Probleme zu vertuschen. Das alles nur aus Angst vor Spionage, falschem Stolz und politischen Machtspielchen. Glücklicherweise legt Vinterberg den Fokus seines Films nicht auf die politische Anklage. Vielmehr versucht er durch gezielte Inszenierung der hilflosen Familien, vor allem in Person der schwangeren Ehefrau Tanya Averina (Léa Seydoux), das Gewicht des Films auf die für ihn typische Gefühls- und Beziehungsebene zu stellen. Damit gewinnt das Werk an Handlungsbreite, verliert jedoch auch an Tiefe.
Kein Entrinnen
Wie familiär und stark die Gemeinschaft der Uboot Männer ist, zeigt sich bereits zu Beginn des Films, als die halbe Besatzung auf der Hochzeit des Maschinenoffiziers Pavel Sonin (Matthias Schweighöfer) zusammenkommt und einen Tag vor Auslaufen der Kursk gemeinsam feiert und singt. Wer an böse Omen glaubt, kann angesichts der wiederkehrenden Betonung des harten Marinelebens und angesichts dessen, was es den Ehefrauen abverlangt, schon erahnen, dass diese Reise kein gutes Ende nimmt. Am 10. August beginnt das Manöver in der Barentsee und das U-boot, beladen mit scharfen Torpedos, geht auf Tauchgang. Bereits zwei Tage später kommt es zur Katastrophe. Ein Sprengkörper detoniert und die Kursk sinkt auf den Meeresboden. Von den 118 Männern an Bord können sich lediglich 23, darunter der Kapitänleutnant Mikhail Kalekov (Matthias Schoenaerts), in den hinteren noch intakten Teil retten. Neben einer Ausstiegsluke und dem Notstromgenerator befindet sich auch ein Sauerstoffgerät in diesem Abschnitt. Es keimt Hoffnung auf bei den Soldaten. Aus der anfänglichen Euphorie wird allerdings schnell ein knallharter Überlebenskampf, denn aus eigener Kraft können sie ihrem nahenden Tod nicht entgehen. Sie sind auf Hilfe von außen angewiesen. Doch während ihre Familien ahnungslos um ihre Männer bangen, verstrickt sich im Film die russische Regierung in Lügen, Ausflüchten und Selbstüberschätzung. Die Angst vor Spionage und internationaler Blamage wiegt für die Befehlshaber höher als das Leben ihrer Kameraden. Ein Wettlauf gegen die Zeit und ein Kampf um Vernunft beginnt, als der britische Kommandeur David Russel (Colin Firth) seine Hilfe anbietet, aber auf Ablehnung seitens der russischen Regierung stößt.
Luft anhalten
Wenngleich nur selten eine beklemmende Stimmung aufkommt, weil der Film zum einen zu oft zwischen den verschiedenen Handlungssträngen an Land und unter Wasser hin und her springt und zum anderen die U-boot Szenen zu geräumig wirken, vermag der Film dennoch über 118 Minuten Laufzeit hinweg zu fesseln. Die Spannung wird zum Ende hin merklich gesteigert und man fühlt bei jeder unglücklichen Entscheidung mit, selbst wenn man den Ausgang der Tragödie eigentlich kennt. Insbesondere in einer dreiminütigen Unterwasserszene hält man als Zuschauer fast unbewusst selbst den Atem an. Hier kann sich der Film in Sachen Inszenierung wirklich auszeichnen. Nichtsdestotrotz reicht es kaum, um an andere berühmte Tiefseefilme wie “Das Boot“von Wolfgang Petersen atmosphärisch heranzureichen. Auch schauspielerisch ist der Film durchaus gut und international besetzt, aber kann angesichts der doch zu starr ausgelegten Rollen nicht immer überzeugen. Nahezu jeder hat eine klare, fast klischeehafte Rolle und entwickelt sich im Laufe des Films nicht wirklich weiter. Vielleicht liegt darin auch der Grund, weshalb kaum ein russischer Schauspieler in der Besetzungsliste gelandet ist. Technisch wirkt der Film derweil älter als er eigentlich ist. Die grobe Filmkörnung und die etwas unscharfen, dunklen Szenen fallen dabei immer wieder auf. Darüber hinaus hält Vinterberg zu Beginn und Ende des Films einen interessanten visuellen Clou bereit, wenn das Bild im 4:3-Format erscheint. Erst mit dem Tauchgang der Kursk breitet sich das Bild dann wieder auf das aktuell gängige 16:9-Format aus und erfasst damit die ganze Größe der See. Akustisch geht das U-boot-drama einen qualitativen Mittelweg. Zwar klingen die Geräusche realistisch und dynamisch, aber oftmals auch störend oder zu bestimmt, um eine ernsthafte klaustrophobische Stimmung zu erschaffen. Unter den Extras befinden sich ein kurzes Making-of, einige U-boot-features und eine Bildergalerie.