Systemsprenger
Drama
Anspruch
OT: Systemsprenger L: DE J: 2019 V: Euro Video
B: 1.85 : 1 T: DD 5.1 R: Nora Fingscheidt
D: Helena Zengel, Albrecht Schuch, Gabriela Maria Schmeide LZ: 120 min FSK: 12 W-cover: ja
Als Systemsprenger wird in der Verhaltenspsychologie Kinder oder Jugendliche bezeichnet, die sich nicht in ein System von Hilfsmaßnahmen eingliedern lassen. Im gleichnamigen Spielfilmdebüt von Regisseurin Nora Fingscheidt trifft diese Definition auf die Hauptfigur Bernadette Klaaß zu, die sich selber lieber Benni nennt. Als die Mutter mit der Erziehung der verhaltensauffälligen Neunjährigen total überfordert ist, wird Benni fortan durch verschiedene sozialpädagogische Maßnahmen geschleift, ohne eine langfristige Besserung zu erfahren. Der Kleinen droht die geschlossene Psychiatrie. Doch im Erzieher und Anti-gewalt-trainer Micha (Albrecht Schuch) scheint sie einen geistigen Verbündeten gefunden zu haben. „Systemsprenger“erwies sich als Publikumserfolg und Liebling der Kritiker gleichermaßen. Darüber hinaus gewann der Film den Silbernen Bären auf der Berlinale. Regisseurin und Drehbuchautorin
Nora Fingscheidt hat sich fünf Jahre für die Recherche Zeit gelassen. Das Ergebnis ist eine detaillierte Charakterstudie eines von Aggressionen zerfressenen Mädchens, welches sich in der Welt, die ihr präsentiert wird, nicht zurecht findet. Benni wird dabei authentisch von Helena Zengel verkörpert, die schon in „Die Tochter“zwei Jahre zuvor eine titelgebende Rolle spielte. Zur Zeit steht die Elfjährige zusammen mit Tom Hanks für „News Of The World“unter der Regie von Paul Greengrass vor der Kamera, der in Deutschland im Januar 2021 anlaufen wird. Ebenso authentisch bleiben das realistische Szenario, die handelnden Figuren und der bodenständige Dialog. Überschaubar bleiben die Szenen, in denen der Film künstlich aufgesetzte Kniffe zur Dramatisierung einsetzt.
„Stummer Schrei nach Liebe...“
Die Handlungen und Motivationen der agierenden Charaktere werden während der gesamten Lauflänge des Films aus zwei Perspektiven beleuchtet. Zum einen beschäftigt sich die Geschichte mit der ewigen Flucht Bennis vor dem (Hilfs-)system und den damit verbundenen Maßnahmen. Für die kleine Systemsprengerin ist das System gesichtslos, ihre vom Staat zugetragenen Vormünder spricht Benni nicht mit dem Vornamen an, sondern bezeichnet sie nur als Erzieher. Bennis ganzer Körper ist von Verletzungen gezeichnet. Ihre immer wieder auftretenden Gewaltausbrüche sind ein Zeichen von fortschreitender Selbstzerstörung. Es scheint ihre einzige Möglichkeit zu sein, sich dem System zu entziehen.
Auf der anderen Seite stehen die Mitarbeiter vom sozialen Dienst, die den Gewaltausbrüchen des Mädchens ratlos gegenüberstehen. Nur der Anti-gewalt-trainer Michael Heller entwickelt sich im Laufe der Geschichte zu einer vermeintlichen Vaterfigur. Micha weicht nicht wie ihre Mutter vor der Gewalt Bennis zurück und schenkt ihr damit als einziger in ihrem Leben Liebe und Geborgenheit. Er ist der erste Vormund, den sie nicht als Erzieher betitelt, sondern mit Vornamen anspricht. Doch Micha ist nur eine staatliche Figur und kann die Familie für Benni nicht ersetzen. Je näher sich Benni Micha annähert, desto abweisender muss der Erzieher werden, da es nicht seine Aufgabe ist, die Familie der Kleinen zu ersetzen. Er selbst hat schon eine eigene Familie. Ein Paradox tritt auf, da sich der Staat als Vormund aufspielt, die Familie dennoch nicht ersetzen kann. Und so setzt sich die Selbstzerstörung Bennis und die Desintegration aus dem System fort. „Systemsprenger“ist kein Film, bei dem besonders viel Bonusmaterial zu erwarten ist. Lediglich ein paar Interviews liegen bereit, welche die Motivation hinter dem Thema und den Figuren etwas erläutern. Zu erwähnen ist hier noch der informationsreiche Szenen-kommentar von Prof. Dr. Menno Baumann, in dem der pädagogische Ansatz in der Handlung des Films erklärt wird.