Light Of My Life
Fast zehn Jahre ist es her, dass die so genannte „Frauenpest“nahezu allen Frauen und Mädchen der Welt das Leben gekostet hat. Ein junger Vater (Casey Affleck) hat damals seine Frau (Elisabeth Moss) verloren. Seine kurz zuvor geborene Tochter Rag (Anna Pniowsky) hat überlebt, aber ihr Leben ist von Anfang an in höchster Gefahr – nicht wegen der Krankheit, sondern wegen der nahezu komplett männlichen Zivilisation, die ihren Fortbestand sichern möchte. Die beiden campieren seit zehn Jahren in den Wäldern, ernähren sich von Wurzeln und Beeren, immer in der Hoffnung, dass sie niemanden treffen, denn die Lüge, dass Rag ein Junge ist, wird immer unglaubwürdiger und könnte jederzeit auffliegen. Als einmal mehr der Winter hereinbricht, sind die beiden gezwungen, Obdach zu suchen. Aber wem können sie vertrauen? „Light Of My Life“lebt von den kleinen Augenblicken, die in langen, schnittarmen Szenen verletzliche Momente der Erziehung eines Mädchens wiedergeben. So ist die erste Szene des Films ein mehr als zehnminütiger Dialog, in dem der namenlose Vater Rag ein Märchen erzählt, dessen Prämisse die clevere Zehnjährige schnell durchschaut. Immer wieder wird die hierarchisch übergeordnete Position des Erziehers in Frage gestellt, etwa in einer sehr eindrucksvollen Szene, in der der Vater seine Tochter nicht nur aufklärt, worüber sie jedoch schon Bescheid weiß, sondern sie auch unbeholfen auf die Menstruation vorbereitet. Wer in dieser Szene verletzlicher ist, lässt sich kaum sagen und sie ist ein Beispiel dafür, wie gute Filme auch von dem leben, was sie gerade nicht sagen; der Kontrast der Vaterfigur zwischen der Verbitterung darüber, dass sein kleines Mädchen schon viel näher an der Pubertät ist, als er sich eingestehen möchte und der Erleichterung darüber, dass sie immer selbstständiger wird und er so womöglich weniger Verantwortung tragen muss, kommt im Dialog nie vor, wird aber immer wieder im Subtext vermittelt.
Der väterliche Kampf ist weniger einer gegen die Feinde, die ihm seine Tochter rauben wollen, sondern einer gegen die Zeit. Der innere Konflikt entsteht wesentlich dadurch, dass Rag trotz aller Bemühungen des Vaters irgendwann zwangsläufig in die Pubertät kommen muss. Egal, wie sehr der Vater es auch verhindern möchte, seine noch unschuldige, manchmal naive Tochter wird in einer dystopischen Welt leben, in der sie nie sicher sein wird und in der sie zwangsläufig ein Kind nach dem anderen gebären werden muss, bis die Welt „wieder ausgeglichen“ist, wie er es nennt. Sie wird nie als Mensch gesehen werden, sondern immer als Frau, als Wesen, das funktionalisiert wird, reduziert auf die pure Fähigkeit und vielleicht sogar moralische Verpflichtung, die Art zu erhalten. Diese bittere Aussicht wird untermalt von farbreduzierten und trotzdem sehr hübschen Aufnahmen und einer sparsam eingesetzten melodramatischen Musikuntermalung.
Hollywoods Leisetreter
Casey Affleck ist kein lauter Mann. Er hat bisher nur drei Drehbücher geschrieben: Das eigenwillige Zwei-mann-drama „Gerry“, das 2002 von Gus Van Sant verfilmt wurde, 2010 „I’m Still Here“und im letzten Jahr „Light Of My Life“. Die Pseudodoku
„I’m Still Here“tanzt aus der Reihe aber in den beiden anderen Filmen spielte Casey, der fast auf den Tag genau drei Jahre jüngere Bruder von Ben Affleck, eine männliche Hauptrolle und legte Wert auf eine ruhige Erzählweise, die figuren- statt handlungszentriert ist und voller Figuren, die am Rand des Abgrunds existieren. Diese Tendenz zeichnete sich schon früh ab und 20 Jahre später läuft Casey Affleck Gefahr, sich zumindest schauspielerisch in einer Nische festzufahren. Die ewig selbe Rolle, die er z.b. in „Manchester By The Sea“genauso wie in „Light Of My Life“spielt, führte zwar noch nie zu Misserfolgen, aber es wäre schön, den 44-Jährigen auch einmal in Rollen zu sehen, die ihn auf andere Weise fordern.