Blu-ray Magazin

Light Of My Life

- STEFFEN KUTZNER

Fast zehn Jahre ist es her, dass die so genannte „Frauenpest“nahezu allen Frauen und Mädchen der Welt das Leben gekostet hat. Ein junger Vater (Casey Affleck) hat damals seine Frau (Elisabeth Moss) verloren. Seine kurz zuvor geborene Tochter Rag (Anna Pniowsky) hat überlebt, aber ihr Leben ist von Anfang an in höchster Gefahr – nicht wegen der Krankheit, sondern wegen der nahezu komplett männlichen Zivilisati­on, die ihren Fortbestan­d sichern möchte. Die beiden campieren seit zehn Jahren in den Wäldern, ernähren sich von Wurzeln und Beeren, immer in der Hoffnung, dass sie niemanden treffen, denn die Lüge, dass Rag ein Junge ist, wird immer unglaubwür­diger und könnte jederzeit auffliegen. Als einmal mehr der Winter hereinbric­ht, sind die beiden gezwungen, Obdach zu suchen. Aber wem können sie vertrauen? „Light Of My Life“lebt von den kleinen Augenblick­en, die in langen, schnittarm­en Szenen verletzlic­he Momente der Erziehung eines Mädchens wiedergebe­n. So ist die erste Szene des Films ein mehr als zehnminüti­ger Dialog, in dem der namenlose Vater Rag ein Märchen erzählt, dessen Prämisse die clevere Zehnjährig­e schnell durchschau­t. Immer wieder wird die hierarchis­ch übergeordn­ete Position des Erziehers in Frage gestellt, etwa in einer sehr eindrucksv­ollen Szene, in der der Vater seine Tochter nicht nur aufklärt, worüber sie jedoch schon Bescheid weiß, sondern sie auch unbeholfen auf die Menstruati­on vorbereite­t. Wer in dieser Szene verletzlic­her ist, lässt sich kaum sagen und sie ist ein Beispiel dafür, wie gute Filme auch von dem leben, was sie gerade nicht sagen; der Kontrast der Vaterfigur zwischen der Verbitteru­ng darüber, dass sein kleines Mädchen schon viel näher an der Pubertät ist, als er sich eingestehe­n möchte und der Erleichter­ung darüber, dass sie immer selbststän­diger wird und er so womöglich weniger Verantwort­ung tragen muss, kommt im Dialog nie vor, wird aber immer wieder im Subtext vermittelt.

Der väterliche Kampf ist weniger einer gegen die Feinde, die ihm seine Tochter rauben wollen, sondern einer gegen die Zeit. Der innere Konflikt entsteht wesentlich dadurch, dass Rag trotz aller Bemühungen des Vaters irgendwann zwangsläuf­ig in die Pubertät kommen muss. Egal, wie sehr der Vater es auch verhindern möchte, seine noch unschuldig­e, manchmal naive Tochter wird in einer dystopisch­en Welt leben, in der sie nie sicher sein wird und in der sie zwangsläuf­ig ein Kind nach dem anderen gebären werden muss, bis die Welt „wieder ausgeglich­en“ist, wie er es nennt. Sie wird nie als Mensch gesehen werden, sondern immer als Frau, als Wesen, das funktional­isiert wird, reduziert auf die pure Fähigkeit und vielleicht sogar moralische Verpflicht­ung, die Art zu erhalten. Diese bittere Aussicht wird untermalt von farbreduzi­erten und trotzdem sehr hübschen Aufnahmen und einer sparsam eingesetzt­en melodramat­ischen Musikunter­malung.

Hollywoods Leisetrete­r

Casey Affleck ist kein lauter Mann. Er hat bisher nur drei Drehbücher geschriebe­n: Das eigenwilli­ge Zwei-mann-drama „Gerry“, das 2002 von Gus Van Sant verfilmt wurde, 2010 „I’m Still Here“und im letzten Jahr „Light Of My Life“. Die Pseudodoku

„I’m Still Here“tanzt aus der Reihe aber in den beiden anderen Filmen spielte Casey, der fast auf den Tag genau drei Jahre jüngere Bruder von Ben Affleck, eine männliche Hauptrolle und legte Wert auf eine ruhige Erzählweis­e, die figuren- statt handlungsz­entriert ist und voller Figuren, die am Rand des Abgrunds existieren. Diese Tendenz zeichnete sich schon früh ab und 20 Jahre später läuft Casey Affleck Gefahr, sich zumindest schauspiel­erisch in einer Nische festzufahr­en. Die ewig selbe Rolle, die er z.b. in „Manchester By The Sea“genauso wie in „Light Of My Life“spielt, führte zwar noch nie zu Misserfolg­en, aber es wäre schön, den 44-Jährigen auch einmal in Rollen zu sehen, die ihn auf andere Weise fordern.

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 ??  ?? Ein bisschen heile Welt: Bücher geben Rag (Anna Pniowsky) die Möglichkei­t der geistigen Flucht
Ein bisschen heile Welt: Bücher geben Rag (Anna Pniowsky) die Möglichkei­t der geistigen Flucht
 ??  ?? Die Abgeschied­enheit ist nötig, um in Frieden leben zu können und die Tochter zu verbergen
Die Abgeschied­enheit ist nötig, um in Frieden leben zu können und die Tochter zu verbergen
 ??  ?? OT: Light Of My Life L: US J: 2019 V: Leonine
B: 2.40 : 1 T: DTS-HD MA 5.1 R: Casey Affleck
D: Casey Affleck, Anna Pniowsky, Tom Bower, Elisabeth Moss LZ: 120 min FSK: 12 W-cover: nein
OT: Light Of My Life L: US J: 2019 V: Leonine B: 2.40 : 1 T: DTS-HD MA 5.1 R: Casey Affleck D: Casey Affleck, Anna Pniowsky, Tom Bower, Elisabeth Moss LZ: 120 min FSK: 12 W-cover: nein
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