THE DRAGON DENTIST
Zahnschmerzen, Bohrer, Wurzelbehandlung – wer auch immer auf die verrückte Idee gekommen ist, einen Animefilm über Zahnärzte und deren zumindest für Patienten unangenehme Arbeit zu machen, muss ein guter Verkäufer sein. Dass daraus ein echter Publikumsmag
Der Film beginnt mit einer Seeschlacht, die an den Ersten Weltkrieg erinnert. Weder Drachen noch Zahnärzte sind in Sicht, als eine Kriegsflotte auf offenem Meer angegriffen und versenkt wird. Die eingeblendeten See-karten und das neunmalkluge taktische Gebrabbel des ersten Offiziers können die Mannschaft nicht vor dem sicheren Tod retten. Viel zu spät hat einer der Sterbenden die Erkenntnis, dass der mysteriöse Angreifer ein Drache sein könnte. Obwohl die Szenerie bis dahin komplett frei von klassischer Fantasy wirkt, scheint der erkennende Soldat nicht allzu überrascht über die Existenz eines solch monströsen Fabelwesens. Szenenwechsel zum Alltag von Nonoko, der Heldin des Films: einer waschechten Drachenzahnärztin. Die Teenagerin lebt hoch über den Wolken und sieht nicht gerade wie jemand aus, der einen Hochschulabschluss in Zahnmedizin hat und eine eigene Praxis leitet. Wie ein Ninja hüpft sie zwischen den wolkenkratzerhohen Zähnen eines Drachen umher und bekämpft gekonnt umherspringende, schwarze Keime. Gut, dass ihr Stab eine Art magisches Multifunktionswerkzeug darstellt. Vergleichbar ist Nonokos Arbeit mit einem typisch japanischen Rollenspiel, in dem die Helden viele kleine Viecher killen, bevor der große Endgegner kommt. Würde der Drache Zahnseide verwenden, könnten sich vermutlich keine roten Antidentale in den Zwischenräumen einnisten, die selbst für Menschen gefährlich sind. Noch gefährlicher sind die Kobold-bazillen, das fiese Äquivalent zur menschlichen Parodontose. Auf einem ihrer Streifzüge entdeckt die junge Helferin einen bewusstlosen Reserve-offizier der gegnerischen Armee. Fast wäre Bell wieder in den Drachenzahn geglitten, der laut Erklärung zum Totenreich der Menschen führt. Ab hier wird es metaphysisch, denn der bakterielle Befall der Drachenzähne erhält auf diese Weise eine direkte Verbindung zum Kriegstreiben auf der Erde. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Je mehr Pflege der Mundraum der Echse erhält, desto besänftigter sind die gequälten Seelen.
Zahnärzte, Drachen & Krieg
Bells Auftauchen aus dem Reich der Toten ist ein ungewöhnliches Ereignis für die versammelte
Zahnarztmannschaft. Da ist also ein Drache, auf dem die Zahnärzte in Putzsymbiose leben wie die Madenhacker im Maul eines Nilpferdes - ein gut funktionierendes Bild für Friedenskämpfer und -bewahrer. Ebenso wie schmerzhafte Zahnfäule unmissverständlich für die hass- und angstgetriebenen Taten im Krieg stehen kann. Da die Friedenshüter alias die Zahnärzte nicht auf die Auslieferungs-„bitte“der landeseigenen Soldaten eingehen wollen, sind sie gezwungen den gefundenen Bell in ihre Reihen aufzunehmen, da er sonst im Namen des militärtaktischen Vorteils zu Tode gefoltert würde. Erneut, wohlgemerkt, denn Bell wurde ja schon einmal getötet und dann vom Drachen auserwählt, um aus einem ganz bestimmten Grund zurück zu kehren. Zwischen Nonoko und ihrem neuen Lehrling Bell entsteht eine enge Bindung, die sich vor dem düsteren Kriegshintergrund beweisen muss.
Unterhaltsame Anime-kunst
„The Dragon Dentist“ist mit seiner Fsk-16-freigabe und seinem arthousigen Anspruch weder Kinderfilm noch düstere Fabel für Erwachsene. Letztere werden den Film lieben, weil es das schwierige Kriegsthema in eine farbenfrohe, wunderschöne Fantasy-verpackung kleidet und statt eines düsteren ein meist malerisches Flair versprüht. Zu diesem leichtbekömmlichen visuellen Stil gehören weiche Outlines und minimalistische Aquarellkolorierung – als wären diese Bilder soeben von der Staffelei eines Malers gesprungen, der in den 1980ern die wunderbare Sommerwiese umsetzt, auf der er gerade steht. Hinzu gesellen sich psychedelische Abstraktionen, wenn die herkömmliche Bildsprache im Finale nicht mehr ausreicht, um die komplexen Vorgänge und deren dramaturgische Steigerung zu schildern. Das Drama verbindet all diese Motive aus Fantasy, Liebesdrama, Anti-kriegsfilm, Kinderbuchidylle und (nicht zu vergessen) Dentalhygiene zu einer unterhaltsamen Kollage, die überraschend gut unterhält und dennoch als Fabel funktioniert. Von einem 9minütigen Kurzfilm aus dem Jahre 2014 stammend vermag es die Geschichte des nun zehn Mal so langen Films nur in einigen Sequenzen der intensiven Bakterienbekämpfung nicht ganz, die Aufmerksamkeit des Publikums zu halten. So gestaltet sich besonders die Einführung Bells in die Welt der Zahnärzte zu ausführlich, auch wenn sie durch ihre Action und den Humor ganz zugängliche Kost ist. Als westlicher Zuschauer muss man außerdem sehr gut aufpassen, wenn komplexe Namen in den Raum geworfen werden oder wenn es um die japanische Mythologie geht. Statt der Romantisierung des Ersten Weltkrieges, die man in sehr vielen Animes beobachten kann, wird hier ernster und kritischer mit dem Thema umgegangen. Verwendete Farbcodes wie etwa monochromes Rot oder monochromes Blau verweisen auf den vorwiegend künstlerischen Anspruch, bestimmte
Szenen emotional zu steuern. Die meiste Zeit über wird aber aus dem Vollen Geschöpft, wenn es um die Bandbreite von Farben geht, sodass sich die Zuschauer an den hochwertigen Animationen und prächtig ausgestalteten Bildern erfreuen können. Neben dem Gros an von Hand gezeichneten Elementen findet auch CGI seinen subtilen Einsatz beispielsweise bei der Darstellung von Kriegsschiffen oder Soldaten-ansammlungen. Augen die beispielsweise von knackigen „Your Name“-bildern verwöhnt worden sind, werden beim Anblick der durchgängig unscharfen Konturen ungläubig gerieben. Der absichtlich geschaffene Retro-look fordert also seinen Tribut. Nicht so schlimm, aber dennoch merklich.