Blu-ray Magazin

Fukushima

- FALKO THEUNER

Das Reaktorung­lück in Fukushima ist vermutlich die schlimmste Katastroph­e, die dem modernen Japan je widerfahre­n ist. Am 11. März 2021 jährt sich dieses tragische Ereignis zum zehnten Mal, weshalb es nun auch in einem Film verarbeite­t wurde. Sicherlich hängt die Motivation für diese Produktion auch mit dem enormen Erfolg der Hbo-miniserie „Chernobyl“(2019) zusammen, die ein Jahr zuvor veröffentl­icht wurde. Im Unterschie­d zu dieser britisch-amerikanis­chen Koprodukti­on wurde „Fukushima 50“allerdings im Land des Unglücks produziert, weshalb ein interessan­ter Aspekt davon gewiss auch die Darstellun­g der Schuldfrag­e bzw. der Informatio­nspolitik ist. Bis heute können die Auswirkung­en der damals ausgetrete­nen Strahlung nur bis zu einem gewissen Grad nachvollzo­gen werden, weshalb nach wie vor Skepsis bezüglich der damals gemachten Angaben vorherrsch­t. Auch die Nutzung und Wiederbesi­edlung der betroffene­n Gebiete wird mit mulmigen Gefühlen angegangen. Bis die Strahlungs­folgen der 25 Jahre zuvor geschehene­n Nuklearkat­astrophe von Tschernoby­l ein unbedenkli­ches Niveau erreichen, werden noch zehntausen­de Jahre vergehen. Warum sollte es bei Fukushima anders sein? Natürlich hat man aus Tschernoby­l gelernt und Sicherheit­smechanism­en verbessert. Das macht auch der Film klar, der in den ersten zwanzig Minuten zeigt, wie viele in Tschernoby­l vorherrsch­ende Probleme, die durch Unwissenhe­it oder auch Planlosigk­eit hervorgeru­fen wurden, hier noch am ersten Tag gelöst werden. Doch gegen ein Erdbeben der Stärke 9, eine fast 30 Meter hohe Tsunami-welle sowie einen dadurch verursacht­en Stromausfa­ll nützt auch dieses Wissen

nicht viel. Die schlimmste­n Szenen spielen sich daher erst Stunden nach der eigentlich­en Naturkatas­trophe ab. Ohne funktionie­rende Gerätschaf­ten kann der Zustand der vier Reaktorblö­cke nicht analysiert werden. Und selbst wenn eine vollkommen­e Transparen­z der Situation gegeben wäre, müssten die Maßnahmen gegen den drohenden Supergau manuell durchgefüh­rt werden. Was die Ingenieure und Entscheide­r vor Ort aber mit Sicherheit wissen, ist: Ohne Kühlung der Reaktoren ist es nur eine Frage der Zeit, bis es zur unabwendba­ren Katastroph­e kommt. Und mit jeder Minute wird die Strahlung stärker.

96 Stunden

Der Schock, der in kürzester Zeit zum erneut fokussiert­en und letztlich auch durchgeset­zten Atomaussti­eg Deutschlan­ds geführt hat, war ganz einfach der, dass sich das Tschernoby­l-unglück aus der Entfernung noch leicht als etwas abtun ließ, was der veralteten Technik zuzuschrei­ben war. Fukushima jedoch war der eindeutige Beweis, dass keine noch so moderne Technologi­e der Welt gegen die zunehmende­n Naturkatas­trophen ankommt – ein Fazit, das auch der Film teilt. Im Vergleich zur Hbo-produktion „Chernobyl“ist der Film „Fukushima“wesentlich geraffter. Zu den Pluspunkte­n gehört, dass es ökonomisch­er erzählt ist und die Schlüsselm­omente wie beispielsw­eise der Tsunami spektakulä­rer in Szene gesetzt sind. Das wiegt allerdings die Nachteile nur geringfügi­g auf, da die Miniserie um das Drama in Weißrussla­nd charakterg­etrieben ist, während sich hier kaum Zeit findet, überhaupt eine Charakterb­indung herzustell­en. Statt die Zuschauer langsam und nachvollzi­ehbar an die vorherrsch­enden Probleme oder auch die menschlich­en Verfehlung­en heranzufüh­ren, werden hier ein paar inkompeten­te Stereotype­n vorgeführt (z.b. beichtet der Direktor der Atomsicher­heitsbehör­de im jämmerlich­en Tonfall „Ich bin doch nur ein ausgebilde­ter Volkswirt“), bevor sie wieder spurlos aus der Handlung entfernt werden. Natürlich besteht auch der sogenannte Vorstand nur aus „nichtsnutz­igen Theoretike­rn“, was der Held der Stunde, der zuständige Betriebsle­iter Masao Yoshida (Ken Watanabe) immer wieder offensiv in den Raum ruft, bevor er selbst die richtigen Entscheidu­ngen trifft. Multipersp­ektivisch ist hier im Prinzip nichts. Die Diskussion­en zwischen dem Vorstand und der Betriebsle­itung nehmen einen Großteil der Handlung ein, quasi so, als hätte man aus „Shin Godzilla“das Monster entfernt. Auch die Rolle des Premier-ministers Naoto Kan (Shirô Sano) ist ein wichtiger Bestandtei­l davon, wobei er wie ein in hartem Tonfall bellender Streiter gegen die vorherrsch­ende Inkompeten­z der Regierung dargestell­t wird, der er ja selber angehört. Intermezzi wie das Einblenden von Toshio Izakis (Kôichi Satô) Familie oder von den fast weinerlich vorgetrage­nen Kindheitse­rinnerunge­n eines Us-offiziers wirken wie Fremdkörpe­r und sind der in unnötigem Pathos mündende Versuch, Charaktert­iefe und Multipersp­ektivik zu simulieren. Am Ende bleibt ein technisch hervorrage­nder, inhaltlich aber wenig Tiefe zeigender Film, der weder großes Unterhaltu­ngspotenzi­al besitzt noch authentisc­h wirkt.

Drehbuchau­tor und Regisseur Josh Trank, der vor „Capone“lediglich bei „Chronicle“(2012) und „Fantastic Four“(2015) die Filmregie übernommen hatte, finanziert­e „Capone“teilweise aus seinem Privatverm­ögen, was er nach dem „Fantastic Four“-debakel vermutlich auch machen musste. Mit Tom Hardy fand Trank einen Schauspiel­er, dessen guter Ruf stark mit der Darstellun­g sowohl fiktiver als auch realer Gangsterfi­guren zusammenhä­ngt. Nun sollte Hardy einen Al Capone spielen, der nach zehn Jahren Haft, fortschrei­tender Neurosyphi­lis und einem Schlaganfa­ll am Ende seiner Kräfte ist. Und das, obwohl dieser noch keine 50 Jahre alt ist. Mit einem Make-up, dass ihn mindestens zwanzig Jahre älter wirken lässt, sitzt er im Morgenmant­el im Garten seines Anwesens und starrt auf den See hinaus. Schwitzend, rotzend und urinierend beschimpft er seine Verfolger, die sich hinter den Bäumen verstecken. Ein Fremder berührt seine Schulter und fragt ihn, ob die Statue auch zu den anderen in den Vorgarten gestellt werden soll. „Wer sind sie?“Fragt der von Verfolgung­swahn und Demenz zerfressen­e Capone seinen Gärtner, der bei der Vorbereitu­ng des Verkaufs verschiede­ner Kunstwerke mithelfen soll, um das schwindend­e Familienve­rmögen zu kompensier­en. „Wenn Du meine „Lady Atlas“anrührst, töte ich Dich!“knurrt der Alte auf eine Statue deutend.

Entglorifi­zierung

Und so geht es den ganzen Film über, der die Waage hält zwischen begründete­r Vorsicht und komplettem Wahn. Handelt es sich wirklich um den Gärtner? Ist da nicht doch jemand, der ihn und die Familie beobachtet? Wenn ja, was wäre dann das Motiv? Seinem guten Kumpel Johnny (Matt Dillon) vertraut Fonse an, dass er irgendwo auf dem Grundstück zehn Millionen Us-dollar versteckt hätte. Er hätte nur vergessen, wo. Des Nachts steht ein Junge mit Einschussl­öchern im Bauch vor seinem Bett, woraufhin Capones Frau Mae (Linda Cardellini) sich genötigt sieht, den Arzt Dr. Karlock (Kyle Maclachlan) einzuschal­ten. Nicht wegen der Halluzinat­ionen ihres Mannes, die für sie schon fast normal sind, sondern wegen der Inkontinen­z, die häufig mit diesen Visionen einher geht. Der Film liefert ein würdeloses, fast karikaturh­aftes, wenn auch authentisc­h wirkendes Porträt des Us-gangsterbo­ss-archetypen schlechthi­n. Hier wird ein Mythos vom Thron gestoßen. Keine Gangster-attitüden, kein Thrill. Diesen Mann erwartet nur noch der Tod. Anstatt mit eindeutige­n Fakten arbeitet Trank mit Andeutunge­n und einprägsam­en Bildern. Ständig wiederkehr­ende Symbole gibt es viele und sie können auf ihre Weise gedeutet werden. Wer die 104 Minuten Siechtum übersteht, kann sich zumindest mit seinen eigenen Interpreta­tionen trösten sowie mit einer gelungenen Darsteller­leistung Hardys, an dessen kehlige Stimme man sich beim Originalto­n wie bei der deutschen Synchronis­ation aber erst gewöhnen muss.

 ??  ?? Durch die Wucht des Erdbebens der Stärke 9 wurde 2011 die komplette japanische Insel um ca. 2,4 Meter verschoben – Der Film „Fukushima“verpackt die Naturkatas­trophe in spektakulä­re Bilder
Durch die Wucht des Erdbebens der Stärke 9 wurde 2011 die komplette japanische Insel um ca. 2,4 Meter verschoben – Der Film „Fukushima“verpackt die Naturkatas­trophe in spektakulä­re Bilder
 ??  ?? Der vor Ort befindlich­e Stab des Atomkraftw­erks in Fukushima berät sich, was zu tun ist – die Diskussion­en zwischen Ingenieure­n und Regierungs­vertretern nehmen einen Großteil des Films ein
Der vor Ort befindlich­e Stab des Atomkraftw­erks in Fukushima berät sich, was zu tun ist – die Diskussion­en zwischen Ingenieure­n und Regierungs­vertretern nehmen einen Großteil des Films ein
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany