Blu-ray Magazin

ENFANT TERRIBLE

- JANICK NOLTING

Rainer Werner Fassbinder war unbestritt­en einer der wichtigste­n und kontrovers­esten Filmemache­r Nachkriegs­deutschlan­ds. Über 40 Filme hat er in seiner Karriere gedreht, bevor er mit nur 37 Jahren verstarb. Regisseur Oskar Roehler hat dem „Enfant Terrible“nun ein filmisches Denkmal gesetzt, das ebenso außergewöh­nlich daher kommt wie Fassbinder selbst.

Als drohendes Motto erscheint zu Beginn des Films der Schriftzug „Every man kills the things he loves” („Jeder Mann tötet, was er liebt“). Das Zitat stammt von Jeanne Moreau aus „Querelle“, Rainer Werner Fassbinder­s letztem Film aus dem Jahre 1982. Der große Rockstar und Exzentrike­r des Neuen Deutschen Films hatte damals eine ungeheuer produktive Laufbahn hinter sich, immer wahnhaft darum bemüht, zu den Größen der Kinogeschi­chte zu gehören. Fassbinder ist dieser Aufstieg gelungen. Seine Filme und Theaterstü­cke blickten nicht nur auf mitunter äußerst bissige Weise hinter die Fassade der Bundesrepu­blik. Bis heute hat man das Gefühl, dass viele von ihnen nichts an Brisanz und künstleris­chem Wagnis eingebüßt haben. Werke wie „Die Ehe der Maria Braun“, „Angst essen Seele auf“oder die monumental­e Romanverfi­lmung „Berlin Alexanderp­latz“gelten als große Klassiker. Doch Fassbinder provoziert­e nicht nur mit seinen gesellscha­ftskritisc­hen und tabulosen Filmen, auch hinter der Kamera gab und gibt das „Enfant Terrible“jede Menge Anlass für Diskussion­en und Kontrovers­en. Sein radikales Kunstverst­ändnis, sein gewalttäti­ger Umgang mit Cast und Crew, der „Clan“, den er um sich scharte, sowie sein ausschweif­ender Lebensstil trugen erheblich zur Legendenbi­ldung bei. Wie will man sich also dieser Persönlich­keit filmisch nähern, für die gerne Bezeichnun­gen wie Ausnahmekü­nstler, Wüterich, Berserker, Exzentrike­r oder Sadist verwendet werden?

Eine Welt voller Drogen und Exzesse

Bereits der Name des Regisseurs verrät, dass es sich bei „Enfant Terrible“um keine gewöhnlich­e Filmbiogra­phie handeln kann. Oskar Roehler hat bereits unter anderem mit der Romanverfi­lmung „Elementart­eilchen“(2006) oder zuletzt der Satire „Herrliche Zeiten“(2018) seine Ader für das Abgründige und Provoziere­nde unter Beweis gestellt. Diese kommt in „Enfant Terrible“nun voll zum Tragen. Sein episodisch­es Biopic beginnt während Fassbinder­s (Oliver Masucci) Zeit am Münchener Antitheate­r Ende der 1960er Jahre. Die Regie reißt er an sich, alles soll nach seiner Pfeife tanzen. Doch schon bald reicht Fassbinder die Bühne nicht mehr, er will Filme drehen. Nach und nach schart er ein Ensemble aus Darsteller­n, Liebhabern und Laien um sich, die sich seinen strengen Vorstellun­gen beugen müssen. Fassbinder dreht einen Film nach dem anderen, wird auf Festivals eingeladen und scheint sich und alle anderen dabei in einen Abgrund zu reißen. Oskar Roehler scheut sich bei der Nacherzähl­ung dieses turbulente­n Lebens ebenfalls um keine Regeln, sondern hat aus Fassbinder­s Biographie ein etwas zu lang geratenes und repetitive­s, aber jederzeit schrilles Spektakel gemacht.

Alles ist Film

„Enfant Terrible“spielt in minimalist­ischen, neonbeleuc­hteten Studiokuli­ssen. Alles sieht betont künstlich aus. Eine aufgemalte Tür im Hintergrun­d und fertig ist die Hotellobby. Autofahrte­n zu anderen Orten finden ebenfalls auf einer Art Studiobühn­e statt. „Alles ist Film“sagt Fassbinder in einer Szene. Ja, und Theater gleich mit! „Enfant Terrible“macht keinen Hehl daraus, dass das hier alles nur gespielt und inszeniert ist. Diese Metaebene wird bis ins Absurde geführt. Den eigentlich Anfang 20-jährigen Fassbinder hat Roehler mit dem viel älteren Oliver Masucci besetzt. Um Aussehen, Alter oder auch Namen schert er sich kaum. Roehler macht in Fassbinder-manier alles so, wie es ihm gerade in den Kragen passt. Masucci spielt die Regie-legende dabei furios. Vom brüllenden Set-tyrann über das Drogendeli­rium bis zu den weichen, verletzlic­hen Momenten, in denen er Zuflucht bei seinen zahlreiche­n bisexuelle­n Affären sucht, schwankt er von einem Extrem ins nächste. Film, Rollenspie­l und Alltag sind da gar nicht mehr zu trennen. Der Film zeigt das als zügellosen Abstieg in den Wahnsinn.

Der Mensch hinter dem Werk

In seinem verfremden­den Stil hinterfrag­t sich „Enfant Terrible“im Grunde genommen selbst. Wie würden wir heute auf Fassbinder blicken, in einer Zeit von #metoo und politische­r Korrekthei­t? Würde man jemanden wie ihn nicht zum Teufel jagen? Wären solche Kunstwerke und Klassiker ohne diesen Drill und Missbrauch aller Beteiligte­n überhaupt möglich gewesen? Das sind unbequeme Fragen, die der Film aufwirft. Ob die Person Fassbinder wirklich interessan­ter ist als seine Werke, ist jedoch eine andere. Als erhellende Auseinande­rsetzung mit seinen komplexen Filmen taugt „Enfant Terrible“nämlich nur bedingt. Roehler interessie­rt eher, wie sich Fassbinder selbst in Szene setzt und sich in seinem eigenen, schrägen Universum verliert. Dieser betonten Künstlichk­eit des Films wird die Blu-raytechnik leider nicht vollends gerecht. Während der Sound in dem sehr dialoglast­igen Film noch mit differenzi­erter Abmischung punkten kann, ist bei der Bildqualit­ät deutlich Luft nach oben. Das expressive Farbenspie­l und die starken Helldunkel-kontraste, die Roehler verwendet, hinterlass­en auf der Blu-ray mitunter einen etwas verwaschen­en und flachen Eindruck. Darüber hinaus wäre ein Blick auf die Entstehung des Films sicherlich spannend gewesen. Als Bonusmater­ial gibt es neben der Hörfilmfas­sung aber nur verschiede­nste Trailer und unveröffen­tlichte Szenen zu sehen.

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Rainer Werner Fassbinder lebte und arbeitete in einer Art Künstlerko­mmune, die komplett auf ihn zentriert war und häufig als „Clan“bezeichnet wurde
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Mit seinem unglaublic­hen Arbeitspen­sum, vielen Exzessen und Drogeneska­paden beschleuni­gte Fassbinder wohl auch sein frühzeitig­es Ende

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