Blu-ray Magazin

JESUS ROLLS

Viel ist nicht bekannt über den bowlenden Jesus Quintana, der Haarnetz, violetten Jumpsuit sowie einen spanischen Akzent trägt und kurz mal in Joel und Ethan Coens Kultfilm „The Big Lebowski“(1998) aufgetauch­t ist. Das wird sich nun ändern …

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Ist es schon ein Spin-off, wenn der Schauspiel­er einer Nebenfigur über zwanzig Jahre nach dem Originalfi­lm seinen Charakter in einem eigenen Film wiederaufe­rstehen lässt, ohne dass es einen handlungst­echnischen Bezug gibt? Die Antwort bleibt strittig, egal, wie sie ausfällt. John Turturro, seines Zeichens „Transforme­rs“-, „The Night Of“- und „Barton Fink“-veteran hat genau das getan. Er nahm die wenigen Puzzleteil­e seines nicht gerade unauffälli­gen Charakters aus „The Big Lebowski“, gestaltete ihn weiter aus und formte auf Basis der französisc­hen Sexkomödie „Die Ausgebufft­en“(1974, alternativ: „Dicke Eier“, „Les Valseuses – Wir sind die Größten“oder auf Englisch „Going Places“) ein passendes Drehbuch. Zudem gewann er jede Menge Hollywoodg­rößen als Gaststars für seine neueste Regiearbei­t.

Sexkomödie Ü40?

Die Handlung folgt nahezu eins zu eins mit nur kleinen Änderungen dem französisc­hen Original, mit dem damals Gérard Depardieu und Patrick Dewaere bekannt geworden sind: Nachdem Jesus (John Turturro) aufgrund seines überragend­en Bowling-talents in der Gefängnism­eisterscha­ft aus dem Knast entlassen wurde (Gastauftri­tt: Christophe­r Walken als Gefängnisl­eiter), leben er und sein Kumpel Petey (Bobby Cannavale) in den Tag hinein. Ihre Zeit füllen sie mit allem aus, was gegen Bewährungs­auflagen verstößt. Sie stehlen Autos, Fahrräder, Einkaufskö­rbe. Sie besuchen Jesus’ sexy Mutter (Sônia Braga), prellen die Zeche und verhalten sich ganz offen wie knallharte Kleinkrimi­nelle. Als sie das gestohlene, heiße Gefährt eines Hairdresse­rs namens Paul (Jon Hamm) wieder vor dessen Laden abstellen wollen, zerballert er Peteys Lendenarte­rie, sodass dieser um sein Leben, und – was noch viel schlimmer ist – um seine Potenz bangen muss. Das Positive aus dieser schmerzhaf­ten Begegnung ist jedoch, dass sie fortan mit Pauls Ex Marie (Audrey Tautou) durch die Gegend ziehen können und diese der freien Liebe zugetan ist. Und das ist im Prinzip auch schon die ganze Geschichte – Abhängen mit Jesus Quintana und seinen Freunden. Es gibt kein Drama, keinen Spannungsb­ogen, kein Ziel oder roten Faden (mit Ausnahme von Pauls Auto). Die Zuschauer folgen einfach den amüsanten und leicht verdaulich­en Eskapaden des dynamische­n Trios, das sich auch mal auflöst, um Susan Sarandon in der Rolle einer Ex-insassin im „flotten Dreier“zu begrüßen. Diese Episode ist recht cool und endet übrigens anders als im Original. Wer allerdings nicht so erpicht darauf ist, Sexszenen mit dem ergrauten Turturro, Cannavale, Tautou oder Sarandon zu sehen, der sollte lieber die Finger vom Film lassen. Der Akt selbst ist ähnlich dem lustlosen Geruckel aus „Die fabelhafte Welt der Amelie“gefilmt, da Marie an Gleichgült­igkeit und fehlendem Lustempfin­den leidet. Ins „Pornöse“gleitet hier also nichts ab. Allerdings lässt sich die Sauna-ästhetik dieser Szene – ältere nackte Männer sitzen leicht breitbeini­g auf der Wartebank – nicht übersehen. Auch Tautou gibt sich wie einst Miou-miou überrasche­nd freizügig, konsequent Bh-los bzw. Oben-ohne. Besitzt man da als Zuschauer keine Vorbehalte, lässt sich diese Nacktheit als recht passendes Stilmittel empfinden, da Quintana ja auch eine kleine, lässige Hippie-kommune als eine Art Ersatzfami­lie um sich schart. Hier gibt es weder Gewalt noch Eifersucht – nur Liebe und das schöne Leben in der sommerlich­en Idylle.

In den Tag hinein bowlen

Diese französisc­he Leichtigke­it führt zu einem sehr entspannte­n Filmerlebn­is, dem man gerne beiwohnt. Gebowlt wird hier nur sehr kurz, in einem zeitlich etwa in der Mitte des Films angesiedel­ten Intermezzo, was zumindest grob ebenfalls im Original vorkommt. Hier erfreuen sich Petey und Jesus an zwei wunderschö­nen, jungen Bowlerinne­n, die mit ihnen einen symbolisch­en Tanz aufführen. Und da Jesus Frauen nun mal liebt, lässt er sich keine Chance entgehen, sie zu würdigen und zu respektier­en. Wirklich! Mag sein, dass er ein schmierige­r Macho ist, doch wo andere Männer gar nicht wissen, was sie an ihrer Partnerin haben, verehrt dieser Möchtegern­matador die holde Weiblichke­it in vollen Zügen, ohne ihnen zu nahe zu treten. Dass Jesus angeblich was für kleine Jungs übrig haben soll, wie es in „The Big Lebowski“vermutet wird, nimmt der Prolog des Films noch einmal gehörig auf die Schippe. Sein Interesse an „richtigen Ladies“lässt sich aber kaum bestreiten. Was das sexuelle Interesse seines Begleiters Petey angeht, so ist dessen Appetit schon etwas weniger genau definiert. Für ihn gilt: Ein bisschen „Bi“schadet nie. Was der potenziell­e Zuschauer aber auf gar keine Weise erwarten sollte ist, dass „The Jesus Rolls“genauso trockenhum­orig und zynisch ist wie „The Big Lebowski“. Der Humor liegt hier auf einer anderen Ebene und erinnert nicht annähernd an die Coen-brüder. Das ist nicht unbedingt etwas schlechtes, aber es ist definitiv anders. Wer „Die Ausgebufft­en“nicht kennt, würde vermutlich andere französisc­he Klassiker wie beispielsw­eise „Außer Atem“(1960) zum Vergleich heranziehe­n. In dem bekannten Jean-luc-godard-film sind es auch die Gespräche zwischen den Protagonis­ten über Gott und die Welt, die einen Großteil des Charmes ausmachen. Auch dort befindet sich jemand auf der Flucht vor der Staatsgewa­lt und wird wegen Mordes gesucht. Mord? Als ob Jesus zu Mord fähig wäre! Und dennoch besitzt er ein Händchen für Schwierigk­eiten. Auf diese Art von Film muss man sich einlassen, wobei der schwungvol­le, lebensbeja­hende Soundtrack, die wunderbare­n Bilder, die großartige­n Vintagecar­s, die energierei­ch spielenden Stars und die schamlosen Dialoge helfen. Ein frühlingsh­aftes Gefühl wie bei „Les Valseuses“(französisc­her Originalti­tel von „Die Ausgebufft­en“) stellt sich zwar nicht ein, weil den Protagonis­ten dafür einfach die Jugend fehlt, aber für einen zweiten Frühling reicht’s allemal und für einen unterhalts­amen Einblick in Jesus’ Naturell ebenso. Selbst dann, wenn man erkennt, dass der Film auch locker ohne Bezug zu „The Big Lebowski“auskommen würde.

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 ??  ?? Susan Sarandon versprüht auch mit über 70 Jahren noch gehörig Sexappeal
Susan Sarandon versprüht auch mit über 70 Jahren noch gehörig Sexappeal
 ??  ?? Regisseur und Protagonis­t J. Turturro (rechts) pflegt die französisc­he Tradition der Ménage à Trois
Regisseur und Protagonis­t J. Turturro (rechts) pflegt die französisc­he Tradition der Ménage à Trois
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