COSMIC SIN
BRUCE WILLIS & DIE SCIENCE FICTION
Kann der Weltraum wirklich Sünde sein? Eine Frage, die sich Bruce Willis scheinbar nie gestellt hat, obwohl er sein Schauspiel-debüt in „Die erste Todsünde“(1980) feierte. Neben seiner Karriere als Action-darsteller frönte er im Laufe seiner bisherigen 40 Schaffensjahre nämlich durchaus dem ein oder anderen Ausflug in die Zukunft. Und alte Gewohnheiten sterben bekanntlich langsam …
Wussten Sie eigentlich, dass Bruce Willis’ erster Auftritt in einem Science-fiction-rahmen 1985 in der Kultserie „The Twilight Zone“stattfand? Unter Wes Cravens Regie spielte der damals noch komplett unbekannte Tv-darsteller ein Horror-szenario durch, bei dem seine Figur sprichwörtlich Kontakt zu sich selbst aufnimmt. So richtig entdeckte die Hollywood-ikone die Science Fiction allerdings erst Mitte der 1990er Jahre, als er bereits mit „Stirb Langsam“(1988) seinen großen Durchbruch geschafft hatte und ihn „Pulp Fiction“(1994) endgültig in den Hollywood-olymp beförderte. Terry Gilliams „12 Monkeys“(1995) gehört heute genauso zum Science-fiction-kanon wie Luc Bessons „Das fünfte Element“(1997). Während der erstgenannte Film hauptsächlich auf der psychischen Ebene spielt, fantastisch kuriose Charakterdesigns bietet und Brad Pitt damals quasi bescheinigte, dass er einen herrlich verschrobenen Irren spielen kann, der zugleich ein „Fight Club“-mäßiger Verführer ist, trumpfte „Das fünfte Element“mit einem unglaublichen „Worldbuilding“auf. In dieser Zukunftsvision konnte der blondierte Bruce einfach so sein wie in all seinen anderen Rollen: Ein abgebrühter Luft-taxi-fahrer, den besser niemand verarschen sollte, und der stets zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Der Erfolg dieser beiden sehr europäischen, sehr abstrusen Filme schien irgbendetwas bei dem damals noch 42-jährigen zu bewirken. Warum sollte man auch nicht das reine Action-image um ein Science-fiction-helden-image erweitern? Beides geht immerhin Hand in Hand.
Haarausfall, Krimis, Rente
Auch wenn Michael Bay keineswegs zu den beliebtesten Regisseuren Hollywoods gehört, traf die Asteroidensprengung seines Blockbusters „Armageddon“(1998) auf einiges Wohlwollen der Fans. Willis spielte hier den angegrauten Schwiegervater des eigentlichen Helden (gespielt von Ben Affleck) und opferte sich zum Wohl aller. Seine Haare sind nach wie vor hell. Vielleicht auch etwas dünner. Kann es sein, dass die Bleiche aus „Das fünfte Element“der Grund für die heutige Willis-murmel ist? Na gut, dazwischen lag noch „Der Schakal“(1997), in dem Mr. Willis teilweise ebenfalls einen gebleichten Schopf tragen musste, also lässt sich die Schuld auf mehrere Filme verteilen. Nach dem großen Science-fiction-trio der 1990er Jahre folgte erst einmal eine größere Zukunftspause, die gezeichnet war von einer Noir-phase, wenn man denn so will. „The Sixth Sense“(1999), „Unbreakable“(2000) und „Sin City“(2005) zeigten den ehemals so smarten, dauerblutenden Unterhemdenträger als verbitterten Ermittler in düsteren Szenarien. Bis auf einen kleinen Gastauftritt in dem Drama „Astronaut Farmer“(2006), der auch nur entfernt mit dem Weltraum zu tun hat, hatte er erst einmal nichts weiter mit Science Fiction zu tun. Das sollte sich mit „Surrogates – Mein zweites Ich“(2009) ändern. Die Idee, die Menschheit als zwanghafte Stubenhocker zu zeigen, die von ihnen ferngesteuerte Robo-avatare für sich in der echten Welt herum laufen lassen, ist schlichtweg genial. Natürlich ist auch hier der Protagonist ein desillusionierter Mordermittler, der feststellen muss, dass sich hinter der ganzen „Avatar“-geschichte mehr Schein als Sein verbirgt. Auch wenn die Umsetzung mangelhaft war, Fans von harter Science Fiction kommen bei diesem Gedankenexperiment dennoch voll auf ihre Kosten. Durch „The Expendables“und „R.E.D.: Älter. Härter. Besser“(beides 2010) inzwischen als cooler „Action-rentner“abgestempelt, erhielt Willis 2012 noch einmal eine
erinnerungswürdige Rolle in einem grandiosen Science-fiction-werk. In Rian Johnsons Zeitreise-thriller „Looper“trifft er auf sein von Joseph Gordon-levitt gespieltes jüngeres Ich, das ihn eliminieren möchte – ein verdrehter „Terminator“sozusagen. Gemixt mit einer „Akira“-mäßigen Genese eines Übermenschen, der sich in einer unbekannten Zukunft zu einem Tyrannen entwickeln sollte, besitzt „Looper“einfach alles, was unterhaltsame Science Fiction benötigt – vielleicht sogar ein bisschen zu viel des Guten.
Die B-movie-phase
Mit 56 Jahren hatte Willis bereits 2011 den Zenit seiner Karriere überschritten und ließ sich auf Hollywoods „Altenteil“namens Emmett/furla/ Oasis Films (Efo-films, bis 2013 Emmett/furla Films) ein, die sich auf günstige B-actioner spezialisiert haben. Zukünftig sollte sein Hauptgeschäft
darin liegen, verschiedene Filmsets zu besuchen, um sein Gesicht für wenige Szenen in die Kamera zu halten, damit ebenjene Werke durch ihn Pr-technischen Aufwind erhalten. Zuschauer, die sich auf diese Form der kostengünstigen Produktion einlassen, bekommen ihr Idol im Schnitt pro Film für rund fünf Minuten zu Gesicht, während die Haupthandlung meist von jüngeren Kollegen bewältigt wird. Bei den Fans drückt dies bis heute die Erwartungshaltung verständlicherweise. Auch wenn Willis weiterhin Efo-produktionen beiwohnt, so besinnt er sich im aktuellen Alter von 66 Jahren (da fängt ja bekanntlich das Leben erst an) auf sein Sciencefiction-image zurück. Unter der Regie des Newcomers Edward Drake („Vampire Dinner“) und der Autorenschaft des Schauspielers Corey Large begibt sich der Bruce erneut ins Weltall und das nicht nur als Neben- oder Gastdarsteller. Ganze vier Filme wurden 2020 in dieser Konstellation nahezu parallel produziert: „Breach“, „Cosmic Sin“, „Apex“und „American Siege“. Bei den ersten beiden handelt es sich um ähnlich aufgebaute Science-fiction-alien-zombie-streifen. Film Drei entpuppt sich als ein „Die Tribute von Panem“verschnitt mit einem Bruce als tödlichen Einzelkämpfer auf einer Insel. Und „American Siege“fordert Mr. Willis wieder in der Gegenwart als Ex-cop, der eine Geiselnahme möglichst unblutig (für die Geiseln) beenden muss. Handelt es sich gar um ein neues Geschäftsmodell, bei dem einfach mehrere Bruce-willis-streifen gleichzeitig gedreht werden, damit seine kurze Anwesenheit am Set möglichst optimal ausgereizt wird?
Wir werden sehen!
Putzkolonne im All
Konzentrieren wir uns also auf die beiden Filme zwischen den Sternen. „Breach“ist der einzige Streifen unter den vieren, bei dem Edward Drake lediglich als Autor fungierte. Die Regie übernahm John Suits, der aus seinem vorherigen Film „3022“(2019) bereits einige Weltraumerfahrungen mitbringen konnte. An der Seite von Thomas Jane („The Expanse“), dessen Figur sich die meiste Zeit über im Kälteschlaf befindet, spielt Bruce Willis den erfahrenen Kommandeur Clay, der mit einer bunten Truppe durchs All reist, um interstellare Reinigungs- und Reparaturarbeiten anzubieten. Wie das bei Putzaufträgen manchmal so ist, kann man sich dabei aber auch schnell mal etwas einfangen. Wie zum Beispiel einen außerirdischen Parasiten, der Menschen in schwarzen Schleim sabbernde Ultra-brutalos verwandelt. Möge der monströse Frühjahrsputz beginnen! Der Hauptheld ist hier übrigens der filmische Schwiegersohn, der Clays Tochter geschwängert und sich unter dem Druck zukünftiger Vaterfreuden heimlich an Bord des Raumschiffs geschmuggelt hat. Und jetzt mal ehrlich: Bruce Willis als grantigen, waffenbewährten Schwiegervater zu haben, dürfte alles andere als angenehm sein. Im All hört Dich schließlich niemand schreien.
Sünde im All
Um eine außerirdische Bedrohung geht es auch in „Cosmic Sin“, in dem ein riskanter Präventivschlag für Ruhe im All sorgen soll. Der offizielle Erstkontakt verläuft nur wenig friedlich, denn die Besucher greifen Menschen an und scheinen sie mit irgendetwas zu infizieren. Es ist nicht zu viel verraten, wenn man davon ausgehen kann, dass es sich um ein klassisches Unterwanderungsszenario wie etwa in John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“(1982), Don Siegels „Die Invasion der Körperfresser“(1956) oder Jean Giraults „Louis’ unheimliche Begegnung mit den Außerirdischen“(1979) handelt. Boomten Geschichten, in denen fremde Eindringlinge die westliche Gesellschaft unterwanderten, besonders zur Zeit des Kalten Krieges, wobei die Aliens damals für die potenzielle kommunistische Bedrohung standen, können sie heute auch in einem völlig anderen Kontext interpretiert werden. Beispielsweise spielt hier auch Sozialkritik in Bezug auf die Kolonisierung fremder Länder oder auch Kontinente eine große Rolle. Waren es in oben genannten Filmen stets weltraumreisende Außerirdische, sind die Menschen in
den neueren Science-fiction-szenarien nämlich inzwischen selber Touristen im All, die wie in diesem Fall sogar schon den Mars und andere Planeten besiedelt haben. Es könnte eine Episode aus „The Expanse“sein, denn überall gibt es menschliche Kolonien. Doch wofür steht dann die Unterwanderung der Menschen? Auch das ist eine Form der Inbesitznahme. Vielleicht nicht von Land, aber jene von Körpern. Und ähnlich wie beispielsweise in George Romeros „Land Of The Dead“steht die Verwandlung in einen andersartigen Zombie hier für die Übernahme einer fremden Ideologie, einer fremden Kultur. Das ist übrigens nur einer unter vielen Romerofilmen, in dem die Zombies nicht zwingend als böse, sondern als alternative Gesellschaftsform interpretiert werden können, die bis auf ein paar Widerständler (die Lebenden) die komplette Erde erobert. Würden nur noch Untote auf Erden wandeln, würde dies möglicherweise niemand mehr als außergewöhnlich erachten, solange diese Gesellschaftsform funktioniert bzw. nicht schwächer ist als eine andere vereinnahmende Gesellschaft.
Kolonialisierungsproblematik
James Camerons „Avatar“ist dabei ein Musterbeispiel für den Kolonialsierungskonflikt, denn er dreht das Ganze einfach um: Es sind die Menschen, die auf Pandora eindringen und sogar die Eingeborenen zielgerichtet in fremden Körpern unterwandern. Um wieder auf die kosmische Sünde zurück zu kommen: Bei diesem Kampf geht es also keineswegs nur um Menschen gegen Aliens, Gut gegen Böse, sondern schlicht und ergreifend um Lebensraum. Und Mittendrin befindet sich Bruce Willis, der ein Action-heldenimage besitzt, das auch seine neue Filmfigur als einen „Guten“kennzeichnet. Der Spitzname seiner Rolle, John – „der Blutgeneral“– Ford, weckt hingegen andere Assoziationen. Sein Charakter erinnert dadurch ein wenig an den Us-general George Custer, dessen Regiment in den „Indianerkriegen“viele Eingeborene tötete und in der berühmten Schlacht am „Little Bighorn“von den vereinten Kräften der Sioux, Arapaho und Cheyenne niedergemetzelt wurde. Medial wurde Custer in vielen früheren Western als Held gegen die „Wilden“dargestellt, inzwischen hat sich das glücklicherweise geändert und die Kolonialisierung samt deren Folgen wird generell als eine der größten Ungerechtigkeiten der Menschheitsgeschichte gewertet. Dementsprechend ambivalent lässt sich John Fords angeführter Erstschlag sehen. Handeln die Menschen nur aus Angst vor einem kaum händelbaren Großangriff oder steckt noch etwas anderes dahinter? Präventivschlag ist ja im Prinzip schon ein vorsichtigeres Wort für Erstschlag …
Die Zukunft
John Ford jedenfalls weiß von alledem erst einmal nichts. Er kann noch nicht mal in Ruhe seinen Product-placement-jack-daniels-schnappes zu sich nehmen, da zerrt man ihn auch schon aus der Komfortzone der Bar heraus. Er soll mit einem gerade mal siebenköpfigen Team in eine „Independence Day“-mäßige Schlacht ziehen, die eine Q-bombe sowie ein Sternentor beinhaltet, vor dessen Pforten unzählige feindliche Raumschiffe warten. Frank Grillo („Boss Level“) kämpft als General Eron Ryle, dessen Einheit anfänglich platt gemacht wurde, an der Seite des kampfbewährten Haudegens, der eigentlich nur seine Ruhe haben möchte. Doch wird ihr Plan gelingen und welche Auswirkungen werden die von Aliens bereits übernommenen Menschen für das Kriegsgeschehen spielen? Mögen die Ausstattung und das Setting eindeutig dem Science-fiction-genre zugeordnet sein, so konzipierte Regisseur und Autor Edward Drake das Ganze hauptsächlich als Horrorszenario. Dass der visuelle Look im Widerspruch dazu geradezu comichaft und farbenfroh aussieht, ist von ihm so gewollt. Welcher Gedanke dahinter steht, lässt sich allerdings erst ergründen, wenn man den kompletten Film kennt. Mag sein, dass das Budget von „Cosmic Sin“nur wenig höher ist als bei so manch früherem Efo-machwerk. Aber die visuellen Effekte, die Kostüme und die Ausstattung sehen äußerst stimmungsvoll bzw. detailverliebt aus und Bruce Willis ist hier weitaus mehr als nur eine Randerscheinung des Films. Drücken wir also die Daumen, dass es so bleibt und auch zukünftige Produktionen wieder einen massiveren Willis-gehalt vorweisen. Wie hoch deren gesamte Qualität ist, steht dabei auf einem anderen Blatt. Doch wenn sich der kahlköpfige Haudegen immer noch ins All traut, dürfen wir so einiges von ihm erwarten.