VIDEOSPIELE AUF DER LEINWAND
Bildschirmspiele, Telespiele, Videospiele oder auch Computerspiele – das sind viele Begriffe, die alle dasselbe umschreiben. Der Markt des interaktiven Mediums ist in den letzten Jahrzehnten sprichwörtlich durch die Decke gegangen und übertrifft mittlerweile mit fast 100 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr sogar den Erfolgs-leviathan Hollywood.
Wer bei dem Thema Kino und Videospiele nur an qualitativ durchwachsene Lizenzfilmwerke wie „Mortal Kombat“(1995) und „Tomb Raider“(2001) denkt, vergisst, dass zwischen den beiden Medien schon seit den frühen 1970er Jahren ein inniger Austausch herrscht, der sich nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch widerspiegelt.
Wie hätte es der Physiker Thomas T. Goldsmith Jr. 1946 ahnen können, dass seine Kathodenstrahl-spielerei der Beginn einer entscheidenden Umstrukturierung von zukünftigen Kulturgütern sein würde? Auf Goldsmiths Demonstration folgten die Tic-tac-toe-variante „OXO“1952 von A. Sandy Douglas und William Higinbothams Oszilloskop-spiel „Tennis For Two“1958. All diese Versuche und Tests waren natürlich nur rein wissenschaftlicher Natur. Der Verkaufsschlager Computerspiel wurde erst in den frühen 1970er Jahren etabliert.
Mit „Computer Space“(1971) taucht 1973 zum ersten Mal ein kommerzielles Computerspiel in einem Film auf: „Soylent Green“. Das von Nolan Bushnell kreierte Atari-spiel „Computer Space“wurde höchstwahrscheinlich wegen seines futuristischen Wesens in den Film gepackt. Durch seine komplexe Steuerung war dem „Asteroids“vorgänger kein großer Erfolg beschert. Der Erfolg kam für Bushnell erst ein Jahr später mit „Pong“, welches sich durch seine Einfachheit verkaufte.
Anbruch des digitalen Zeitalters
Zwischen 1972 und 1982 befand sich das junge Medium in der ersten Phase seines Erfolges. In Filmen wurden Computerspiele zu dieser Zeit für die Zelebrierung der Technik und der modernen Lebensweise verwendet. In der dänischen Komödie „Die Olsenbande schlägt wieder zu/ Butter, Brot und Bonzen“von 1977, steht die alteingesessene Hauptfigur Egon Olsen in Konkurrenz mit seinem jüngeren Kollegen Georg, der ein Spezialist in Computertechnik ist. Egon steht für die alte analoge Welt und Georg für die neue digitale, die aber noch sehr jung und voller Kinderkrankheiten steckt. Im Film selbst sind einige digitale Spiele aus jener Zeit zu sehen.
In dieser ersten Phase der digitalen Unterhaltung wurden die Spiele weniger als Medium an sich wahrgenommen, sondern neben Mikrowellen, Walkmans und Videorekordern nur als ein technischer Trend von vielen gesehen. Moderator Thomas Gottschalk, der weltweit erste Let’s Player, hatte mit der Sendung „Telespiele“1977 beim SWF einen so großen Erfolg, dass sie ab 1981 sogar in der ARD lief. Damals hatten sich Prominente in einer Fernsehsendung dazu hinreißen lassen, Computerspiele zu spielen. Sogar das Publikum konnte mittels Lautstärkemessung am Spielerlebnis teilhaben. Zehn Jahre später wäre das undenkbar gewesen. In dieser Zeit wurden diese Spiele weniger als Kinderkram angesehen, sondern vielmehr als Errungenschaft der modernen Gesellschaft.
Die Kriegsspiele der Systemlakaien
In der Zeit nach ’82 aber wurde die neue Technik mit Argwohn betrachtet. Generell unterlag das Science-fiction-genre einem Wandel vom hochtechnisierten Zukunftsoptimismus zu technikkritischen Dystopien. So spielt James Bond mit seinem diabolischen Gegenspieler Maximillian Largo ein extravagantes Videospiel in „Sag niemals nie“(1983). In „Wargames – Kriegsspiele“(1983) aktiviert der Protagonist David (Matthew Broderick) aus Versehen das hypermoderne Verteidigungssystem Joshua, nachdem er sich in einen Supercomputer von NORAD gehackt hat. Die Spiele, die das Programm anbietet, orientieren sich an real existierenden Titeln. Das furiose Finale des Films gipfelt in einem wilden Selbstversuch von Joshua, „Tic Tac Toe“(eine Reminiszenz an „OXO“) zu schlagen – was nicht möglich ist. Hierbei handelt es sich gleichwohl um eine Allegorie des durch Nuklearwaffen geprägten Kalten Krieges.
Das Interesse an Computerspielen nahm hier im Westen ab 1983 gewaltig ab. Spielefirmen gingen reihenweise pleite, da der Markt mit unzähligen Spielekonsolen und qualitativ minderwertigen Spielen überschwemmt wurde. Der Computer war zu dieser Zeit generell nicht mehr so beliebt, war er doch, wie in vielen Filmen jener Tage dargestellt, ein Diener der Reichen und Mächtigen, ein Systemlakai. Es war eine Phase, in der die Öko-bewegung erstarkte. In der Bundesrepublik wurden ab 1984 Kriegs- und Ballerspiele indiziert und Spielautomaten ab 1985 in die Glücksspielhöllen verbannt. Erst als das Nintendo
Entertainment System (NES) 1985 aus Japan in den Westen kam (nach Deutschland kam es etwa ’87), begann das Medium auch hier wieder zu erstarken.
Ein phantastischer Spielplatz
Dennoch waren digitale Spiele aus der Filmlandschaft auch in dieser negativsten aller Phasen nicht mehr wegzudenken. Ein weiterführendes Thema zu diesem Sachverhalt ist die Inklusion von künstlichen Welten in die Handlung von Filmen. Michael Crichtons „Westworld“bot 1973 einen analogen, von Androiden bevölkerten und durch Computer gesteuerten Spielplatz für die Freuden abenteuerlustiger Besucher. „Westworld“war gleichzeitig auch die Vorlage für „Jurassic Park“, in dem später die Technik abermals zelebriert werden sollte. In der 2016er-serienversion von Jonathan Nolan und Lisa Joy fließen Elemente aus modernen Computerspielen und die Dynamik von Spielerverhalten in die Welt von „Westworld“mit ein. Die synthetischen NPCS (Non-player-characters/nicht-spieler-charaktere), die den Vergnügungspark lebendig machen sollen, dienen hauptsächlich der Atmosphäre, fungieren aber ebenso als Auftragss-/ Questgeber für die zahlenden Besucher. Dabei kommt es auch mal vor, dass ein ungeduldiger Gast die Rede eines NPCS unterbricht und so der inszenierten Handlung einen Strich durch die Rechnung macht.
In „Starfight“(„The Last Starfighter“) von 1984 wird der Protagonist Alex Rogan (Lance Guest) durch das Brechen eines Rekordes an einem Videospielautomaten von Aliens entführt, um in deren Krieg mitzuwirken. Das Spiel entpuppt sich als eine Art Einstiegstest. Auch in diesem Fall ist
die abenteuerliche Spielwelt noch analog. Die Tatsache, dass die ganze Siedlung in Verzückung gerät, als Alex den Highscore bricht, ist wahrscheinlich noch auf die Technik-faszination der 1970er zurückzuführen – oder in dem Kaff ist sonst nur Tote Hose.
Virtuelle Realitäten im Film
„Tron“hatte 1982 als erster Spielfilm Computereffekte zu bieten. Der Programmierer Kevin Flynn, gespielt von Jeff Bridges, wird von seiner eigenen Schöpfung, dem MCP (Master Control Program) zum ersten Mal in der Filmgeschichte in eine komplett digitale Welt gezogen. Flynn gerät zwischen die Fronten eines Konfliktes, der Parallelen zum Sklavenaufstand der Christen im antiken Rom aufweist. Aus dem ursprünglich intendierten, konsequenzlosen „Spiel“wird ein tödlicher Überlebenskampf. Auf dem Spielraster (der Arena) werden einige der 2D-spiele der 1970er Jahre in der dritten Dimension nachgestellt. „Tron“ist trotz seines naiven Charmes aus heutiger Sicht kein besonders guter Film. Die Computergrafiken sowie die Vision einer digitalen, künstlichen Welt waren zu ihrer Zeit allerdings bahnbrechend. Der Nachfolger „Tron Legacy“lieferte zu seinem Erscheinen 2010 gleichfalls eine atemberaubende Optik und teils sehr kreative Action-szenen mit Simon Pegg als David Bowie-verschnitt. Die Handlung reduziert sich jedoch auf eine einfache Heldengeschichte: Rette die Prinzessin („Super Mario“lässt grüßen!). Neben inhaltlich behandelten Themen wie die selbständige Weiterentwicklung von K.I. bietet „Tron Legacy“zumindest technisch ein eindrucksvolles Blockbuster-erlebnis.
In „Matrix“und „existenz“(beide 1999) wird anstelle des gesamten Körpers nur der Geist digitalisiert, was für die moderne Zeit sehr viel nachvollziehbarer erscheint. „existenz“führt dem Zuschauer zum ersten Mal in der Filmlandschaft Computerspielmechanismen vor wie beispielsweise NPCS, die den Protagonisten Hinweise geben oder eine Aufgabe zuteilen. Auch Bugs werden hier in Form von stockenden Questgebern präsentiert, die nur dann ihrem vorprogrammierten Ablauf weiter verfolgen, wenn der richtige Satz fällt.
Der negative Unterton bleibt bei diesen Werken dennoch gleich – Technik ist böse bzw. gefährlich. Anders in dem Anime „Summer Wars“(Mamaoru Hosoda, 2009) und Steven Spielbergs „Ready Player One“(2018). Hier wird die Technik und das Spielen wieder begeistert zelebriert. Die digitale Welt OZ aus „Summer Wars und die OASIS aus „Ready Player One“eint viele Gemeinsamkeiten. In beide muss man sich einloggen und einen Avatar erstellen. Doch während die OASIS nur zu eskapistischen Zwecken dient, verbindet OZ alle Bereiche der Gesellschaft. „Summer Wars“behandelt das Thema Familienstrukturen in der vernetzten Welt. Als Kontrast wird eine altmodische japanische Großfamilie mit Landsitz in einen digitalen Notstand hineingezogen und löst das Problem durch die eigenen familiären Strukturen. „Ready Player One“stellt die Frage nach dem Individuum in einer verschmolzenen Welt hinsichtlich Originalität und eigenem Engagement. Das vom Entwickler versteckte Easter Egg, welches es im Film zu finden gilt, ist ein Verweis auf das allererste Easter Egg in der Computerspielgeschichte aus dem Atari-2600-spiel „Adventure“(1979). Da es damals nich üblich war, dass die Spielefirmen auch den Namen des Programmierers veröffentlichten, hatte sich der „Adventure“-schöpfer Warren Robinett im Spiel in einem geheimen Raum mit seinem Namen selbst verewigt und trug damit auch zur Emanzipation von Computerspielen als eigenständiges, kreatives Medium bei.
Transfer von Stilelementen
Durch den Umstand, dass es sich um ein visuelles Medium handelt, orientierten sich viele digitale Spiele damals wie heute am Film. Umgekehrt hinterlässt das neue Medium in der Filmlandschaft genauso seine Spuren – und das auf vielfältige Weise. Nicht nur die Präsenz von Computerspielen in Reinform ist in Filmen zu finden. Im Laufe der Zeit haben sich auch Elemente des interaktiven Mediums in das lineare Medium Kinematografie geschlichen. Das fängt von dem Einbinden der Ego-perspektive in den Film ein. Die russisch-chinesisch-amerikanische Produktion „Hardcore“von 2015 orientiert sich stilistisch direkt an First-person-shootern und lässt das Publikum über die komplette Filmdauer durch die Augen des Protagonisten schauen. Filme wie „... und täglich grüßt das Murmeltier“(1993) mit Bill Murray greifen das Try-and-retry-prinzip auf. Murrays Figur Phil muss immer wieder den selben Tag erleben, um nach und nach die richtigen Entscheidungen zu treffen. Am Ende des Tages winkt die Hand der „Prinzessin“Rita (Andie Macdowell). Auch „Lola rennt“(1998) von Tom Tykwer basiert auf diesem Prin
zip, nur mit einer Prise mehr Lara Croft. Nach jedem missglücktem Versuch sehen wir Lola mit ihrem Freund in einer Art Zwischenwelt, die als Menü interpretiert werden könnte.
Das Try-and Retry-prinzip wird ebenfalls im dritten Akt von „Scott Pilgrim vs. the World“(2010) verwendet. Die Komödie von Edgar Wright erzählt die Geschichte der Hauptfigur Scott Pilgrim, der die sieben teuflischen Ex-freunde seiner Flamme Ramona besiegen muss, um das Herz seiner Geliebten zu erobern. Dabei führt uns die Narrative, wie in vielen Computerspielen, von Level zu Level in Form eines Boss-gegners an jeweiligen Level-ende. Da in der Welt von Scott Pilgrim gleichzeitig ein Bandwettbewerb stattfindet, wird aus einem Boss-level spaßeshalber auch mal ein Bass-level. Die Darstellung der Kämpfe gegen die teuflischen sieben Ex-freunde wird aus der Seitenperspektive dargestellt. Ein Darstellungselement, welches aus den zahlreichen 2D-beat‘em-ups der 1980er und ’90er Jahren wie „Killer Instinct“oder „Street Fighter“übernommen wurde. Auch werden Statuseffekte oder Level-ups dann und wann im Bild eingeblendet. Nach dem Kampf zerplatzen besiegte Feinde in Münzen und Erfahrungspunkte, die ebenfalls auf den Bildschirm angezeigt werden. Und nach dem finalen Bosskampf muss sich Protagonist Scott sogar noch seinem eigenen, „bösen“Spiegelbild stellen (eine bei Prügelspielen wie „Streetfighter“gern benutzte Kostensparmaßnahme, um bereits erstellte Charaktermodelle mehrmals im Spiel verwerten zu können).
Narrative Unterstützung
Am seltensten werden digitale Spiele zur Unterstützung der Handlung eingesetzt. In „Terminator 2: Tag der Abrechnung“spielt John Connor (Edward Furlong) in einer Spielhalle die Titel „Missle Command“(1981) und „Afterburner“(1987). Hier soll dem Publikum verdeutlicht werden, dass John der geborene Krieger ist.
In „Die Liebe in mir“(„Reign Over Me“, 2007) kämpft der Protagonist Charlie Fineman (Adam Sandler) mit dem Verlust seiner Familie durch die Geschehnisse am 11. September 2001. Charlie spielt in mehreren Szenen den Titel „Shadow Of The Colossus“(2005), welches seine Isoliertheit und Depression widerspiegelt – dieser Kultklassiker für die Playstation 2 ist bis heute bekannt für seine künstlerische und emotionale Tiefe. Die Stimmung des Spiels gibt die
Stimmung des Themas wieder und versetzt den Zuschauer in den inneren Konflikt der Hauptfigur. Zuletzt soll noch Paul Verhoevens „Elle“(2016) hier Erwähnung finden. Die sexuelle Gewalt, die der Hauptfigur Michèle (Isabelle Huppert) in ihrer Vergangenheit widerfahren ist, wird durch die Computerspiel- und Animationsszenen, die im Film gezeigt werden, thematisiert. Michèle ist Chefin einer französischen Spieleschmiede und bringt im Laufe der Handlung ein sehr brutales Action-game auf dem Markt, welches viele sexuelle Anspielungen enthält. Das Gewaltspiel dient hier als eine Methode der Vergangenheitsbewältigung. Dabei handelt es sich um das Schleichspiel „Styx“von 2014, bei dem es eigentlich darum geht, unerkannt gegen seine Feinde vorzugehen. Für den Film wurden aber einige brutale und sexuell anrüchige Szenen dazu animiert, die leider so billig wirken, das sie offensichtlich nicht zum Spiel gehören. Dennoch zeigen diese Beispiele recht gut, wie erwachsen Videospiele heute behandelt werden und welch fester kultureller Bestandteil sie geworden sind. Sie sind vermutlich das am meisten immersive Medium, um Geschichten zu erzählen.