Blu-ray Magazin

Stay Alive

- FALKO THEUNER

In dem koreanisch­en Film „Go“(2001) dreht sich der Vater und Boxtrainer des Protagonis­ten mit ausgestrec­kter Faust einmal im Kreis. Das sei die unmittelba­re Angriffsre­ichweite, ein Schutzschi­ld. In diesem Kreis ist man sicher. „Wenn Du eine Beziehung zu einem anderen Menschen aufbauen willst, musst Du den Kreis durchbrech­en, um ihn von draußen in Deine persönlich­e Sicherheit­szone hinein zu ziehen.“Was diese Lehre eines Vaters für seinen Sohn mit dem vorliegend­en amerikanis­chen Zombiestre­ifen zu tun hat? Zum einen, dass der Originalfi­lm „#Alone“(2020) ebenfalls aus Korea stammt. Zum anderen: In „Stay Alive“geht es in erster Linie um Isolation. Um das Abschotten vor anderen Menschen und das Aufbauen einer heftigen „Sicherheit­szone“. Man sieht, wie der Held des Films Aidan (Tyler Posey) sich nach über 40 Tagen Einsamkeit erhängt, woraufhin die Handlung an den ersten Tag springt, als das ganze Desaster losging. Aidan wacht auf, seine Bettbekann­tschaft ist bereits abgezischt. Und irgendein Tumult findet im Hausflur bzw. unten auf der Straße statt. Alarm erschallt, im Fernsehen läuft der staatliche Notfallsen­der. Ein Blick aus dem Fenster macht klar: Irgendein Virus verwandelt Menschen blitzschne­ll in wütende Berserker, die wie in „28 Days Later“durch die Gegend flitzen und gesunden Menschen die Kehle aufbeißen. Da das Sprachzent­rum erhalten bleibt – und das ist der Clou im Gegensatz zu anderen Zombiearte­n – schreien die Viecher simple Phrasen aus, was tatsächlic­h noch unheimlich­er als das übliche Untotenges­töhne ist: HILFE! MACH AUF! BETRÜGER! HÖR AUF! DAS TUT WEH! MIR GEHT‘S GUT! HALLO?! Die verwirrten Rufe der Infizierte­n hallen Tag und Nacht durch die Straßen sowie Flure. Und manchmal, wenn Aidan die Kühlschran­kbarrikade von seiner Appartment­tür wegrückt, um durch den Spion zu luken … hört er auch geflüstert­e Hilferufe, die ihn bitten, sie einzulasse­n. Ist das ein Mensch oder eine Zombiefall­e? Aidan vertraut jedenfalls niemandem mehr und öffnet niemandem. Selbst die Fenster sind mit Zeitungspa­pier abgedunkel­t.

ICH KRIEG DICH!

Nun wäre es ein ziemlich langweilig­er Film, wenn man einfach jemanden in seiner Isolation beobachtet, bis er sich den Strick nimmt. Außerdem steht auf dem Blu-ray-cover etwas von Donald Sutherland, der ja auch noch irgendwo vorkommen muss. Und das tut er auch zur Genüge, keine Sorge. Doch in welcher Form und was da noch alles in diesem Film passiert, sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: Das Warten lohnt sich, denn es ist in Wirklichke­it eine Parabel, die den typischen modernen Menschen abbildet. Es gibt Action, Humor und jede Menge Spaß für all jene, die sich darauf einlassen. Und vielleicht sieht man die neue Spezies des sprechende­n Untoten auch in zukünftige­n Filmen oder Serien noch einmal wieder – KOMM HER! Das wäre zumindest ziemlich cool und birgt massig Potenzial für unheimlich­e Szenen. Ex„teenwolf“Tyler Posey ist für den Part des zurückgezo­genen Alleingäng­ers die ideale Besetzung. Meistens wirkt er verletzlic­h, witzig und nerdig wie Leonard in „The Big Bang Theory“. Doch mit seinen Tattoos und dem sportliche­n Äußeren geht er auch locker als anarchisti­scher Actionheld à la Ash Williams durch, der so richtig auf die Kacke hauen kann, wenn die Motivation stimmt. Immer wieder fasst er seinen Mut und versucht, seinem Appartment zu entkommen, was so katastroph­al damit endet, dass er wieder zurück muss und sich die Situation verschlimm­ert. Und dann kommt der im Prolog gesehene Tag 42, an dem er sterben wird. Nix mit ultimative­r Antwort auf alle Fragen. Oder ist es einfach die Erkenntnis, dass ein Mensch nun mal mehr zum leben braucht als Essen, Trinken, Schlafen sowie physischen Schutz?

Die Koreaner haben’s einfach drauf! Woher kommt nur dieses Talent, schwierige Stoffe so unglaublic­h kurzweilig zu inszeniere­n? Ist man als Zuschauer nach einem amerikanis­chen „Outbreak“(1995) oder „Contagion“(2011) erst einmal völlig am Boden, verläuft „Contaminat­ion“wesentlich spannender und gleichzeit­ig absolut unbeschwer­t.

Zunächst macht das Publikum Bekanntsch­aft mit den Protagonis­ten der Geschichte: Jaehyeok (Myung-min Kim) ist Vertreter eines Pharmazie-konzerns und hofiert wichtige Geldgeber, indem er mehr Zeit mit ihnen verbringt als mit den eigenen Kindern. Er liegt im Zwist mit seinem Bruder Jae-pil (Dong-wan Kim), einem erfolglose­n, herunter gekommenen Polizeierm­ittler, der das Familienve­rmögen am Aktienmark­t verzockt und seitdem keinen Kontakt mehr zu Jae-hyeok hat. Jae-pil lebt in einer Beziehung mit Yun-joo (Lee Hanee), die wiederum in der Entwicklun­gsabteilun­g des gleichen Pharmazieu­nternehmen­s wie sein Bruder arbeitet und daher zu einer inoffiziel­len Vermittler­in zwischen den Streithähn­en wird. Zudem kennt sie sich blendend in der medizinisc­hen Forschung aus. Als in der Nähe eine Bade- und Erholungso­rtes eine ausgemerge­lte, scheinbar verhungert­e Wasserleic­he gefunden wird, beginnt der Albtraum, den der Katastroph­enfilm verspricht. Die Todesursac­he bleibt ungeklärt, offenbar ist das Opfer selbst ins Wasser gelaufen, um dort zu ertrinken. Handelt es sich um einen einfachen Suizid? Doch wieso ist der Körper dann in so kurzer Zeit völlig abgemagert und verschrump­elt? Während Jae-pil vor Ort an den Ermittlung­en teilnimmt, gibt es 14 weitere Leichen, direkt vor seinen Augen. Derweil wohnt Yun-joo der Erforschun­g der Ursache und dem Finden eines Heilmittel­s bei, das der Krisenstab nach zahlreiche­n weiteren Wasserleic­hen schnellstm­öglich und zu jedem Preis herbeiführ­en möchte. Jae-hyeok wundert sich nur, dass seine Frau Gyeong-sun (Jung-hee Moon) und die Kinder immer noch wach sind und Essen, wenn er kurz nach Mitternach­t nach hause kommt. Ihr Hunger und Durst scheint keine Grenzen zu kennen. Und erst das andauernde Rülpsen, widerlich!

A Wurm! Rülps!

Wofür die Forschung eine knappe halbe Filmstunde benötigt, das weiß das Publikum bereits von Anfang an. Auf der Blu-ray-packung steht „Tödliche Parasiten“. Und das ist auch des ersten Rätsels Lösung. Fiese Rosshaarwü­rmer gelangten über das Badewasser in den jeweiligen Darm der Opfer, nisteten sich dort bis zur Geschlecht­sreife ein, vertilgten sämtliche aufgenomme­ne Nahrung und steuerten ihren Wirt dann wie kleine Insekten ins Wasser, wo dieser dann ertrinkt und die Würmer in die Freiheit gelangen. Dieses Selbstmord­verhalten gibt es in der Tierwelt tatsächlic­h, allerdings war es Parasiten bislang nur möglich, simple Organismen zu manipulier­en, um beispielsw­eise von einem Vogel gefressen zu werden, damit das Vieh im Körper des Flatterman­ns weiterlebe­n kann. Für den Film wurde dieses immer noch Rätsel aufgebende Phänomen auf den Menschen übertragen, wodurch eine Zombiefilm-artige Atmosphäre entsteht. Jede Nacht versuchen die Infizierte­n alles, um ihren Körper ins nächstgele­gene tiefe Nass zu befördern. Sie aufzuhalte­n, scheint unmöglich, wie Jae-hyeok am eigenen Leibe feststelle­n muss. Hunderte Menschen rennen kopflos durch die Straßen Busans, Seouls und anderer Großstädte, während Nichtinfiz­ierte versuchen, sie vom Selbstmord abzuhalten. Es müssen schnelle Maßnahmen getroffen werden, um das Massenster­ben zu beenden. Sollte man die Infizierte­n unter Quarantäne einsperren? Wie verhindert man eine Massenpani­k? Und wie soll

man so schnell überhaupt ein Gegenmitte­l finden? Voreilige Medikament­entests und -einführung­en stellen genauso eine Gefahr dar wie die Unwissenhe­it über die Herkunft der Bedrohung. Doch das Dreiergesp­ann gibt sich alle Mühe, Licht ins Dunkel zu bringen, während die Zahl der Infizierte­n exponentie­ll steigt.

Unterhaltu­ng pur!

Gekonnt springt die Handlung vom reinen Katastroph­enszenario mit hektischen Diskussion­en zwischen Politikern und Medizinern zu den Einzelschi­cksalen. Aus ihrer Perspektiv­e erlebt man beispielsw­eise, wie die Apotheken von todesängst­lichen Massen gestürmt werden, wie gehamstert und gehortet wird, immer auf der Suche nach Sicherheit. Da die Opfer süchtig nach Wasser sind, entstehen auch hier Engpässe, die die lebensbedr­ohliche, ausweglose Lage noch deutlicher machen. Und doch findet man auch Humor, Thrill und Action in diesem Film, der so locker und unterhalts­am erzählt ist, dass man gespannt auf die nächste Stufe des Chaos wartet. Es handelt sich also erneut um einen Genre-mix, der absolut organisch nur das beste einzelner Stil- und Handlungse­lemente in sich vereint. Wird der Horror um die ekligen Würmer und deren Auswirkung­en zu groß, lockert ein kleines Bäuerchen aus dem Ehebett („immer noch besser als ein Pups!“) die Situation wieder auf. Eine unfreiwill­ige Komik stellt sich merkwürdig­erweise nicht ein. Hier ist alles mit Kalkül gesetzt und gutem Pacing inszeniert. Zudem liefern die Darsteller ausgezeich­nete Arbeit ab. Jae-pil ist menschlich, zynisch und cool, sein Bruder Jae-hyeok intelligen­t, sozial, witzig und absolut unnachgieb­ig, wenn es um seine Familie geht. Und Ehefrau Gyeong-sun hat den Dreh vom liebevolle­n Menschen zum Wasser-zombie-berserker wirklich beängstige­nd gut drauf. Ein kurzes Zucken der Oberlippe – und los geht’s! WASSSERRR! Technisch ist die Qualität der Blu-ray nicht ganz so hoch wie jene des Inhalts. Vor allem tanzt der Schwarzwer­t immer wieder aus der Reihe und schmälert den Kontrast zu einem etwas bleichen Gesamtbild. Darunter leiden auch die helleren Farben. Zumindest die Schärfe ist durchgängi­g gut. Die Lautstärke-dynamik und die Synchronis­ation können sich hören lassen. Allerdings ist die Abmischung bezüglich der Verständli­chkeit in einigen Szenen nachlässig, in denen Musik und Effekte Dialoge verschluck­en. Die akustische Abbildung des dreidimens­ionalen Raums ist gut, könnte aber noch deutlicher sein.

 ??  ?? 42 Tage der Zombie-apokalypse verbringt Aidan (Tyler Posey) in völliger Isolation in der Hoffnung auf ein baldiges Ende … das er sich im Prolog selbst zufügt
42 Tage der Zombie-apokalypse verbringt Aidan (Tyler Posey) in völliger Isolation in der Hoffnung auf ein baldiges Ende … das er sich im Prolog selbst zufügt
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 ??  ?? ICH KRIEG DICH! Durch den Spion beobachtet Aidan die schreiende­n Zombies
ICH KRIEG DICH! Durch den Spion beobachtet Aidan die schreiende­n Zombies
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Donald Sutherland spielt hier einen Plünderer, der in Nachbarswo­hnungen nach Vorräten sucht
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Während Jae-hyeok (oben) versucht, seine Familie zu retten, recherchie­rt Jae-pil (u. links) als Polizeierm­ittler nach der Ursache des Desasters. Yun-joo (u. rechts) forscht derweil nach einem Gegenmitte­l

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