Deutschland ’89
(3. Staffel)
Im Jahr 1983 wurde der junge Nva-soldat Martin Rauch (Jonas Nay) von der Stasi-behörde Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) rekrutiert, um sich in die westdeutsche Bundeswehr einzuschleusen und dort zu spionieren. 1986 treffen die Zuschauer der Serie Rauch im fernen Südafrika wieder, wo ihn seine Tante Lenora (Maria Schrader) für einen riskanten Plan gewinnen möchte und er zeitweise als Doppelagent für den westdeutschen Bundesnachrichtendienst arbeitet. Wieder zurück in Ostberlin scheitern die Fluchtpläne in den Westen zugunsten seines Sohnes Max, der nun in der dritten Staffel der Spionage-serie als Druckmittel gegen Martin verwendet wird. Es ist 1989 und die Handlung beginnt rund drei Tage vor dem Mauerfall. Für Martin und alle Beteiligten an diesem Spionageszenario geht es noch einmal ums Ganze. Zu Beginn soll Martin beispielsweise einen „einfachen Botenjob“für die HVA erledigen. Tut er es nicht, wird sein Sohn entführt und zu seiner Mutter nach Moskau geschick. Es geht um das neu überarbeitete Reisegesetz der DDR, das zu liberal ausfallen könnte, was um jeden Preis verhindert werden soll. Ausgestattet mit Giftampullen sei sogar Mord ein legitimes Mittel – eine Vorgehensweise, die Martin zunächst verweigert. Als er allerdings heimlich in die Unterlagen schaut und sieht, wie liberal der Gesetzesentwurf wirklich aussieht, keimt in ihm ein neuer Plan, der die Karten ordentlich durchmischen könnte. Derweil schmeißt sich Max’ neue Lehrerin Nicole Zangen (Svenja Jung) an den Spion heran. Doch für jemanden, der wie Martin schon einmal von einer Bnd-spionin beziehungstechnisch ausgenutzt wurde und der die Vorgehensweisen sogenannter Romeo- bzw. Venus-agenten kennt, läuten bei einem solch gesteigerten Interesse von einer Person sämtliche Alarmglocken.
Montagsdemos und Wende
Doch auch nach dem Mauerfall bleibt es spannend, sodass es für Martin ums nackte Überleben geht. Und am Ende werden neben zahlreichen politischen Freundschaftsbekundungen aus dem Tv-archiv auch ein paar aktuellere Fernsehausschnitte von Donald Trump und seiner neu errichteten Grenzmauer zu Mexiko gezeigt – quasi als gedankliche „Brücke“zur Gegenwart – eine Gegenwart, die aus der Geschichte offenbar nicht gelernt hat. Inzwischen ist mit Joe Biden natürlich ein anderer Us-präsident an der Macht, dessen Wahlversprechen der Baustopp der bereits mehrere hundert Kilometer umfassenden Mauer ist. Ob und wie das Ende des vertraglich fixierten 7-Millarden-dollar-projekts herbeigeführt werden soll, ist allerdings noch unklar. Der Schwenk in die USA kommt nicht von ungefähr. Dort wird die Spionageserie nämlich im O-ton mit englischen Untertiteln ausgestrahlt, eine Seltenheit in einem Land, in dem es von europäischen Erfolgskonzepten in der Regel ein mit Us-schauspielern besetztes Remake gibt. „Deutschland ’89“ist aber auch tatsächlich so gut, da es eine fiktive und auf Spannung getrimmte Spionage-handlung in ein historisch belegtes Geschehen versetzt und dieses mit Archiv-material aus Nachrichtenbeiträgen der Zeit belegt. Die Showrunner Anna und Jörg
Winger haben ihre Hausaufgaben gemacht und die teils aus Stasi-akten gewonnenen Einsichten über die Vorgehensweise der HVA in den fiktiven Plot mit eingeflochten. Jonas Nay ist auch in der dritten und letzten Staffel der perfekte Hauptdarsteller, der der Serie ihren ganz eigenen Ton gibt. Sein Serien-charakter besitzt eine sehr menschliche und sympathische Seite, überrascht aber auch mit seiner starken Energie und dem mutigen, intelligenten Kalkül, das seine Zeit braucht, um vom Zuschauer vollends durchschaut zu werden. Das Publikum wird also gefordertw und muss stets mitdenken – ein enormer inhaltlicher Qualitätsfaktor, der von der ganz guten Technik Unterstützung erfährt.
Im Jahre 1961 wird die junge Dr. Ella Wendt (Nina Gummich) aus Senftenberg an das weltbekannte Berliner Krankenhaus Charité berufen. Es ist die Zeit kurz vor dem Mauerbau. Unsicherheit begleitet die Menschen und das Personal flieht Richtung Westen. Jeden Morgen ist unklar, wer von den Ärzten und dem Pflegepersonal überhaupt noch zur Arbeit erscheint, sodass der Klinikalltag immer wieder vor Probleme gestellt wird und neu strukturiert werden muss. Die Versetzung der ehrgeizigen Ella geschah zwar zur Aufrechterhaltung der medizinischen Grundversorgung der DDR, ist aber in ihren Augen auch eine große Chance für ihre eigene Forschung. Seit einiger Zeit hat sich Ella der Krebsfrüherkennung verschrieben. An der Charité trifft sie auf den hochgelobten Prof. Dr. Otto Prokop (Philipp Hochmair), welcher als Koryphäe auf dem Gebiet der Gerichtsmedizin und der Blutgruppenforschung gilt. Ein Glücksfall für Ella, sollte sie den forensischen Pathologen von sich und ihrer Idee überzeugen können. Wäre da nicht der selbstbewusste Chirurg Dr. Curt Bruncken (Franz Hartwig), der nicht nur mit der Freiheit im Westen, sondern auch mit Ella liebäugelt. Kann Ella der Versuchung widerstehen? Ihr ehemaliger Kommilitone und jetziger Kollege Dr. Alexander Nowack (Max) schlägt da ganz andere Töne an. Zwar steht er des Öfteren mit sich selbst und der aktuellen Situation im Zwiespalt, will sich aber der Verantwortung seiner Patienten gegenüber nicht entziehen. Währenddessen kämpft Kinderärztin Dr. Ingeborg Rapoport (Nina Kunzendorf) um die Zusammenlegung der Gynäkologie und der Kinderstation, deren Entfernung von knapp einer halben Stunde für unnötige Komplikationen sorgt. Mit ihrem Gesuch stößt sie bei ihrem konservativen Kollegen, dem Gynäkologen und Geburtshelfer Prof. Dr. Helmut Kraatz (Uwe Ochsenknecht) allerdings auf taube Ohren. So leicht lässt sich Rapoport jedoch von ihrer Vision nicht abbringen. Die Stasi hingegen hat das Krankenhaus schon längst unterwandert und ein stets wachsames Auge auf die Charité und ihr Personal geworfen.
Zwischen Koryphäen und Engpässen
Neben der Migrationswelle gen Westen und den daraus resultierenden fehlenden Kapazitäten beim Personal kommt es aufgrund von Mangelwirtschaft auch noch zu Engpässen bei Medikamenten, was schwere Entscheidungen nach sich zieht. Gleichzeitig überfällt Deutschland das Polio-virus oder auch Kinderlähmung genannt und fordert unzählige Tode. Den Ddrbürgern setzt das Virus aufgrund eines neuen Impfstoffes und einer staatlichen Impfpflicht weniger zu. Als wäre das nicht schon genug, schimpft die Realität kurze Zeit später Walter Ulbrichts Worte Lügen. Über Nacht werden Berge von Stacheldraht herbeigeschafft und die Errichtung einer Mauer zwischen DDR und BRD beginnt. Die Charité ist nun Grenzgebiet und manche sehen ihre letzte Chance gekommen, in die Freiheit zu fliehen. Andere wollen die Patienten an der traditionsreichen Charité nicht im Stich lassen. Mit der dritten Staffel gelingt der Zeitsprung vom Ende der Kriegszeit hinein in die Zeit des Kalten Krieges und des Mauerbaus. Das komplett neue Schauspielerensemble um Nina Gummich („Babylon Berlin“) zeigt eindringlich das Ringen der Menschen mit sich selbst auf der Suche nach der richtigen Entscheidung. Leider werden die persönlichen Hintergründe der einzelnen Charaktere nicht weiter beleuchtet. Erneut baut die Serie rund um weltbekannte historische Persönlichkeiten ein facettenreiches Abbild einer Zeit auf, die noch so vielen in den Knochen steckt. Umso bedauerlicher ist es, dass auf der Blu-ray gänzlich auf Extras verzichtet wurde.