LOVECRAFT COUNTRY
Mit den Worten „Es ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass die Zeit den Tod besiegt“ging der glücklose Autor H.P. Lovecraft in die Literaturgeschichte ein. Erst Jahre später wurde ihm der Ruhm zuteil, sodass heutzutage vielen Menschen seine Werke um die großen Alten und die Figur des Cthulhu bekannt sind.
Am 20. August 1890 wurde Howard Phillips Lovecraft in Providence, Rhode Island geboren. Sein Leben war erschüttert von Tragödien. Mutter und Vater litten an psychischen Störungen und verstarben noch in der ersten Lebenshälfte ihres Kindes. Selbst an Depressionen leidend, man spricht sogar von Suizidabsichten, schaffte der junge Howard kaum die Hürden des Schulalltages. Ohne High-school-abschluss konnte er sich als unbekannter Autor kaum über Wasser halten. Die Ehe mit Sonia Green, die ein Hutgeschäft führte, brachte ihn 1924 wieder Sicherheit für die Zukunft. Doch auch dieser Umstand hielt nicht lange an, sodass Lovecraft die letzten Jahre seines Lebens mit seinen zwei Tanten verbrachte. So verstarb der unterernährte und völlig verarmte Autor am 15. März 1937 an Darmkrebs. Mit seiner Biografie erfüllt H.P. Lovecraft jenes klassische Klischee des missverstandenen Genies, das Zeit seines Lebens nie Wohlstand oder Anerkennung erlangte.
Das Wesen des Grauens
Es beginnt immer mit der selben unheildrohenden Stimmung. Der Erzähler warnt uns vor den Auswirkungen der folgenden Geschichte. Die erzählende Figur ist stets dem Wahnsinn nah und auch dem Leser – so versichert sie uns – wird es früher oder später ebenso ergehen. Mit diesen dramatischen Kniffen steigert Lovecraft das Lesevergnügen. Allein der Aufbau erzeugt Gänsehaut und baut eine Spannung auf, die in vorfreudiger Erwartung auf die Dinge, die da kommen mögen, verharrt. In seinen Büchern setzt der Horror-autor stets auf einen langsamen und ausführlichen Aufbau. Informationen werden zwischen den Zeilen wiedergegeben. Seine Ausführungen sind sehr dokumentarisch gehalten, beziehen echte Orte ebenso wie reale historische Gegebenheiten mit ein. Das alles erzeugt den Eindruck einer authentischen, auf Wissenschaft basierenden Welt. Solange... ja, solange bis „sie“sich zeigen, die „alten Wesen“. Die Menschheit ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. So wie sie erblühte, so rasch wird sie auch wieder vergehen. Im Gegensatz zum christlichen Glauben, ist der Mensch im Universum Lovecrafts nicht das Zentrum. Der unermessliche
Kosmos ist kalt und deprimierend, voller Schrecken und Gefahren. Der Horror besteht aus der Konfrontation mit dem Fremden und Unbekannten. In der Dunkelheit lauert das Grauen, auf seine Zeit wartend. Seltsame anormale Formen definieren die Schrecken in der Nacht. Von weit her kommen sie, die Besucher. Abscheuliche Kreaturen, zu schrecklich für das menschliche Auge. Die Klänge, die sie von sich geben: eine Kakophonie des Wahnsinns. So beschreibt der Autor die Phänomene in seinen Geschichten. Mehr und mehr wird der Protagonist von Paranoia geplagt, das Grauen sei ihm nah. Die Agenten des kosmischen Grauens mischen sich nämlich zunehmend unter die Bevölkerung, um die menschliche Gesellschaft von innen heraus zu destabilisieren. So fängt es stets an. Eine weitere Besonderheit an diesen Geschichten ist die Tatsache, das viele von ihnen inhaltlich miteinander verbunden sind. Somit erweitert sich das Universum Buchstabe um Buchstabe. Mit jeder folgenden Geschichte wird das Universum Lovecrafts realer. In seinem Spätwerk wirkt der Horror so real und authentisch geschrieben, als würde er wirklich existieren. Das einige Menschen auf der Suche nach dem „echten“Necronomicon sind, zeigt wie stark sich dieser Kosmos des Grauens verselbstständigt hat. Das von Lovecraft erdachte Buch der Toten soll Texte beinhalten, welche die Großen Alten beschwören.
Das Erbe Lovecrafts
Heutzutage ist Howard Phillips Lovecrafts Gesamtwerk bekannter als je zuvor. Das liegt vornehmlich an seiner Präsenz in der Popkultur. Autoren wie Clark Ashton Smith und Wolfgang Hohlbein führten seinen Stil fort. Im Medium Film gibt es jedoch nur versteckte Anspielungen auf den Horror-autor. Leider gibt es keine nennenswerten offiziellen Lovecraft-verfilmungen. Der Regisseur Guillermo del Toro wollte 2010 sein Wunschprojekt „Die Berge des Wahnsinns“verfilmen. Schon in seiner „Hellboy“-verfilmung taucht im Finale ein Anspielung auf Lovecrafts alte Wesen in Form des riesigen Leviathans auf. Aus dem Projekt „Die Berge des Wahnsinns“wurde jedoch nichts. Das liegt wahrscheinlich daran, dass auch heutzutage Lovecraft kein erfolgreicher posthumer Bestseller-autor ist und nur in kleinen Kreisen gelesen wird. Die interessantesten Lovecraft-filme kommen zumeist ohne die Erwähnung ihres Schöpfers im Titel aus. John Carpenter zählt zu einen der größten Fans des Horror-autors. Seien es die zahlreichen unförmigen Kreaturen in „Das Ding aus einer anderen Welt“(1982), die aus verschiedenen Körperteilen wie ein exzessives Krebsgeschwür herauswachsen und auf die Beschreibung eines Shoggothen zutreffen. Oder auch das Beschwören einer dunklen Macht in einer Welt hinter den Spiegeln in „Die Fürsten der Dunkelheit“von 1987. Das Wiedererstarken einer uralten, finsteren Religion bestimmt das Thema des Films. In „Sie Leben“von 1988 werden die Menschen durch ein außerirdisches Volk infiltriert und manipuliert. Und natürlich soll an dieser Stelle auch nicht „Die Mächte des Wahnsinns“(1994) vergessen werden, in dem die Macht von phantasievollen Geschichten zerstörerisch demonstriert wird. Der Regisseur Stuart Gordon hat mit seinen Filmen „Re-animator“(1985) und „From Beyond“(1986) seine Art von Liebeserklärung an H.P. Lovecraft realisiert. 2001 hat er ebenfalls die Regie der spanischen Low-budget-produktion „Dagon“übernommen, welche auf eine der frühesten Kurzgeschichten Lovecrafts von 1917
zurückgeht. Auch um das von Lovecraft erdachte schwarze Buch Necronomicon kommt die Filmwelt nicht mehr herum, wie Sam Raimis „Tanz der Teufel“-trilogie zeigt. In vielen Computerspielen findet der Stoff von Lovecraft ebenfalls einen Platz, wie bei „Eternal Darkness“(2002), „Call Of Cthulhu“(2005 und 2018) oder „Moons Of Madness“(2019). Die unförmigen Zellhaufen, die uns in der „Resident Evil“-reihe stets als Bossgegner entgegen gestellt werden, würden ohne den Einfluss H.P. Lovecrafts bestimmt ganz anders aussehen. Und nicht zuletzt wären da noch die Tentakelmonster in zahlreichen Hentai-mangas und -Animes, die wie Lovecrafts kosmische Völker versuchen, sich mit der menschlichen Rasse zu vereinen, mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass in den Geschichten Lovecrafts es oft die Frauen betrifft, die nicht von dieser Welt sind. In Hentai-geschichten sind die Männer überwiegend von außerirdischer Natur. Da soll noch einmal jemand sagen, das Pornografie nichts mit Kultur zu tun habe (siehe auch das entsprechende Spezial im Heft ab S. 36) . Lovecrafts „interessantes“und eigenwilliges Verhältnis zu Sex und Fortpflanzung spielt vor allem aber in seinem rassistisch geprägten Weltbild eine Rolle.
Rassistischer Horror
Das Böse in Lovecrafts Geschichten ist stets die unbekannte und primitive Natur. Es handelt sich oft um archaische Stämme, die zu ihren unbekannten, angsteinflößenden Gottheiten beten. Ihre religiösen Rituale scheinen brutal und unmenschlich. Das schreckte Lovecraft stark ab. In seinen Erzählungen geht die Gefahr von den Einwohnern der Entwicklungsländer aus, die sich mit den Weißen vermischen wollen, um die Industrieländer zu infiltrieren und deren „sauberen“Genpool zu verschmutzen. Er schürte mit seinen Geschichten die Angst vor dem Fremden und der Veränderung, zugespitzt bis auf die Zellebene. Das ist feinster psychologischer Horror von der schmutzigsten Sorte. Vor allem dunkelhäutige Menschen sind es, die in diesen Geschichten ihren heidnischen Glauben in der zivilisierten Welt verbreiten. Die zivilisierte Welt – das sind hier vor allem die Industrieländer als Sinnbild des menschlichen Fortschritts. Natürlich ist mit dem leuchtenden Licht der Zivilisation der weiße kaukasische Typ gemeint: der „Herrenmensch“, ein Begriff, den sich nur jemand ausdenken bzw. befürworten kann, der völlig davon überzeugt ist, selbst mit dazu zu gehören. Dazu muss man allerdings auch verstehen, dass Howard Phillips Lovecraft wie viele seiner Zeitgenossen in einer rassistischen Welt aufwuchs. So waren beispielsweise auch Autorenkollegen wie H.G. Wells Vertreter der sogenannten „Rassenhygiene“. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Eugenik leider ein angesehenes wissenschaftliches Thema in der Gesellschaft der Industrienationen. Das Ganze gipfelte in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland der 1930er und 40er Jahre in einer perversen Säuberungsaktion. Danach war das Thema weitaus weniger beliebt. Aber auch schon damals gab es Ansätze über die Schmelztiegelmetapher der Kulturen wie es
sie heutzutage beispielsweise in den USA, aber auch in vielen anderen Ländern gibt.
Die weiße Bedrohung
Der Rassismus in H. P.lovecrafts Werken ist auch Thema der Serie „Lovecraft Country“, die 2020 von Misha Green und ihren Produzenten-kollegen J. J. Abrams („Star Wars“) sowie Jordan Peele („Get Out“) ins Leben gerufen wurde. Green war für Serien wie „Underground“(2016-17) und „Helix“(2014-15) als Produzentin tätig und ist hier die federführende Showrunnerin. Nur vertauschen sich in „Lovecraft Country“die Rollen der Protagonisten und Antagonisten. Nicht von den dunkelhäutigen Rassen geht das Lovecraftsche Grauen mehr aus, sondern von der kaukasischen Rasse. Die Geschichte handelt von dem Afro-amerikaner Atticus Freeman (Jonathan Majors), der zu Beginn der Handlung auf der Suche nach seinem verschollenen Vater ist. Zusammen mit seiner Jugendfreundin Letitia Lewis (Jurnee Smollett) und seinem Onkel George (Courtney B. Vance) macht sich Atticus auf eine abenteuerliche Schnitzeljagd quer durch die USA des Jahres 1955, nur um etwas Ungeheuerliches hinter dem Verschwinden seines alten Herren zu entdecken. „Lovecraft Country“besteht aus zehn Episoden. Doch stehen diese Folgen mehr für sich alleine. Natürlich gibt es einen roten Faden, der die Rahmenhandlung der Staffel zusammenhält. Die einzelnen Folgen aber sind oftmals von unterschiedlichem Stile und sogar unterschiedlichem Ton. Ja, „Lovecraft Country“ist im Kern eine Horror-serie. Es mischen sich aber viele Elemente der reinen Fantasy- und des Abenteuer-genres mit ein. Ähnlich wie „The Witcher“(2019), lässt sich auch diese Serie strukturell mehr mit „Supernatural“(2005-2020) als mit „Game Of Thrones“(2011-2019) vergleichen, was den Machern viele kleine kreative Freiheiten lässt. Die Serie hält sich stark an die Erzählungen und das Universum Lovecrafts. Stärker als so manch andere Verfilmungen. Hier gibt es unheimliche Kulte zu sehen, außerweltliche Kreaturen und unterirdische Katakomben mit geheimnisumwitterten Symbolen. Und ja, es gibt sogar Tentakel-sex... das darf natürlich unter keinen Umständen fehlen!
Viel Spektakel, wenig Drama
Es war schon immer die Aufgabe der Science-fiction, ähnlich der Fabel, der aktuellen Geschichte einen Spiegel vorzuhalten, Missstände aufzuzeigen und Problematiken anzusprechen. Rassismus und Diskriminierung waren nicht nur im Jahr 1955 ein großes Problem. Das Thema ist auch heute noch so brisant wie nie. Durch die Präsidentschaft von Donald Trump hat sich die Anzahl rassistisch motivierter Angriffe in den USA im letzten halben Jahrzehnt erhöht. „Lovecraft Country“zeigt ein für Farbige nahezu lebensfeindliches Amerika der 1950er Jahre, in dem
Polizeigewalt und Vigilantismus vorherrschen. Ein Amerika, welches Farbige für den Besitz von Autos und Wohnhäusern bestraft. Auf der anderen Seite bindet die Serie namhafte farbige Persönlichkeiten in die Handlung mit ein. Und hier erleben wir den Vorteil einer episodenhaften Erzählung, die von der Haupthandlung größtenteils losgelöst ist. So findet in einer Folge sogar Josephine Baker, die legendäre afrikanisch-stämmige Tänzerin einen Auftritt. Leider ist „Lovecraft Country“nicht die subtilste Serie der Welt. Schon der Protagonist trägt den offensichtlichen Familiennamen Freeman, der quasi nach Freiheit schreit. Die Weißen in der Serie sind die ‚weißesten‘ Weißen, die je ein weißes Blatt Papier hervor gebracht hat. In der gesamten Handlung existiert quasi kein einziger positiver Charakter mit heller Hautfarbe. Auch andere Missstände wie die fehlenden Rechte der Frauen sowie das Problem der Homophobie werden thematisiert und auch teilweise mittels sehr kreativ eingeflochtener phantastischer Elemente in die Aufmerksamkeit der Zuschauer gerückt, was primär eine gute Sache ist. Allerdings geschieht dies alles mit einem extrem großen Vorschlaghammer, der schlimmstenfalls das Gegenteil bewirken kann. Kaum eine Folge kommt ohne didaktisch soziologischen Hintergrund aus. Und die Polarisierung zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß erinnert an Abenteuerfilme wie „Indiana Jones“, wobei hier statt der Nazis eben die Weißen dämonisiert werden. Ausgezeichnet ist hingegen die Charaktergestaltung des Protagonisten Atticus, der keineswegs eine reine Weste trägt und dadurch als sehr ambivalenter, vielschichtiger Held dasteht. Zugleich feuert die Show ein Feuerwerk an Spezialeffekten und visueller Kreativität ab. „Lovecraft Country“ist deshalb als durchaus blutige Horrorfantasy-serie voller genial designter Monster sehr unterhaltsam. Dabei hat sie es jedoch verpasst, einen eigenen afroamerikanischen Stil zu kreieren, wie es „Black Panther“im Jahre 2018 so vorbildlich getan und damit auch zwei seiner drei Oscars für die Kostüme und die Ausstattung abgeräumt hat. Mehr afrikanische Elemente hätten dem alteingesessenen Lovecraft-kosmos, der viele archaische Zivilisationen beinhaltet, sicherlich bereichert. Afrika ist ja bekanntlich die Wiege unserer Zivilisation.