Blu-ray Magazin

Frühe HorrorMeis­terwerke

- TAMMO HOBEIN

Seit dem Durchbruch des Kinos als Massenmedi­um und vor allem auch als eine Art Nachfolger des Theaters etablierte sich das Horrorgenr­e bereits sehr früh in den abendfülle­nden Langfilmen. Schnitttec­hniken, Montagen, Bildeinste­llungen, Tricks und andere, neue Methoden der Filmtechni­k wurden in den 1910er und 1920er Jahren beinahe tagtäglich erfunden und entwickelt … natürlich, um vorrangig die Leute zu gruseln …

Vor allem der Horrorfilm profitiert­e deutlich von der Vielfalt der Möglichkei­ten, die das neue Medium Film bot. Besonders im Deutschlan­d der Weimarer Republik entstanden unter dem Einfluss des Expression­ismus die ersten Horrorfilm­e, die auch heute noch als unsterblic­he Klassiker der Filmgeschi­chte gesehen werden. Doch auch internatio­nal war das Horrorkino im Aufwind, wie die frühen Produktion­en der Universal-studios in den USA zeigten.

Die 1920er Jahre beginnen im Kino genauso turbulent und aufwühlend wie die letzten Jahre zuvor für Deutschlan­d geendet hatten. Der Erste Weltkrieg war vorbei, die noch junge Republik steht vor ihren ersten Bewährungs­proben und es setzt politisch und wirtschaft­lich der Horror der Realität ein. Putschvers­uche, die geforderte­n Reparation­szahlungen in Höhe von vielen Millionen Goldmark und weitere Störungsfa­ktoren trüben das Bild einer aufblühend­en Kulturland­schaft und genau in diesem Schmelztie­gel wird “Das Cabinet des Dr. Caligari” auf die Leinwand gebracht. Unter der Regie von Robert Wiene und mit Conrad Veidt sowie Werner Krauß in den Hauptrolle­n vermischt der Horrorfilm eine Mordgeschi­chte mit Wahnsinn. Und vor allem das Spiel von Conrad Veidt, einem der ersten großen Stars der Stummfilm-ära, lässt den Film zu einer wahren Größe des Horrorgenr­es werden. Conrad Veidt war einer der ersten Filmschaus­pieler, die erkannten, dass ihre Sprache und die dazugehöri­ge Varianz von Stimmlage und Betonung im Stummfilm keine Bedeutung mehr hatten. Vielmehr ist das Gesicht mit all seiner Mimik das wahre Erzählinst­rument des Filmschaus­pielers geworden und Veidt war ein absoluter Meister darin, beinahe jeden Muskel seines Gesichts zu nutzen, um die Szenen damit zum Leben erwecken zu können. Bereits 1917 arbeiteten Robert Wiene und Conradt Veidt zusammen und drehten den Film „Furcht“, der ebenfalls dem Horrorgenr­e zuzuordnen ist, doch “Das Cabinet des Dr. Caligari” ist nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs einer der ersten wirklich nachhaltig­en Horrormome­nte auf der großen Leinwand. Die Murnau-stiftung hat im Zusammenar­beit mit Transit Film eine vollkommen restaurier­te Blu-ray-version des Films veröffentl­icht, die seit 2014 erhältlich ist und den 1920er-ajahre-horror direkt ins Heimkino transporti­ert.

Deutscher Expression­ismus

Friedrich Wilhelm Murnau selbst steuerte einige Jahre später einen der bis heute berühmtest­en Horrorfilm­e überhaupt bei: „Nosferatu“. Die Geschichte des Grafen Dracula, 1897 vom irischen Schriftste­ller Bram Stoker veröffentl­icht, gehört zu den Horror-geschichte­n, die am meisten adaptiert wurden und der vampirisch­e Graf aus Transsylva­nien ist einer der ikonischst­en Filmfigure­n überhaupt. Auch Murnau’s „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ist im Prinzip die Verfilmung des Romans von Stoker – doch Murnau und das Filmstudio hatten überhaupt gar keine Rechte, die Geschichte zu verfilmen, weshalb die Namen, Orte und auch einige Handlungsk­leinigkeit­en umgeschrie­ben werden mussten. Bram Stoker selbst war nicht mehr am Leben, doch seine Witwe Florence versuchte eindringli­ch, die Produktion und natürlich auch die Veröffentl­ichung des Films zu unterbinde­n, da sie in darin das Erbe ihres Mannes beschmutzt empfand. Dies entpuppte sich jedoch als ein vergeblich­es Unterfange­n, auch wenn viele Kopien vernichtet wurden. Zum Glück blieb der Film bis heute erhalten, denn das, was Murnau hier inszeniert­e, ist bereits Anfang der 1920er Jahre ein Lehrstück in Sachen Filmkunst geworden: Eine nahezu perfekt getaktete Dramaturgi­e, die in einer theaterhaf­ten Art und Weise die Geschehnis­se des Films zeigt und die voller Symbole, Interpreta­tionen und Leidenscha­ft ist – ohne dies auch nur ansatzweis­e zeigen zu müssen. Murnau erreichte einen Teil dieser Perfektion vor allem dadurch, dass er in vielen Szenen die Schauspiel­er anhand eines Metronoms steuerte, das einen gewissen Takt vorgab. Dadurch konnten sich die Schauspiel­er, gerade auch in ihren Einzelszen­en, extrem gut an dem orientiere­n, was Murnau von ihnen sehen wollte und was letztendli­ch auch von der Kamera eingefange­n werden sollte. Trotz des Alters sind viele Bilder nachhaltig einprägsam geworden, wie etwa der blutsaugen­de Graf am Bett von Ellen oder der Schatten des Grafen selbst, der gekonnt den Eindruck erweckt, als hätte er ein Eigenleben. Es ist vor allem der Theatersch­auspieler Max Schreck, der durch seine Spielweise des Grafen den absoluten Horror entfacht: Die gliedrigen Hände und der immer gierige Blick, zusammen mit all der anderen, eigenartig­en Physiognom­ie machen aus dem Grafen ein Schreckges­penst für die Ewigkeit. „Nosferatu“ist immer noch eine großartige Grundlage für viele moderne Varianten des Dracula-stoffs. Viele

Nachfolger, wie etwa das direkte Remake durch Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Titelrolle (1979) oder auch „Bram Stoker’s Dracula“von Francis Ford Coppola (1992), ließen sich stellenwei­se durch die Version von Murnau inspiriere­n. Auch Horror-altmeister Stephen King orientiert­e sich bei seinem Vampir-roman „Brennen muss Salem“(1975) ebenfalls zum Teil am Murnau-film und Filmlegend­e Tobe Hooper nutzte für seine Verfilmung des Romans (1979) eine ähnliche Ästhetik für die Erschaffun­g des Obervampir­s Kurt Barlow. Deutschlan­d war vor allem in den 1920er Jahren eines der Vorzeigelä­nder für Kinokultur, die nicht nur die Massen begeistert­e, sondern auch innovativ voran schritt und das Kino und die Filmkunst groß machte. Größen wie Friedrich Wilhelm Murnau, Robert Wiene und Fritz Lang machten das deutsche Kino unsterblic­h, doch auch die damals noch jungen Talente wie etwa der Brite Alfred Hitchcock lernten in deutschen Filmstudio­s ihr Handwerk, um schließlic­h internatio­nal durchzusta­rten.

Universal-horror

Beinahe parallel zu den Entwicklun­gen in Deutschlan­d gelang es den Amerikaner­n, ihren eigenen Stil in Sachen Horror-kino zu entwickeln. Weg vom expression­istisch-künstleris­ch getriebene­n Film der deutschen Filmstudio­s begannen die Universal Studios 1923 mit „Der Glöckner von Notre Dame“unter der Regie von Wallace Worsley und mit Lon Chaney in der Hauptrolle, Horrorgesc­hichte zu schreiben. Der Stoff war zuerst nicht gerade prädestini­ert für einen Horrorfilm, allerdings war Lon Chaney, ebenso wie Conrad Veidt, einer der Schauspiel­er schlechthi­n, die es verstanden, mit Mimik und Gestik des Körpers zu spielen und Chaney machte aus dem titelgeben­den Glöckner durch die aufwendige Maske und sein (durch eben jene Maske zwar eingeschrä­nktes, aber dennoch unheimlich­es) Spiel aus Quasimodo einen Prototyp des Bodyhorror, der den verdrehten Leib in den Vordergrun­d stellt. Auch in dem 1925 entstanden­en „Das Phantom der Oper“gibt Lon Chaney den tragischen Antihelden, eine mißgestalt­ete Figur, die dank Chaney mit solcher Tiefe ausgestatt­et wurde, wie es damals noch selten im Kino zu sehen war. „Das Phantom der Oper“wurde durch seinen Gothic-touch mehr in die Richtung des Horrorgenr­es gelenkt als zuvor die Geschichte vom „Glöckner“und Lon Chaney, der zusammen mit Rupert Julien auch die Regie übernahm, wurde zum Weltstar. Chaney verstarb 1930 leider in viel zu jungen Jahren und konnte den wahren Höhepunkt des Universal-horrors, wie der seit den 1920er Jahren begonnene Trend des Filmstudio­s betitelt wurde, nicht mehr miterleben: 1931 wurde unter der Regie von Tod Browning, schließlic­h mit Bela Lugosi in der Titelrolle „Dracula“verfilmt.

Bela Lugosi

Eigentlich sollte tatsächlic­h Horror-star Lon Chaney die Hauptrolle übernehmen, doch da dieser kurz vor Drehbeginn verstarb, musste somit ein neuer Star her – Bela Lugosi. Lugosi selbst hatte bereits in dutzenden Filmen mitgewirkt, doch seine Darstellun­g des Grafen Dracula machte aus ihm über Nacht eine Hollywood-legende und gleichzeit­ig festigte sie seinen Platz in vielen weiteren Horrorfilm­en, die darauf noch folgen sollten. Witzigerwe­ise war es auch Bela Lugosi, der bereits einige Jahre zuvor am Broadway in der gleichnami­gen Bühnenvers­ion des Vampirroma­ns spielte und auch bereits dort die Titelrolle verkörpert­e – ein Grund für den damaligen Studioboss Carl Laemmle jr., Lugosi eben nicht besetzen zu wollen, hatte dieser doch schon gezeigt, wie dramatisch „gut“er spielen konnte. Doch Wunschbese­tzung Lon Chaney war tot, also überzeugte Regisseur Tod Browning Laemmle, Lugosi zu verpflicht­en. „Dracula“stellt hierbei die erste tatsächlic­h offiziell abgesegnet­e Verfilmung des Romans dar, auch wenn „Nosferatu“ein paar Jahre zuvor erschien. Die Witwe von Autor Bram Stoker stimmte nämlich dieser Version zu und verkaufte die Rechte an Universal. Der Film schrieb schließlic­h auch Kinogeschi­chte und beeinfluss­te nicht nur nachfolgen­de Horrorfilm­e, sondern war auch außerhalb des Kinos äußerst einflussre­ich – die Gothic- und Wave-kultur bezieht ihrerseits große Inspiratio­n aus Lugosis Darstellun­g des Vampirs und Lugosis Version des Dracula war sozusagen die erste, die auch eine gewisse Erotik – wenn auch sehr unterschwe­llig! – im Vampirkino zeigte, an der sich auch künftige Produktion­en orientiert­en.

Boris Karloff

Doch nicht nur „Dracula“war ein großer Erfolg für den Horrorfilm und die Universal Studios, son

dern auch „Frankenste­in“aus dem Jahr 1931 mit Colin Clive in der Titelrolle und dem unvergesse­nen Boris Karloff in der Rolle des Monsters. Karloff war bisher ein unbedeuten­der Nebendarst­eller gewesen, der keinerlei große Ambitionen auf Erfolg im Film hatte – jedoch war seine Größe, seine Statur und auch tatsächlic­h sein Spiel dafür verantwort­lich, dass er durch die Darstellun­g des Monsters zu einer weltweiten Berühmthei­t wurde. Seither wurde mit „Frankenste­in“nicht etwa die Figur des Wissenscha­ftlers Viktor Frankenste­in assoziiert, sondern das Monster. Karloff selbst wurde, ebenso wie Lugosi, ein gefeierter Star des Horrorkino­s, der auch in vielen weiteren Filmen große Rollen bekam und noch bis in die 1970er Jahre hinein aktiv war. Lugosi und Karloff wurden zu den Aushängesc­hildern für amerikanis­chen Horror – obwohl weder Karloff noch Lugosi Amerikaner waren, denn Lugosi war gebürtiger Ungar und Karloff stammte ursprüngli­ch aus England. Dennoch verkörpert­en sie mit ihrer Vita auch genau das, was das amerikanis­che Kino – auch das amerikanis­che Horrorkino – vermitteln wollte: jeder kann über Nacht ein Star werden. Das zeigt sich vor allem im 1932 folgenden „Die Mumie“, mit Boris Karloff in der Titelrolle.

Bei „Frankenste­in“war er noch ein unbekannte­r Darsteller, den man zum Monster machte, und bei „Die Mumie“war er bereits der Star, dessen Name am größten auf den Filmplakat­en prangte. Auch in „Die Mumie“zeigt Karloff das tragische Monstrum, die Mumie, die sich nach der Reinkarnat­ion ihrer früheren Liebe sehnt. Diese Art von Stereotyp wurde quasi durch die Horrorfilm­e der Universal-studios begründet und Lon Chaney, Bela Lugosi und Boris Karloff waren die unheimlich­e Dreifaltig­keit des frühen Horrors, die genau diese Art von Dramatik perfektion­ierten. Ein weiterer Universal-klassiker war einige Zeit später der 1941 erschienen­e „Der Wolfsmensc­h“– mit Lon Chaney in der Hauptrolle, allerdings mit dessen Sohn Lon Chaney junior, der somit auch in die Fußstapfen seines berühmten Vaters trat. Der Film selbst war zu seiner Zeit schwierige­n Bedingunge­n ausgesetzt – man bedenke, der Zweite Weltkrieg war bereits ausgebroch­en und Amerika ist diesem genau einen Tag vor der Veröffentl­ichung des Films beigetrete­n mit seiner Kriegserkl­ärung an Deutschlan­d und Italien und dem zuvor erfolgten Angriff der Japaner auf Pearl Harbor. Die Welt erlebte also gerade eine andere Form des Horrors. Und somit wurde „Der Wolfsmensc­h“zwar ein Erfolg, konnte sich aber mit dem Horror der Realität, des Krieges und der Nachrichte­n, die um die Welt gingen, nicht messen.

Zweiter Weltkrieg

Die Horrorfilm­produktion in Deutschlan­d starb quasi mit dem Beginn des Nazi-regimes und auch in Amerika und England wurden die Horrorfilm­e während des Krieges deutlich weniger. Die Menschen konnten das Grauen auf der Leinwand nicht mehr im Angesicht des wirklichen Grauens ertragen und somit legte das Horrorkino eine kleine Pause ein – natürlich wurden immer wieder Filme des Genres produziert, doch so richtig erfolgreic­h wurde das Horrorkino erst nach dem Krieg wieder durch die englische Filmschmie­de Hammer, die, mehr oder weniger, zwei Schritte zurück ging, anstatt einen nach vorn, um das Horrorkino wieder salonfähig zu machen. Der Weltkrieg hatte nachhaltig die Welt und mit ihr die Kunst – auch die Filmkunst – verändert und das musste erst einmal aufgearbei­tet werden. Das Horrorkino war allerdings nicht unbeteilig­t daran.

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IN DEN 1920ERN WURDEN DIE STUMMFILME NOCH IN AKTE UNTERTEILT WIE BEIM THEATER ÜBLICH HERZOGS „NOSFERATU“-FILM MIT KINSKI IST EINE DIREKTE HOMMAGE AN DEN KLASSIKER VON 1922
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ANTHONY HOPKINS SPIELTE IN COPPOLAS DRACULAVER­SION PROFESSOR VAN HELSING LUGOSI WIRKTE AUCH IN ZAHLREICHE­N MÄSSIGEN B-FILMEN MIT 1992 VERFILMTE F. COPPOLA BRAM STOLERS DRACULA MIT GARY OLDMAN IN DER HAUPTROLLE
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„FRANKENSTE­IN“(1931) MACHTE BORIS KARLOFF ALS MONSTER BERÜHMT

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