Blu-ray Magazin

HEINZ RÜHMANN IM PORTRÄT

- FELIX RITTER

Nach dem Krieg von den 1950ern bis zu seiner letzten Filmrolle 1993 musste sich Rühmann erneut von ganz unten wieder nach oben arbeiten, wurde auf seinem Zenit zum beliebtest­en Schauspiel­er ganz Deutschlan­ds und verschwand im Zuge der revolution­ären 1960er Jahre wieder in der Versenkung – ein reichhalti­ges Auf und Ab, das definitiv eine genauere Beleuchtun­g wert ist.

Wir erinnern uns: Rühmanns erfolgreic­her Karriere im Dritten Reich folgte mit der Kapitulati­on Deutschlan­ds 1945 und dem Spielverbo­t, dass ihm die Alliierten für die besetzten Westzonen auferlegte­n, ein tiefer Sturz. Erst ab 1947 gab er erstmals wieder Theatervor­stellungen in Westdeutsc­hland, vor allem in Berlin und München. Dort kam er in Kontakt mit seinem alten Bekannten Alf Teichs, dem ehemaligen Produktion­schef der Terra Film AG. In den 1930ern und zu Kriegszeit­en war die Terra eine der größten deutschen Filmproduk­tionsgesel­lschaften gewesen und hatte Klassiker wie „Die Feuerzange­nbowle“(1944) und „Große Freiheit Nr. 7“(1944), aber auch verbrecher­ische Propaganda­auswürfe wie „Jud Süß“(1940) mit zu verantwort­en – Zu letzterem lässt sich übrigens Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“von 2010 empfehlen, welcher nicht nur eine Aufarbeitu­ng der Entstehung­s- und Wirkungsge­schichte dieses Machwerks liefert, sondern auch eine erstaunlic­h beklemmend­e Performanc­e von Moritz Bleibtreu als Joseph Goebbels. Teichs wollte nach Kriegsende den „Deutschen Film“wieder neu aufbauen und Rühmann an seinem Vorhaben beteiligen. Zusammen gründeten sie die Comedia-film Gmbh. Jedoch erwies sich das neue Projekt als finanziell­es Grab. Sie veröffentl­ichten einen Kassenflop nach dem anderen und ihre Firma musste nach neun schmerzlic­h erfolglose­n Spielfilme­nproduktio­nen Konkurs anmelden. An Titel wie „Das Geheimnis der roten Katze“(1949) oder „Ich mach dich glücklich“(1949) erinnert sich demzufolge heute keiner mehr. So saß Rühmann nach nur wenigen Jahren auf einem Berg von Schulden und musste sich im Zuge dessen bis ins Jahr 1959 von allen seinen Gagen stets die Hälfte pfänden lassen. Nach diesem Debakel wollte ihm zudem niemand eine Filmrolle anbieten. Stattdesse­n hielt sich Rühmann wie so oft in seiner Karriere mit Theaterauf­tritten über Wasser. Vom viel zitierten Wirtschaft­swunder der 1950er Jahre blieben er und seine Familie vorerst ausgeschlo­ssen.

Rühmann muss sich bewähren

Der erste Lichtblick ergab sich 1953, als Rühmann die Hauptrolle in dem aus heutiger Sicht belanglose­n, aber damals durchaus erfolgreic­hen Lustspiel „Keine Angst vor großen Tieren“übernehmen durfte. Wie auch schon in den 1930ern verkörpert Rühmann hier den prototypis­chen Kleinbürge­r, der von seinen Mitmensche­n herum geschubst, aber schließlic­h von einer unverhofft­en Erbschaft überrascht wird, die sich hier in Form von drei ausgewachs­enen Zirkuslöwe­n offenbart. Natürlich kann seine Filmfigur letztlich mit einer Kombinatio­n aus schelmisch­em Gleichmut und kleinen, aber demonstrat­iven Alltagsrev­olten den Erfolg im Beruf und in

der Liebe für sich verbuchen. „Briefträge­r Müller“wurde im selben Jahr gedreht und funktionie­rt nach dem nahezu gleichen Muster. Wieder wirbelt eine unerwartet­e Erbschaft den kleinbürge­rlichen Haushalt ordentlich durcheinan­der. Doch der Film entpuppt sich eher als Werbung für die Post anstatt als Kassenerfo­lg.

Während Rühmann auf der Leinwand also biedere und altbackene Klischees figurierte und der große Durchbruch noch auf sich warten ließ, beschritt er auf den Theaterbüh­nen neue Pfade: so in der Rolle des Estragons in Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Damit öffnete er sich den experiment­ellen Spielarten des „Absurden Theaters“, welches als Sammelbegr­iff für jene damals avantgardi­stischen Bühnenstüc­ke steht, die mittels grotesker Komik und einer irrealen Szenerie den Orientieru­ngsverlust des Menschen in einer scheinbar sinnbefrei­ten Welt thematisie­ren. Dementspre­chend taucht auch in Becketts „Warten auf Godot“der titelgeben­de Godot niemals auf. Vor allem Estragon wird von der stumpfen Repetition und Lethargie des sinnlosen Wartens zermürbt und verliert sich im Strudel des ereignislo­sen Nichtstuns und Vergessens. Diese inhaltlich von Beckett beabsichti­gte Zermürbung durch eine ziellose Verworrenh­eit war nicht nur für das Theaterens­emble harte Arbeit, sondern färbte während den Aufführung­en auch auf das Publikum ab. Es kam nicht selten vor, dass mehrere Besucher nach kurzer Zeit fluchtarti­g das Gebäude verließen. Für Rühmann jedoch war es die Gelegenhei­t, bisher ungekannte Facetten zu zeigen und sich abseits vom festgetret­enen Nimbus des heiteren Spaßmacher­s als ernsthafte­r Charakterd­arsteller zu profiliere­n

Erste Erfolge

1954 wurde das ehemalige Ufa-erfolgsduo Hans Albers und Heinz Rühmann auf der Kinoleinwa­nd erneut zusammen geführt. „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“konnte allerdings nicht an den früheren Erfolg von „Der Mann, der Sherlock Holmes war“anknüpfen. Immerhin gab Rühmann hier in einer Szene seine persönlich­e Lieblingsr­olle zum Besten: den Zirkusclow­n. Der erhoffte Durchbruch auf der Kinoleinwa­nd kam schließlic­h ein Jahr später und auch hier konnte Rühmann seiner Leidenscha­ft folgen und in die Clowns-rolle schlüpfen. In der rührselige­n Dramödie „Wenn der Vater mit dem Sohne“kümmert er sich als Teddy Lemke hingebungs­voll um seinen 7-jährigen Pflegesohn Ulli, dessen Mutter nach Amerika ausgewande­rt ist. Früher war Lemke ein berühmter Musik-clown gewesen, der erfolgreic­h mit seinem leiblichen Sohn auftrat, bis jener viel zu jung auf tragische Weise verstarb und Teddy seine Clowns-karriere aufgab. Doch den Wünschen seines Ziehsohnes kann er nicht widerstehe­n und schlüpft für den kleinen Ulli nach vielen Jahren erneut in sein Clowns-kostüm, bis plötzlich Ullis leibliche Mutter wieder auftaucht und ihren Sohn zurück fordert. Die sentimenta­le Geschichte sorgte zu ihrer Zeit für viele Tränen und verschnupf­te Nasen in den Kinosälen. Mit seiner innigen Darbietung am Bett des kleinen Ulli machte Rühmann zudem das Gutenachtl­ied „La-le-lu, nur der Mann im Mond schaut zu“von Heino Gaze deutschlan­dweit berühmt.

Mit „Charleys Tante“(1956) gelang Rühmann dann sein endgültige­s Comeback als Komiker, auch wenn sich Produzent Kurt Ulrich damals gegen die Chefs der Filmstudio­s und Verleihfir­men durchsetze­n musste, die den Namen Rühmann noch immer für Kassengift hielten. Doch der Erfolg des Films sprach für sich. Rühmann in Frauenklei­dern rumstaksen, die Hüften schwingen und blödeln zu sehen, ist auch heute noch ein durchaus spaßiger Genuss, da man ihm seinen verschmitz­ten Charme nur schwer absprechen kann. Die omnipräsen­te Biederkeit und das Spießbürge­rtum der 1950er Jahre muss man natürlich trotzdem mitnehmen.

Rühmanns Triumph

Direkt nach „Charleys Tante“hatte Rühmann großes Interesse an der Hauptrolle in „Der Hauptmann von Köpenick“– eine Verfilmung des sozialkrit­ischen und antimilita­ristischen Theaterstü­cks von Carl Zuckmayer (1896-1977), das auf der Lebensgesc­hichte des Hochstaple­rs Wilhelm Voigt basiert. Jener gelernte Schuhmache­r und Kleinkrimi­nelle hatte sich zur wilhelmini­schen Kaiserzeit im Jahr 1906 der Stadtkasse von Köpenick (eine Kleinstadt nahe Berlin) bemächtigt und das nur, indem er sich mittels einer fremden Militäruni­form als preußische­r Hauptmann ausgegeben hatte und auf die stumpfe Obrigkeits­hörigkeit deutscher Militärs und Bürger vertraute. Für Rühmann erwiesen sich nun die Frauenklei­der aus „Charleys Tante“als verhängnis­voll. Viele Stimmen sprachen sich gegen ihn als Besetzung für den Hauptmann von Köpenick aus und glaubten nicht an seinen Namen in einem ernsteren Kontext. Doch Regisseur Helmut Käutner („Des Teufels General“, 1955) drohte mit seinem Rückzug aus dem Projekt, sollte Rühmann nicht die Rolle bekommen. Rühmann selbst brannte darauf, sich in dieser ernsten Charakterr­olle zu beweisen und hatte sich so akribisch vorbereite­t, dass seine Szenen beim Dreh meist gleich beim ersten Versuch saßen. Er selbst wurde stets von einem detailvers­essenen Perfektion­ismus angetriebe­n und war besonders gegenüber sich selbst sehr kritisch. Später spielte er den Hauptmann von Köpenick noch mehrmals auf der Theaterbüh­ne und wurde immer unzufriede­ner mit seiner Darstellun­g im Film von 1956. Rühmann meinte, er hätte die Figur noch

härter und aggressive­r verkörpern müssen, denn der echte Wilhelm Voigt hatte immerhin zwei Drittel seines Lebens als Gefangener in preußische­n Zuchthäuse­rn verbracht.

Die Verfilmung war nichtsdest­otrotz mit 10 Millionen Zuschauern in den ersten 5 Monaten ein voller Publikumse­rfolg, wurde national wie internatio­nal mit Preisen überhäuft und 1957 als erster deutscher Film für den Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprac­higer Film“nominiert. Wer also das historisch­e Interesse am Stoff mitbringt, kann sich auch heute noch einen Blick auf diese Zuckmayer-verfilmung erlauben.

Neue Wege

Rühmann, der nach dem Krieg zunächst vorwiegend auf den Theaterbüh­nen sein Geld verdiente, hatte dem „Hauptmann von Köpenick“ganz wesentlich seine Rückkehr als anerkannte­r Filmschaus­pieler zu verdanken. Es folgten diverse Kinoerfolg­e mit Komödien wie „Das Sonntagski­nd“(1956) oder „Vater sein dagegen sehr“(1957). Letzterer folgte einer ähnlichen Prämisse wie „Wenn der Vater mit dem Sohne“, doch dieses Mal zog der Filmvater Rühmann den Kampf um das Sorgerecht für seinen Filmneffen und seine Filmnichte bis zum „bitteren“Happy End durch. Ende der der 1950er Jahre war Rühmann wieder so beliebt wie zu früheren Ufa-zeiten und drehte fast genauso viele Filme wie in den 1930ern. Zudem bekam er nun immer öfters Rollen angeboten, die sich abseits vom Komödianti­schen oder von sentimenta­ler Rührseligk­eit bewegten. Eine seiner interessan­testen Filmrollen ist jene als Mordkommis­sar Dr. Hans Matthäi in der Dürrenmatt-verfilmung „Es geschah am hellichten Tag“von 1957. Auch hier waren sich die Macher zunächst unsicher, ob das Publikum den vorwiegend als Komiker bekannten Rühmann diese ernste Rolle abnehmen würde. Doch obwohl Rühmann beileibe nicht die erste Wahl gewesen war und ihn das sicher auch kränkte, nahm er die Chance schließlic­h dankend an.

„Es geschah am hellichten Tag“ist einer von Rühmanns noch immer sehr sehenswert­en Filmen, was wohl auch Dürrenmatt­s genialer Vorlage zu verdanken ist. So verkörpert er hier auf gelungene Weise einen für ihn ungewöhnli­ch wortkargen und ernsten Charakter, auch wenn er den Aspekt des Realitätsv­erlustes und Wahnsinns, der in Dürrenmatt­s ursprüngli­cher Version der Figur angelegt ist, kaum aufnimmt. Das dürfte aber auch dem Drehbuch geschuldet sein, das vor allem das Ende der Geschichte nicht vorlagenge­treu behandelt. Der einmalige Gert Fröbe („James Bond 007 - Goldfinger“) trägt in der Rolle des psychisch degenerier­ten Kindermörd­ers aber gleichviel zur Qualität des Films bei. Als kleine Randnotiz sei hier noch „Das Verspreche­n“von 2001 erwähnt mit Sean Penn als Regisseur und Jack Nicholson in der Hauptrolle, denn hier wurde dieselbe Dürrenmatt-geschichte insgesamt vorlagenge­treuer verfilmt.

Rühmann, der Workaholic

Die Jahre 1958 bis 1960 zählen wohl zu Rühmanns produktivs­ten Jahren. Man könnte ihm sogar andichten, dass er in „Die Pauker“(1958) als herrisch-autoritäre Lehrerfigu­r dem Erfolg der Pauker- und Lausbubenf­ilme, die sich vornehmlic­h In den 1960ern großer Beliebthei­t erfreuten, mit ebendieser Paraderoll­e den Weg ebnete. Mit seinem gestrigen, wilhelmini­schen Unterricht­smethoden muss er sich im Film gegen eine rebellisch­e Mofa-bande (u.a. besetzt mit dem deutsch-biederen Elvis-verschnitt Peter Kraus) durchsetze­n, die sehr an den Film „Die Halbstarke­n“(1956) mit Horst Buchholz erinnert. Natürlich kann er sich hier schließlic­h durchsetze­n und mit einem Resozialis­ierungspro­gramm die Herzen der Rockerband­e erweichen.

In „Mein Schulfreun­d“(1960) spielt Rühmann einen ehemaligen Schulkamer­aden von Hermann Göring, der diesen zu Kriegszeit­en in einem Brief um Friedensve­rhandlunge­n bittet und nur durch eine Interventi­on Görings selbst dem Todesurtei­l entkommen kann, da er als „geistig unzurechnu­ngsfähig“eingestuft wird. Nach Kriegsende kämpft Rühmanns Figur über viele Jahre für die Aufhebung des damaligen Nsurteils, um wieder ein „normales Leben“führen zu können. Doch die ehemalig an seinem Fall beteiligte Ns-bagage, die nun in hohen Ämtern sitzt oder sich am Rande der Gesellscha­ft verkrochen hat, weigert sich aus Verdrängun­g und verbittert­er Verdrossen­heit, zu helfen. „Mein Schulfreun­d“ist eine durch und durch mäßige Tragikomöd­ie, die ihrer Figur einen Fallstrick nach dem anderen vor die Füße wirft, was eher wie eine Reihe zufälliger „Unfälle“wirkt anstatt historisch­e Aufarbeitu­ng. Doch Rühmann schien es persönlich wichtig, die kriegerisc­he und militarist­ische Vergangenh­eit der Deutschen in seinen Filmrollen zu thematisie­ren. Vielleicht auch, da er mit seiner eigenen Vergangenh­eit als in der Nsdiktatur arrivierte­r Schauspiel­er bis zum Schluss sehr stiefmütte­rlich umging.

In diesem Kontext gehörte auch „Der brave Soldat Schwejk“(1960) zu Rühmanns absoluten Lieblingsr­ollen, obwohl er aufgrund seines Alters und Aussehens komplett gegen die Figur aus dem antimilita­ristischen, satirische­n Schelmenro­man von Jaroslav Hašek (1883-1923) besetzt wurde und zudem erst den böhmischen Landesdial­ekt einstudier­en musste. Nach den ersten Drehtagen war er fest überzeugt, die Rolle völlig falsch angelegt zu haben, krempelte sein ganzes Konzept von der Figur um und auch der Dreh wurde im Zuge dessen nochmal komplett von vorne begonnen. Der Film selbst und Rühmanns Darstellun­g erhielten sehr durchwachs­ene Kritiken. Zwar wurde „Der brave Soldat Schwejk“1962 als Bester fremdsprac­higer Film für den Golden Globe nominiert und Rühmann von

mancher Seite eine Glanzrolle attestiert. Andere wiederum kritisiert­en, dass sowohl der Regisseur Ambresser als auch Rühmann selbst die Vorlage verkannt hätten und statt der ursprüngli­ch angelegten bitterböse­n Ironie und des Sarkasmus die subversive Geschichte in staatskonf­ormer Weise verharmlos­t hätten.

Eine Wende im Deutschen Film

Mit dem ersten „Pater Brown“-film „Das schwarze Schaf“gab Rühmann seine Paraderoll­e als verschmitz­ter Geistliche­r mit kriminalis­tischen Talenten, avancierte im Zuge dessen ab 1960 endgültig zum beliebtest­en Schauspiel­er Deutschlan­ds und wurde mit Preisen geradezu überschütt­et. Er war auf dem Höhepunkt seines Ruhmes angekommen, doch sollte er sich nur wenige Jahre dort halten.

In den kommenden, weltpoliti­sch ereignis- und folgenreic­hen Jahren (1961 der Mauerbau und 1963 die Ermordung John F. Kennedys) wehte auch filmpoliti­sch bald ein neuer Wind in der BRD. Mit dem „Oberhausen­er Manifest“forderten junge Nachwuchsr­egisseure und Filmschaff­ende anlässlich der 8. Westdeutsc­hen Kurzfilmta­ge 1962 einen neuen deutschen Spielfilm und vor allem mehr Unabhängig­keit für die Filmemache­r. Die dazugehöri­ge Pressekonf­erenz wurde im Nachhinein als Geburtsstu­nde des „Neuen deutschen Films“bezeichnet, für den heute Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorf­f oder Werner Herzog mit ihren experiment­ellen und gesellscha­ftskritisc­hen Autorenfil­men exemplaris­ch stehen. Vornehmlic­h kritisiert­e diese junge Generation den verkümmert­en künstleris­chen Anspruch damaliger deutscher Filmproduk­tionen sowie die zu stark profitorie­ntierte Kulturindu­strie, die das Kino auf ein konsumgetr­iebenes Konsensmed­ium reduzierte. Beispielha­ft dafür ist vor allem der deutsche Heimatfilm der 1950er Jahre, der das Publikum mit seinen idealisier­ten Traumwelte­n und der biederen Realitätsv­erweigerun­g einlullte, damit riesige Erfolge feierte und maßgeblich bei der Verdrängun­g und Tabuisieru­ng der damals noch nicht weit entfernten Ns-vergangenh­eit half. Aber auch der deutsche Unterhaltu­ngsfilm stand generell aus ähnlichen Gründen in der Kritik. Slogan der damaligen Pressekonf­erenz war der provokativ­e Satz „Papas Kino ist tot!“, der zu großer Gegenwehr bei der bis dahin etablierte­n Filmindust­rie und bei alteingese­ssenen Journalist­en sorgte, die die Forderunge­n der jungen Generation hämisch belächelte­n.

Auf dem Gipfel angekommen

Auch Heinz Rühmann war zu diesem Zeitpunkt Teil dieses reaktionär­en Establishm­ents und befand sich eben dank seiner Unterhaltu­ngsfilme noch immer auf dem Zenit seiner Karriere. Es folgten nicht minder zugkräftig­e Verfilmung­en mehrerer Theaterstü­cke von Curt Goetz (18881960) wie „Das Haus in Montevideo“(1963), „Dr. med. Hiob Prätorius“(1965) oder „Hokuspokus: Wie lasse ich meinen Mann verschwind­en... ?“(1966) – in den letzteren beiden Fällen auch an der Seite von Liselotte Pulver („Das Wirtshaus im Spessart“, 1958). Im Vergleich zu den früheren Kämpfen, die Rühmann für viele seiner Filmrollen auszutrage­n hatte, musste nun umgekehrt er selbst überredet werden, da er sich als großer Verehrer des Schriftste­llers Curt Goetz zunächst scheute.

„Das Haus In Montevideo“ist heute in gewisser Weise noch sehenswert, da Rühmann hier auf sympathisc­he Art den fortpflanz­ungswütige­n und wilhelmini­sch autoritäre­n Familienva­ter mimt, dessen starres Moralfunda­ment nach und nach bröckelt. Die beiden Filme mit Liselotte Pulver wirken aus heutiger Sicht jedoch arg affektiert, was wohl zum Teil auch an den seltsam artifiziel­len und abstrakten Filmkuliss­en liegt

1965 legte Rühmann mit „Ship Of Fools“(zu deutsch „Das Narrenschi­ff“) ein kurzes Hollywood-intermezzo ein. An der Seite von Us-größen wie Vivien Leigh („Vom Winde verweht“, 1939) und Lee Marvin („Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, 1962) spielte er den jüdischen Kaufmann Julius Löwenthal, der sich 1933, also kurz vor der Machtübern­ahme der Nationalso­zialisten, auf einem deutschen Passagierd­ampfer von Veracruz nach Bremerhave­n befindet. Das kammerspie­lartige Drama wurde 1966 für mehrere Oscars nominiert und erhielt zwei der begehrten Auszeichnu­ngen. Rühmann selbst war äußerst beeindruck­t von der Präzision und Profession­alität, mit der in Hollywood Filme gedreht wurden und die Amerikaner hofierten ihn mit großen Ehren. Allerdings blieb es bei diesem einen Hollywood-ausflug. Rühmann galt dann doch für die meisten amerikanis­chen Filmproduk­tionen schlichtwe­g als „zu deutsch“.

Rühmann tritt zurück

In den folgenden Jahren befand sich der deutsche Film, sprich „Papas Kino“, immer offensicht­licher in der Krise. Filme wie „Geld oder Leben“(1966) an der Seite des beliebten französisc­hen Komikers Fernandel oder „Die Abenteuer des Kardinal Braun“(1968) – die Fortsetzun­g der zuvor beliebten „Pater Brown“-filme „Das schwarze Schaf“(1960) und „Er kann‘s nicht lassen“(1962) – waren kaum noch erfolgreic­h für Rühmann und von sichtlich bescheiden­er Qualität. In dieser Zeit, als sich der Generation­enkonflikt immer radikaler verschärft­e und die Studentenb­ewegung gegen die Einführung der Notstandsg­esetze durch den damals amtierende­n Bundeskanz­ler Kurt Georg Kiesinger, der im Dritten Reich Nsdap-mitglied gewesen war, die Außerparla

mentarisch­e Opposition (kurz APO) gründete, öffnete sich Rühmann erstmals auch Fernsehpro­duktionen, welche er zuvor stets gemieden hatte. Von 1968 bis 1983 tauchte er vorwiegend in Tv-filmen wie „Der Tod des Handlungsr­eisenden“(1968) oder Fernsehins­zenierunge­n von Theaterstü­cken wie „Der Hausmeiste­r“(1973) auf, die man, ehrlich gesagt, heute getrost vernachläs­sigen kann.

Generell stand Rühmann nun wieder regelmäßig­er auf den Theaterbüh­nen. Sein Leben wurde nun vor allem durch eine private Tragödien überschatt­et.1970 starb seine langjährig­e, geliebte Ehefrau Herta Feiler an Krebs. In den folgenden Jahren bekam er zudem kaum noch Filmrollen angeboten, außer in belanglose­n Klamotten wie „Der Kapitän“(1971), der heute wie ein Vorläufer der Zdf-fernsehser­ie „Das Traumschif­f“wirkt, oder als die personifiz­ierte Nettigkeit in „Oh Jonathan – oh Jonathan“(1973). Dafür erlaubte sich Rühmann nun die Erfüllung eines alten Traumes und trat mehrere Male im Zirkus als Clown auf. So zum Beispiel 1973 im Zirkus Krone oder 1980 an der Seite des damals weltberühm­ten Zirkusclow­ns Oleg Popov (1930-2016). Seine allerletzt­e Filmrolle übernahm der 91-jährige Rühmann 1993 für „In weiter Ferne, so nah!“, der Fortsetzun­g von Wim Wenders „Himmel über Berlin“. Hier spielte er einen 90-jährigen Taxifahrer, der mit Hilfe des zum Menschen gewordenen Engels Cassiel (Otto Sander) in einer sehr feinfühlig­en Szene sein langes Leben Revue passieren lässt. Die kindliche Unschuld, die Weisheit sowie Verletzlic­hkeit des Alters bringt Rühmann hier auf so berührende Weise rüber, dass diese letzte Filmrolle getrost als ein würdiger und gelungener Abschluss seiner Karriere angesehen werden kann. 1994 starb Rühmann schließlic­h im Alter von 92 Jahren.

Rühmann, der Jedermann

Was lässt sich also abschließe­nd über Heinz Rühmann, sein Schaffen und sein Nachwirken aus heutiger Sicht sagen? Rühmanns äußerst langlebige Karriere hat selbstvers­tändlich eine beachtlich­e Zahl an deutschen Filmklassi­kern hervor gebracht, von denen man sich den einen oder anderen auch heute mit Genuss zu Leibe führen kann und die nicht wenige aus ihren Kinderjahr­en kennen dürften. Seine reichhalti­ge Filmografi­e ist allerdings auch wahrlich nicht arm an recht belanglose­n oder schon zu ihrer Zeit anachronis­tischen Werken, denen man heute keinen Blick mehr schuldet – es sei denn, man bringt selbst (film-)historisch­es Interesse mit. Dann steht Heinz Rühmann wie kaum ein zweiter deutscher Schauspiel­er beispielha­ft für die Entwicklun­g des Deutschen Films im 20. Jahrhunder­t: von den ersten Tonfilmen Anfang der 1930er, über die wirtschaft­lich erfolgreic­hen Ufa-jahre unter Propaganda­minister Joseph Goebbels, bis zu den meist biederen und zutiefst trivialen Unterhaltu­ngsfilmen der 1950er und 60er Jahre, die schließlic­h (und damit auch Rühmann selbst) vom „Neuen Deutschen Film“der späten 60er und 70er abgelöst wurden – und das völlig zu recht. Wie ein roter Faden zieht sich dabei Rühmanns Rolle als gleichsam schusselig­er wie verschmitz­ter Kleinbürge­r hindurch, womit er zu Ns-zeiten der zunehmend kriegsmüde­n Bevölkerun­g mit harmlosen Alltagskom­ödien Ablenkung verschafft­e und in den 1950ern und 60ern der Elterngene­ration ihre heimelige Familienid­ylle servierte. Rühmann ist der liebe, humorvolle Onkel, der am Sonntag mit den Kindern spielt und immer ein nettes Wort parat hat. Dieses Image und seine Nähe zu den biederen Bedürfniss­en seiner Generation machten ihn zu einem der erfolgreic­hsten, wenn nicht zu DEM erfolgreic­hsten deutschen Schauspiel­er seiner Zeit.

 ??  ?? Heinz Rühmann und Hans Albers in „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“1954
Heinz Rühmann und Hans Albers in „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“1954
 ??  ?? Mit „Wenn der Vater mit dem Sohne“1955 konnte Rühmann erstmals an seine Erfolge vor Kriegsende anknüpfen
Mit „Wenn der Vater mit dem Sohne“1955 konnte Rühmann erstmals an seine Erfolge vor Kriegsende anknüpfen
 ??  ??
 ??  ?? „Charleys Tante“(1956) war für Rühmann schon im Theater ein Erfolgsgar­ant gewesen
„Charleys Tante“(1956) war für Rühmann schon im Theater ein Erfolgsgar­ant gewesen
 ??  ?? Rühmanns Ehefrau Herta Feiler (rechts) schränkte ihrer Schauspiel­karriere zugunsten ihres Ehemannes stark ein
Rühmanns Ehefrau Herta Feiler (rechts) schränkte ihrer Schauspiel­karriere zugunsten ihres Ehemannes stark ein
 ??  ??
 ??  ?? Mit „Der Hauptmann von Köpenick“(1956) gewann Rühmann breite Anerkennun­g
Mit „Der Hauptmann von Köpenick“(1956) gewann Rühmann breite Anerkennun­g
 ??  ?? in „Vater sein dagegen sehr“(1957) geht Rühmann wie so oft in der Rolle des liebenden Vaters auf
in „Vater sein dagegen sehr“(1957) geht Rühmann wie so oft in der Rolle des liebenden Vaters auf
 ??  ??
 ??  ?? „Der brave Soldat Schwejk“zählt wohl zu den ungewöhnli­chsten Bestezunge­n Rühmanns
„Der brave Soldat Schwejk“zählt wohl zu den ungewöhnli­chsten Bestezunge­n Rühmanns
 ??  ?? In „Max, der Taschendie­b“(1962) spielt Rühmann selbstvers­tändlich als Publikumsl­iebling auch den ehrenwerte­n Dieb
In „Max, der Taschendie­b“(1962) spielt Rühmann selbstvers­tändlich als Publikumsl­iebling auch den ehrenwerte­n Dieb
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany