HEINZ RÜHMANN IM PORTRÄT
Nach dem Krieg von den 1950ern bis zu seiner letzten Filmrolle 1993 musste sich Rühmann erneut von ganz unten wieder nach oben arbeiten, wurde auf seinem Zenit zum beliebtesten Schauspieler ganz Deutschlands und verschwand im Zuge der revolutionären 1960er Jahre wieder in der Versenkung – ein reichhaltiges Auf und Ab, das definitiv eine genauere Beleuchtung wert ist.
Wir erinnern uns: Rühmanns erfolgreicher Karriere im Dritten Reich folgte mit der Kapitulation Deutschlands 1945 und dem Spielverbot, dass ihm die Alliierten für die besetzten Westzonen auferlegten, ein tiefer Sturz. Erst ab 1947 gab er erstmals wieder Theatervorstellungen in Westdeutschland, vor allem in Berlin und München. Dort kam er in Kontakt mit seinem alten Bekannten Alf Teichs, dem ehemaligen Produktionschef der Terra Film AG. In den 1930ern und zu Kriegszeiten war die Terra eine der größten deutschen Filmproduktionsgesellschaften gewesen und hatte Klassiker wie „Die Feuerzangenbowle“(1944) und „Große Freiheit Nr. 7“(1944), aber auch verbrecherische Propagandaauswürfe wie „Jud Süß“(1940) mit zu verantworten – Zu letzterem lässt sich übrigens Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“von 2010 empfehlen, welcher nicht nur eine Aufarbeitung der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieses Machwerks liefert, sondern auch eine erstaunlich beklemmende Performance von Moritz Bleibtreu als Joseph Goebbels. Teichs wollte nach Kriegsende den „Deutschen Film“wieder neu aufbauen und Rühmann an seinem Vorhaben beteiligen. Zusammen gründeten sie die Comedia-film Gmbh. Jedoch erwies sich das neue Projekt als finanzielles Grab. Sie veröffentlichten einen Kassenflop nach dem anderen und ihre Firma musste nach neun schmerzlich erfolglosen Spielfilmenproduktionen Konkurs anmelden. An Titel wie „Das Geheimnis der roten Katze“(1949) oder „Ich mach dich glücklich“(1949) erinnert sich demzufolge heute keiner mehr. So saß Rühmann nach nur wenigen Jahren auf einem Berg von Schulden und musste sich im Zuge dessen bis ins Jahr 1959 von allen seinen Gagen stets die Hälfte pfänden lassen. Nach diesem Debakel wollte ihm zudem niemand eine Filmrolle anbieten. Stattdessen hielt sich Rühmann wie so oft in seiner Karriere mit Theaterauftritten über Wasser. Vom viel zitierten Wirtschaftswunder der 1950er Jahre blieben er und seine Familie vorerst ausgeschlossen.
Rühmann muss sich bewähren
Der erste Lichtblick ergab sich 1953, als Rühmann die Hauptrolle in dem aus heutiger Sicht belanglosen, aber damals durchaus erfolgreichen Lustspiel „Keine Angst vor großen Tieren“übernehmen durfte. Wie auch schon in den 1930ern verkörpert Rühmann hier den prototypischen Kleinbürger, der von seinen Mitmenschen herum geschubst, aber schließlich von einer unverhofften Erbschaft überrascht wird, die sich hier in Form von drei ausgewachsenen Zirkuslöwen offenbart. Natürlich kann seine Filmfigur letztlich mit einer Kombination aus schelmischem Gleichmut und kleinen, aber demonstrativen Alltagsrevolten den Erfolg im Beruf und in
der Liebe für sich verbuchen. „Briefträger Müller“wurde im selben Jahr gedreht und funktioniert nach dem nahezu gleichen Muster. Wieder wirbelt eine unerwartete Erbschaft den kleinbürgerlichen Haushalt ordentlich durcheinander. Doch der Film entpuppt sich eher als Werbung für die Post anstatt als Kassenerfolg.
Während Rühmann auf der Leinwand also biedere und altbackene Klischees figurierte und der große Durchbruch noch auf sich warten ließ, beschritt er auf den Theaterbühnen neue Pfade: so in der Rolle des Estragons in Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Damit öffnete er sich den experimentellen Spielarten des „Absurden Theaters“, welches als Sammelbegriff für jene damals avantgardistischen Bühnenstücke steht, die mittels grotesker Komik und einer irrealen Szenerie den Orientierungsverlust des Menschen in einer scheinbar sinnbefreiten Welt thematisieren. Dementsprechend taucht auch in Becketts „Warten auf Godot“der titelgebende Godot niemals auf. Vor allem Estragon wird von der stumpfen Repetition und Lethargie des sinnlosen Wartens zermürbt und verliert sich im Strudel des ereignislosen Nichtstuns und Vergessens. Diese inhaltlich von Beckett beabsichtigte Zermürbung durch eine ziellose Verworrenheit war nicht nur für das Theaterensemble harte Arbeit, sondern färbte während den Aufführungen auch auf das Publikum ab. Es kam nicht selten vor, dass mehrere Besucher nach kurzer Zeit fluchtartig das Gebäude verließen. Für Rühmann jedoch war es die Gelegenheit, bisher ungekannte Facetten zu zeigen und sich abseits vom festgetretenen Nimbus des heiteren Spaßmachers als ernsthafter Charakterdarsteller zu profilieren
Erste Erfolge
1954 wurde das ehemalige Ufa-erfolgsduo Hans Albers und Heinz Rühmann auf der Kinoleinwand erneut zusammen geführt. „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“konnte allerdings nicht an den früheren Erfolg von „Der Mann, der Sherlock Holmes war“anknüpfen. Immerhin gab Rühmann hier in einer Szene seine persönliche Lieblingsrolle zum Besten: den Zirkusclown. Der erhoffte Durchbruch auf der Kinoleinwand kam schließlich ein Jahr später und auch hier konnte Rühmann seiner Leidenschaft folgen und in die Clowns-rolle schlüpfen. In der rührseligen Dramödie „Wenn der Vater mit dem Sohne“kümmert er sich als Teddy Lemke hingebungsvoll um seinen 7-jährigen Pflegesohn Ulli, dessen Mutter nach Amerika ausgewandert ist. Früher war Lemke ein berühmter Musik-clown gewesen, der erfolgreich mit seinem leiblichen Sohn auftrat, bis jener viel zu jung auf tragische Weise verstarb und Teddy seine Clowns-karriere aufgab. Doch den Wünschen seines Ziehsohnes kann er nicht widerstehen und schlüpft für den kleinen Ulli nach vielen Jahren erneut in sein Clowns-kostüm, bis plötzlich Ullis leibliche Mutter wieder auftaucht und ihren Sohn zurück fordert. Die sentimentale Geschichte sorgte zu ihrer Zeit für viele Tränen und verschnupfte Nasen in den Kinosälen. Mit seiner innigen Darbietung am Bett des kleinen Ulli machte Rühmann zudem das Gutenachtlied „La-le-lu, nur der Mann im Mond schaut zu“von Heino Gaze deutschlandweit berühmt.
Mit „Charleys Tante“(1956) gelang Rühmann dann sein endgültiges Comeback als Komiker, auch wenn sich Produzent Kurt Ulrich damals gegen die Chefs der Filmstudios und Verleihfirmen durchsetzen musste, die den Namen Rühmann noch immer für Kassengift hielten. Doch der Erfolg des Films sprach für sich. Rühmann in Frauenkleidern rumstaksen, die Hüften schwingen und blödeln zu sehen, ist auch heute noch ein durchaus spaßiger Genuss, da man ihm seinen verschmitzten Charme nur schwer absprechen kann. Die omnipräsente Biederkeit und das Spießbürgertum der 1950er Jahre muss man natürlich trotzdem mitnehmen.
Rühmanns Triumph
Direkt nach „Charleys Tante“hatte Rühmann großes Interesse an der Hauptrolle in „Der Hauptmann von Köpenick“– eine Verfilmung des sozialkritischen und antimilitaristischen Theaterstücks von Carl Zuckmayer (1896-1977), das auf der Lebensgeschichte des Hochstaplers Wilhelm Voigt basiert. Jener gelernte Schuhmacher und Kleinkriminelle hatte sich zur wilhelminischen Kaiserzeit im Jahr 1906 der Stadtkasse von Köpenick (eine Kleinstadt nahe Berlin) bemächtigt und das nur, indem er sich mittels einer fremden Militäruniform als preußischer Hauptmann ausgegeben hatte und auf die stumpfe Obrigkeitshörigkeit deutscher Militärs und Bürger vertraute. Für Rühmann erwiesen sich nun die Frauenkleider aus „Charleys Tante“als verhängnisvoll. Viele Stimmen sprachen sich gegen ihn als Besetzung für den Hauptmann von Köpenick aus und glaubten nicht an seinen Namen in einem ernsteren Kontext. Doch Regisseur Helmut Käutner („Des Teufels General“, 1955) drohte mit seinem Rückzug aus dem Projekt, sollte Rühmann nicht die Rolle bekommen. Rühmann selbst brannte darauf, sich in dieser ernsten Charakterrolle zu beweisen und hatte sich so akribisch vorbereitet, dass seine Szenen beim Dreh meist gleich beim ersten Versuch saßen. Er selbst wurde stets von einem detailversessenen Perfektionismus angetrieben und war besonders gegenüber sich selbst sehr kritisch. Später spielte er den Hauptmann von Köpenick noch mehrmals auf der Theaterbühne und wurde immer unzufriedener mit seiner Darstellung im Film von 1956. Rühmann meinte, er hätte die Figur noch
härter und aggressiver verkörpern müssen, denn der echte Wilhelm Voigt hatte immerhin zwei Drittel seines Lebens als Gefangener in preußischen Zuchthäusern verbracht.
Die Verfilmung war nichtsdestotrotz mit 10 Millionen Zuschauern in den ersten 5 Monaten ein voller Publikumserfolg, wurde national wie international mit Preisen überhäuft und 1957 als erster deutscher Film für den Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“nominiert. Wer also das historische Interesse am Stoff mitbringt, kann sich auch heute noch einen Blick auf diese Zuckmayer-verfilmung erlauben.
Neue Wege
Rühmann, der nach dem Krieg zunächst vorwiegend auf den Theaterbühnen sein Geld verdiente, hatte dem „Hauptmann von Köpenick“ganz wesentlich seine Rückkehr als anerkannter Filmschauspieler zu verdanken. Es folgten diverse Kinoerfolge mit Komödien wie „Das Sonntagskind“(1956) oder „Vater sein dagegen sehr“(1957). Letzterer folgte einer ähnlichen Prämisse wie „Wenn der Vater mit dem Sohne“, doch dieses Mal zog der Filmvater Rühmann den Kampf um das Sorgerecht für seinen Filmneffen und seine Filmnichte bis zum „bitteren“Happy End durch. Ende der der 1950er Jahre war Rühmann wieder so beliebt wie zu früheren Ufa-zeiten und drehte fast genauso viele Filme wie in den 1930ern. Zudem bekam er nun immer öfters Rollen angeboten, die sich abseits vom Komödiantischen oder von sentimentaler Rührseligkeit bewegten. Eine seiner interessantesten Filmrollen ist jene als Mordkommissar Dr. Hans Matthäi in der Dürrenmatt-verfilmung „Es geschah am hellichten Tag“von 1957. Auch hier waren sich die Macher zunächst unsicher, ob das Publikum den vorwiegend als Komiker bekannten Rühmann diese ernste Rolle abnehmen würde. Doch obwohl Rühmann beileibe nicht die erste Wahl gewesen war und ihn das sicher auch kränkte, nahm er die Chance schließlich dankend an.
„Es geschah am hellichten Tag“ist einer von Rühmanns noch immer sehr sehenswerten Filmen, was wohl auch Dürrenmatts genialer Vorlage zu verdanken ist. So verkörpert er hier auf gelungene Weise einen für ihn ungewöhnlich wortkargen und ernsten Charakter, auch wenn er den Aspekt des Realitätsverlustes und Wahnsinns, der in Dürrenmatts ursprünglicher Version der Figur angelegt ist, kaum aufnimmt. Das dürfte aber auch dem Drehbuch geschuldet sein, das vor allem das Ende der Geschichte nicht vorlagengetreu behandelt. Der einmalige Gert Fröbe („James Bond 007 - Goldfinger“) trägt in der Rolle des psychisch degenerierten Kindermörders aber gleichviel zur Qualität des Films bei. Als kleine Randnotiz sei hier noch „Das Versprechen“von 2001 erwähnt mit Sean Penn als Regisseur und Jack Nicholson in der Hauptrolle, denn hier wurde dieselbe Dürrenmatt-geschichte insgesamt vorlagengetreuer verfilmt.
Rühmann, der Workaholic
Die Jahre 1958 bis 1960 zählen wohl zu Rühmanns produktivsten Jahren. Man könnte ihm sogar andichten, dass er in „Die Pauker“(1958) als herrisch-autoritäre Lehrerfigur dem Erfolg der Pauker- und Lausbubenfilme, die sich vornehmlich In den 1960ern großer Beliebtheit erfreuten, mit ebendieser Paraderolle den Weg ebnete. Mit seinem gestrigen, wilhelminischen Unterrichtsmethoden muss er sich im Film gegen eine rebellische Mofa-bande (u.a. besetzt mit dem deutsch-biederen Elvis-verschnitt Peter Kraus) durchsetzen, die sehr an den Film „Die Halbstarken“(1956) mit Horst Buchholz erinnert. Natürlich kann er sich hier schließlich durchsetzen und mit einem Resozialisierungsprogramm die Herzen der Rockerbande erweichen.
In „Mein Schulfreund“(1960) spielt Rühmann einen ehemaligen Schulkameraden von Hermann Göring, der diesen zu Kriegszeiten in einem Brief um Friedensverhandlungen bittet und nur durch eine Intervention Görings selbst dem Todesurteil entkommen kann, da er als „geistig unzurechnungsfähig“eingestuft wird. Nach Kriegsende kämpft Rühmanns Figur über viele Jahre für die Aufhebung des damaligen Nsurteils, um wieder ein „normales Leben“führen zu können. Doch die ehemalig an seinem Fall beteiligte Ns-bagage, die nun in hohen Ämtern sitzt oder sich am Rande der Gesellschaft verkrochen hat, weigert sich aus Verdrängung und verbitterter Verdrossenheit, zu helfen. „Mein Schulfreund“ist eine durch und durch mäßige Tragikomödie, die ihrer Figur einen Fallstrick nach dem anderen vor die Füße wirft, was eher wie eine Reihe zufälliger „Unfälle“wirkt anstatt historische Aufarbeitung. Doch Rühmann schien es persönlich wichtig, die kriegerische und militaristische Vergangenheit der Deutschen in seinen Filmrollen zu thematisieren. Vielleicht auch, da er mit seiner eigenen Vergangenheit als in der Nsdiktatur arrivierter Schauspieler bis zum Schluss sehr stiefmütterlich umging.
In diesem Kontext gehörte auch „Der brave Soldat Schwejk“(1960) zu Rühmanns absoluten Lieblingsrollen, obwohl er aufgrund seines Alters und Aussehens komplett gegen die Figur aus dem antimilitaristischen, satirischen Schelmenroman von Jaroslav Hašek (1883-1923) besetzt wurde und zudem erst den böhmischen Landesdialekt einstudieren musste. Nach den ersten Drehtagen war er fest überzeugt, die Rolle völlig falsch angelegt zu haben, krempelte sein ganzes Konzept von der Figur um und auch der Dreh wurde im Zuge dessen nochmal komplett von vorne begonnen. Der Film selbst und Rühmanns Darstellung erhielten sehr durchwachsene Kritiken. Zwar wurde „Der brave Soldat Schwejk“1962 als Bester fremdsprachiger Film für den Golden Globe nominiert und Rühmann von
mancher Seite eine Glanzrolle attestiert. Andere wiederum kritisierten, dass sowohl der Regisseur Ambresser als auch Rühmann selbst die Vorlage verkannt hätten und statt der ursprünglich angelegten bitterbösen Ironie und des Sarkasmus die subversive Geschichte in staatskonformer Weise verharmlost hätten.
Eine Wende im Deutschen Film
Mit dem ersten „Pater Brown“-film „Das schwarze Schaf“gab Rühmann seine Paraderolle als verschmitzter Geistlicher mit kriminalistischen Talenten, avancierte im Zuge dessen ab 1960 endgültig zum beliebtesten Schauspieler Deutschlands und wurde mit Preisen geradezu überschüttet. Er war auf dem Höhepunkt seines Ruhmes angekommen, doch sollte er sich nur wenige Jahre dort halten.
In den kommenden, weltpolitisch ereignis- und folgenreichen Jahren (1961 der Mauerbau und 1963 die Ermordung John F. Kennedys) wehte auch filmpolitisch bald ein neuer Wind in der BRD. Mit dem „Oberhausener Manifest“forderten junge Nachwuchsregisseure und Filmschaffende anlässlich der 8. Westdeutschen Kurzfilmtage 1962 einen neuen deutschen Spielfilm und vor allem mehr Unabhängigkeit für die Filmemacher. Die dazugehörige Pressekonferenz wurde im Nachhinein als Geburtsstunde des „Neuen deutschen Films“bezeichnet, für den heute Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff oder Werner Herzog mit ihren experimentellen und gesellschaftskritischen Autorenfilmen exemplarisch stehen. Vornehmlich kritisierte diese junge Generation den verkümmerten künstlerischen Anspruch damaliger deutscher Filmproduktionen sowie die zu stark profitorientierte Kulturindustrie, die das Kino auf ein konsumgetriebenes Konsensmedium reduzierte. Beispielhaft dafür ist vor allem der deutsche Heimatfilm der 1950er Jahre, der das Publikum mit seinen idealisierten Traumwelten und der biederen Realitätsverweigerung einlullte, damit riesige Erfolge feierte und maßgeblich bei der Verdrängung und Tabuisierung der damals noch nicht weit entfernten Ns-vergangenheit half. Aber auch der deutsche Unterhaltungsfilm stand generell aus ähnlichen Gründen in der Kritik. Slogan der damaligen Pressekonferenz war der provokative Satz „Papas Kino ist tot!“, der zu großer Gegenwehr bei der bis dahin etablierten Filmindustrie und bei alteingesessenen Journalisten sorgte, die die Forderungen der jungen Generation hämisch belächelten.
Auf dem Gipfel angekommen
Auch Heinz Rühmann war zu diesem Zeitpunkt Teil dieses reaktionären Establishments und befand sich eben dank seiner Unterhaltungsfilme noch immer auf dem Zenit seiner Karriere. Es folgten nicht minder zugkräftige Verfilmungen mehrerer Theaterstücke von Curt Goetz (18881960) wie „Das Haus in Montevideo“(1963), „Dr. med. Hiob Prätorius“(1965) oder „Hokuspokus: Wie lasse ich meinen Mann verschwinden... ?“(1966) – in den letzteren beiden Fällen auch an der Seite von Liselotte Pulver („Das Wirtshaus im Spessart“, 1958). Im Vergleich zu den früheren Kämpfen, die Rühmann für viele seiner Filmrollen auszutragen hatte, musste nun umgekehrt er selbst überredet werden, da er sich als großer Verehrer des Schriftstellers Curt Goetz zunächst scheute.
„Das Haus In Montevideo“ist heute in gewisser Weise noch sehenswert, da Rühmann hier auf sympathische Art den fortpflanzungswütigen und wilhelminisch autoritären Familienvater mimt, dessen starres Moralfundament nach und nach bröckelt. Die beiden Filme mit Liselotte Pulver wirken aus heutiger Sicht jedoch arg affektiert, was wohl zum Teil auch an den seltsam artifiziellen und abstrakten Filmkulissen liegt
1965 legte Rühmann mit „Ship Of Fools“(zu deutsch „Das Narrenschiff“) ein kurzes Hollywood-intermezzo ein. An der Seite von Us-größen wie Vivien Leigh („Vom Winde verweht“, 1939) und Lee Marvin („Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, 1962) spielte er den jüdischen Kaufmann Julius Löwenthal, der sich 1933, also kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, auf einem deutschen Passagierdampfer von Veracruz nach Bremerhaven befindet. Das kammerspielartige Drama wurde 1966 für mehrere Oscars nominiert und erhielt zwei der begehrten Auszeichnungen. Rühmann selbst war äußerst beeindruckt von der Präzision und Professionalität, mit der in Hollywood Filme gedreht wurden und die Amerikaner hofierten ihn mit großen Ehren. Allerdings blieb es bei diesem einen Hollywood-ausflug. Rühmann galt dann doch für die meisten amerikanischen Filmproduktionen schlichtweg als „zu deutsch“.
Rühmann tritt zurück
In den folgenden Jahren befand sich der deutsche Film, sprich „Papas Kino“, immer offensichtlicher in der Krise. Filme wie „Geld oder Leben“(1966) an der Seite des beliebten französischen Komikers Fernandel oder „Die Abenteuer des Kardinal Braun“(1968) – die Fortsetzung der zuvor beliebten „Pater Brown“-filme „Das schwarze Schaf“(1960) und „Er kann‘s nicht lassen“(1962) – waren kaum noch erfolgreich für Rühmann und von sichtlich bescheidener Qualität. In dieser Zeit, als sich der Generationenkonflikt immer radikaler verschärfte und die Studentenbewegung gegen die Einführung der Notstandsgesetze durch den damals amtierenden Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, der im Dritten Reich Nsdap-mitglied gewesen war, die Außerparla
mentarische Opposition (kurz APO) gründete, öffnete sich Rühmann erstmals auch Fernsehproduktionen, welche er zuvor stets gemieden hatte. Von 1968 bis 1983 tauchte er vorwiegend in Tv-filmen wie „Der Tod des Handlungsreisenden“(1968) oder Fernsehinszenierungen von Theaterstücken wie „Der Hausmeister“(1973) auf, die man, ehrlich gesagt, heute getrost vernachlässigen kann.
Generell stand Rühmann nun wieder regelmäßiger auf den Theaterbühnen. Sein Leben wurde nun vor allem durch eine private Tragödien überschattet.1970 starb seine langjährige, geliebte Ehefrau Herta Feiler an Krebs. In den folgenden Jahren bekam er zudem kaum noch Filmrollen angeboten, außer in belanglosen Klamotten wie „Der Kapitän“(1971), der heute wie ein Vorläufer der Zdf-fernsehserie „Das Traumschiff“wirkt, oder als die personifizierte Nettigkeit in „Oh Jonathan – oh Jonathan“(1973). Dafür erlaubte sich Rühmann nun die Erfüllung eines alten Traumes und trat mehrere Male im Zirkus als Clown auf. So zum Beispiel 1973 im Zirkus Krone oder 1980 an der Seite des damals weltberühmten Zirkusclowns Oleg Popov (1930-2016). Seine allerletzte Filmrolle übernahm der 91-jährige Rühmann 1993 für „In weiter Ferne, so nah!“, der Fortsetzung von Wim Wenders „Himmel über Berlin“. Hier spielte er einen 90-jährigen Taxifahrer, der mit Hilfe des zum Menschen gewordenen Engels Cassiel (Otto Sander) in einer sehr feinfühligen Szene sein langes Leben Revue passieren lässt. Die kindliche Unschuld, die Weisheit sowie Verletzlichkeit des Alters bringt Rühmann hier auf so berührende Weise rüber, dass diese letzte Filmrolle getrost als ein würdiger und gelungener Abschluss seiner Karriere angesehen werden kann. 1994 starb Rühmann schließlich im Alter von 92 Jahren.
Rühmann, der Jedermann
Was lässt sich also abschließend über Heinz Rühmann, sein Schaffen und sein Nachwirken aus heutiger Sicht sagen? Rühmanns äußerst langlebige Karriere hat selbstverständlich eine beachtliche Zahl an deutschen Filmklassikern hervor gebracht, von denen man sich den einen oder anderen auch heute mit Genuss zu Leibe führen kann und die nicht wenige aus ihren Kinderjahren kennen dürften. Seine reichhaltige Filmografie ist allerdings auch wahrlich nicht arm an recht belanglosen oder schon zu ihrer Zeit anachronistischen Werken, denen man heute keinen Blick mehr schuldet – es sei denn, man bringt selbst (film-)historisches Interesse mit. Dann steht Heinz Rühmann wie kaum ein zweiter deutscher Schauspieler beispielhaft für die Entwicklung des Deutschen Films im 20. Jahrhundert: von den ersten Tonfilmen Anfang der 1930er, über die wirtschaftlich erfolgreichen Ufa-jahre unter Propagandaminister Joseph Goebbels, bis zu den meist biederen und zutiefst trivialen Unterhaltungsfilmen der 1950er und 60er Jahre, die schließlich (und damit auch Rühmann selbst) vom „Neuen Deutschen Film“der späten 60er und 70er abgelöst wurden – und das völlig zu recht. Wie ein roter Faden zieht sich dabei Rühmanns Rolle als gleichsam schusseliger wie verschmitzter Kleinbürger hindurch, womit er zu Ns-zeiten der zunehmend kriegsmüden Bevölkerung mit harmlosen Alltagskomödien Ablenkung verschaffte und in den 1950ern und 60ern der Elterngeneration ihre heimelige Familienidylle servierte. Rühmann ist der liebe, humorvolle Onkel, der am Sonntag mit den Kindern spielt und immer ein nettes Wort parat hat. Dieses Image und seine Nähe zu den biederen Bedürfnissen seiner Generation machten ihn zu einem der erfolgreichsten, wenn nicht zu DEM erfolgreichsten deutschen Schauspieler seiner Zeit.