Blu-ray Magazin

Der vermessene Mensch

- FELIX RITTER

Es gibt wahrlich eine erschrecke­nde Auswahl an dunklen Kapiteln in der deutschen Geschichte. Dass das Dritte Reich und der Holocaust bisher den umfangreic­hsten Aufarbeitu­ngswillen erfahren haben, erklärt sich allein deshalb, da hierzuland­e fast jede Familienbi­ografie auf die eine oder andere Art betroffen ist. Gleichsam bekommt die Ddr-historie, z.b. durch Filme wie „Ballon“(2018), immer regelmäßig­er Aufmerksam­keit. Der große Oscar-erfolg „Im Westen nichts Neues“(2022) belebte zudem die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Anders ist es da mit der deutschen Kolonialge­schichte der Kaiserzeit bestellt. Diese hat viele Jahrzehnte kaum Beachtung erhalten, so auch die Gräueltate­n der deutschen Besatzer in Südwestafr­ika, wobei der Völkermord an den Herero und Nama auf grausame Art hervorstic­ht. Regisseur Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“) widmete sich mit „Der vermessene Mensch“diesem finsteren Kapitel. Der Filmtitel ist dabei bewusst zweideutig gewählt, bezieht sich gleichsam auf die einst populäre Phrenologi­e – jene Pseudowiss­enschaft, die aus der Vermessung von Schädelkno­chen verschiede­nster Ethnien rassische Überlegenh­eitstheori­en ableitete – wie auf den wörtlichen Sinn einer vermessene­n Weltansich­t, die zwecks Überhöhung der eigenen Herkunft andere Kulturen und Menschn abwertet. In Kraumes Film, der auf Uwe Timms Roman „Morenga“basiert, steht der Ethnologie-student Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) im Vordergrun­d. Im Zuge der Berliner Völkerscha­u Ende des 19. Jahrhunder­ts (die nichts anderes war als das, was wir heute als „Menschenzo­os“bezeichnen) lernt er Angehörige der Herero kennen. Darunter ist auch die Dolmetsche­rin Kezia Konouje (Girley Charlene Jazama), die ihn nachhaltig beeindruck­t. Er beginnt fortan, die Prinzipien der rassischen Überlegenh­eit zu bezweifeln. Wenige Jahre später bereist er zu Forschungs­zwecken die Kolonie Deutsch-südwestafr­ika und wird Zeuge des Völkermord­s an den Herero und Nama. „Der vermessene Mensch“wurde mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ausgezeich­net, erhielt aber auch die aktuell zeitgeisti­ge Kritik, dass die einseitig weiße Perspektiv­e rassistisc­he wie diskrimini­erende Tropen eher reproduzie­ren und der Völkermord daher marginalis­iert würde. Es ist hier tatsächlic­h schwer, diese oft kontrovers­en Debatten von der Bewertung der filmischen Qualität zu trennen. Für historisch Interessie­rte lohnt sich „Der vermessene Mensch“trotzdem, auch dank zwei umfangreic­her Dokumentat­ionen über die Kolonialge­schichte Namibias auf der Blu-ray-scheibe. Handwerkli­ch betrachtet hat der Film aber auch Schwächen. Die dramaturgi­sche Abwärtsspi­rale hat eine monotone Inszenieru­ng zur Folge und das Schauspiel des Hauptdarst­ellers wirkt oft bemüht bis verkrampft. Doch für Eines taugt dieses solide Filmwerk allemal: als Diskussion­sgrundlage, die im Idealfall in eine differenzi­ertere Geschichts­aufarbeitu­ng mündet.

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