Rebel– In den Fängen des Terrors
Die belgischen Filmemacher Bilall Fallah und Adil El Arbi sind seit der Kino-fortsetzung „Bad Boys For Life“(2020) im westlichen Mainstream-bereich angekommen und führen inzwischen in Streaming-serien wie Netflix’ „Salam – Rest In Peace“(2021) und Disneys „Ms. Marvel“(2022) Regie. Ursprünglich stammen sie aber aus der Arthouse-crime-dramen-ecke, darunter „Image“(2014), „Black“(2015), „Scalped“(2017) und „Gangstas 4 Life“(2018). Ein Drama über die Rekrutierungsmechanismen des Islamischen Staats passt daher absolut zu ihren filmischen Indie-wurzeln, erhält aber durch ihre Erfahrungen im Mainstream-sektor eine völlig neue Qualität. Grundsätzlich ist bereits eine Publikumshürde mit dem unangenehmen Thema verbunden. Wer sich dennoch darauf einlässt, muss psychisch einiges aushalten. Zugleich wagen die beiden Regisseure etwas äußerst Riskantes. Sie mildern den Film mit seinen extrem authentisch inszenierten, teilweise spektakulären Plansequenzen a la „Children Of Men“und seinen drastischen Bildern vom Is-terror mittels einer musikalischen Komponente ab, ohne die Authentizität zu verwässern. Von Nachlade-geräuschen, die sich zur rhythmischen Percussion entwickeln, über einen spontanen Rap, bis zur aufwendig choreografierten Musical-szene ist hier alles vertreten. Und der Spagat gelingt auf ähnlich erstaunliche Weise wie bei Nadine Labakis „Wer weiß, wohin?“, Radu Mihaileanus „Zug des Lebens“(1998) oder Sylvain Estibals „Das Schwein von Gaza“(2011). Durch diese kindlich unschuldige Inszenierung des Schreckens wird emotional sogar noch eine Schippe obendrauf gelegt, denn jeder weiß, was wirklich passiert, wenn Roberto Benigni in „Das Leben ist schön!“(1997) am Ende hinter der Ecke verschwindet. Zugleich werten die Musical-einlagen den Film auf kreative Weise mit überraschend großen Schauwerten sowie argumentativ gut nachvollziehbaren Texten auf.
Muslimische Perspektive
Bilall und Adil wollten einen Film über den IS aus muslimischer Perspektive drehen. Hierfür wählten sie zwei Brüder als Hauptcharaktere: Kamal (brillant authentisch: Aboubakr Bensaihi) ist ein Rapper, der in Brüssel einem Haftbefehl wegen mutmaßlichen Drogenhandels entgeht, indem er nach Syrien reist, um dort in einem Krankenhaus den Opfern des Krieges zu helfen. Als eines Tages der IS vor der Tür steht, wird er mit Waffengewalt gezwungen, sich den Dschihadisten anzuschließen. Aufgrund seiner jahrelangen Tätigkeit als Youtube-star bietet er sich als Kameramann an – vermutlich auch, um keine Waffe auf andere richten zu müssen. Doch was seine Kamera einfängt, wird ihn für immer verändern, denn die Anhänger des IS handeln keineswegs im Sinne ihres Gottes und ihre Propaganda-maschinerie ist gut organisiert. Parallel dazu wird das Schicksal von Kamals 13-jährigem Bruder Nassim (Amir El Arbi) gezeigt, der aufgrund eines veröffentlichten Terror-videos einer von Kamal durchgeführten Exekution zu einem Außenseiter an der Schule wird. Dieses Loch versucht ein manipulativer, erwachsener Rekrutierer zu füllen, indem er sich als Freund Kamals ausgibt. Während die Hirnwäsche langsam Früchte trägt, kämpft Nassims gläubige Mutter (Lubna Azabal) darum, nicht auch noch ihren zweiten Sohn an diesen Irrsinn zu verlieren. Die Film-handlung ist mit der italienischen Mafia-serie „Gomorrah“vergleichbar, da hier der IS im Prinzip auch nichts anderes als die Camorra ist. Während „Gomorrah“allerdings bei aller Authentizität auch eine recht romantische Handlung präsentiert, bleibt „Rebel“wesentlich stärker auf dem Teppich, da es keine Helden, sondern nur Opfer und Täter zeigt. Persönliche Schicksale gibt es hier auch, weshalb der Kampf Kamals um das Leben seiner Familie immer dramatischer wird.