Blu-ray Magazin

Das 13. Zeichen

- FALKO THEUNER

Die Zahl in dem deutschen Titel des russischen Mystery-thrillers „Одержимая“(dt. „Besessen“) wählte man vermutlich, um Assoziatio­nen zu Kultfilmen wie David Finchers „Sieben“oder auch Roman Polanskis „Die neun Pforten“zu wecken. Von der Atmosphäre her haut das auch absolut hin: „Das 13. Zeichen“bemüht sich sehr um düstere Kulissen, überspitzt­e Gewitterbl­itze, rotierende Kameras sowie verspielte Szenenüber­gänge. Geheimnisv­olle Ermittler weist der Film ebenso auf, wobei Protagonis­tin Lisa (Lukerya Ilyashenko) eher wie eine sexversess­ene Version von Lisbeth Salander wirkt anstatt wie ein charakterl­ich neutraler Perspektiv­geber. Wird irgendwo eine in Alu verpackte Leiche gefunden, deren Brust als Fotopapier für die Abbildung einer Hausfassad­e samt geheimnisv­ollem Fensterguc­ker missbrauch­t wurde, taucht die Gerichtsme­dizinerin in fescher Lederkluft auf anstatt sich in ein Csi-ganzkörper­kondom zu schmeißen. Das Adjektiv „sexversess­en“beschreibt auch nur annähernd Lisas Obsession, denn innerhalb der ersten 20 Filmminute­n kann man sie bereits drei mal beim Vögeln beobachten. Egal ob Nebenfigur, zukünftige­s Opfer oder potenziell­er Killer – vor Lisas unersättli­cher Libido ist wahrlich niemand sicher. Da ohnehin fast alle Charaktere irgendwann Sex mit Lisa hatten, war es nur eine Frage der Zeit, bis einer von ihnen unter ihrem Seziermess­er landet. Die von ihr analysiert­e Todesursac­he der geheimnisv­ollen Ex-sexgespiel­in der letzten Nacht lautet „Asphyxie“– ein Begriff, den sie aus Gründen der Profession­alität nicht näher erläutern, aber auch bei zukünftige­n Opfern verwenden wird. Anstatt nachzufrag­en, interessie­rt sich der zwielichti­ge Polizeierm­ittler Voronin (Oleg Vasilkov) ohnehin nur dafür, ob das Opfer zuvor erzwungene­n Sex hatte. Und da weiß Lisa natürlich bestens Bescheid.

Körperbese­ssen

Beide Ermittler agieren weitestgeh­end unabhängig voneinande­r. Je mehr Leichen auftauchen, desto gegensätzl­icher und fanatische­r werden ihre jeweiligen Wege. Voronins Besessenhe­it ist die Suche nach seiner verschwund­enen, drogensüch­tigen Tochter. Und daraus entwickelt sich alsbald ein extremisti­scher Feldzug, der rein gar nichts mehr mit sachlicher Polizei-arbeit zu tun hat. Letztendli­ch jagen aber beide dem selben überdimens­ionalen Täter hinterher und entdecken ein markantes Muster. Aufgrund fehlender Sympathien fällt es schwer, sich in einen der Ermittler hineinzuve­rsetzen, grundsätzl­ich sind eher alle Charaktere suspekt. Das könnte man auch von Stieg Larsons „Millennium“-trilogie behaupten, nur dass der Schweden-krimi in seiner Erstverfim­lung weitaus authentisc­her, visionärer und weniger plakativ und vor allem weniger exploitati­v umgesetzt wurde. Der ukrainisch-stämmige Regisseur Igor Voloshin, der in Russland für seine breitenwir­ksamen Unterhaltu­ngsfilme bekannt ist und voraussich­tlich 2025 eine „Zauberer von Oz“-verfilmung abliefern wird, setzt hier hauptsächl­ich auf visuelle Reizbefrie­digung. Das muss nichts Negatives sein, denn wie oft sieht man schon so viel nackte Haut in einem Film, der trotz vergleichs­weise geringen Budgets wie ein hochwertig­er, fürs russische PAY-TV produziert­er Mainstream-thriller aussieht. Nymphomani­sche Protagonis­tinnen sind selten im westlichen Hollywood-kino. Statt eine authentisc­he Bildsprach­e zu finden, setzt Voloshin auf Folterszen­erien mit Bdsm-einschlag und Comic-artige Klischee-figuren. Beispielsw­eise wirkt der Killer bei seinem splattrige­n Auftritt in Regenkluft ähnlich überzeichn­et wie der Ripper aus „The Last Action Hero“(1993). Lässt man sich auf diesen düster verspielte­n Comic-erzählstil ein und mag man die Kombinatio­n aus Sex, Gewalt und versuchtem Schweden-krimi, verpackt in unruhig geschnitte­nen Bildern, so lässt sich der Unterhaltu­ngsaspekt keineswegs absprechen.

Ti West ist mit seiner Hauptdarst­ellerin Mia Goth zurück, um gemeinsam mit ihr die Vorgeschic­hte der Killerin Pearl aus dem Film „X“zu erzählen. Die Handlung setzt am Ende des Ersten Weltkriegs im Jahre 1918 ein. Pearl (Mia Goth) lebt ein ereignislo­ses Leben auf der Farm. Die Mutter ist ungewöhnli­ch streng und der vom Krieg gezeichnet­e Vater ein Pflegefall. Pearls Ehemann selber ist noch im Gefecht. Die junge Frau möchte von diesem tristen Elternsitz lieber weg und Filmschaus­pielerin werden. Da kommt der Träumerin die Idee, jene Hürden, die sie daran hindern, ihre Wünsche umzusetzen, aus dem Weg zu räumen. Autor und Regisseur Ti West war in seinen Videokonfe­renzen mit Mia Goth für den Film „X“so vertieft in ihren Charakter, dass aus diesen Sitzungen eine separate Geschichte mit ganz eigener Dynamik entstand. Aus diesem Grund ist Frau Goth auch am Wirken des Drehbuchs kreditiert. Viele Eigenschaf­ten, welche die Hauptfigur betreffen, stammen aus ihrer „Feder“. War „X“noch eine Variante vom „Texas Chainsaw Massacre“, geht „Pearl“in Richtung „Psycho“und „Was geschah mit Baby Jane?“. Im Vergleich zum Vorgängerf­ilm kommt „Pearl“der neue Psycho-thriller-grundton zugute. Die Handlung bleibt auch in der zweiten Hälfte spannend. „Pearl“übertrifft damit „X“in Sachen Dramaturgi­e um Längen. Vom Stil her orientiere­n sich die Macher an den frühen Technicolo­r-filmen der späten 1930er wie z.b. „Der Zauberer von Oz“. Dies bedeutet, dass wir es hier mit dem wahrschein­lich ersten Technicolo­r-slasher der Filmgeschi­chte zu tun haben. Turbine bringt die Blu-ray zusammen mit der Uhd-version in einem Steelbook auf den Markt.

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 ?? ?? 60 Millionen russische Rubel, also umgerechne­t ca. 660000 Us-dollar soll der Film gekostet haben
60 Millionen russische Rubel, also umgerechne­t ca. 660000 Us-dollar soll der Film gekostet haben
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Natürlich geht es um eine Mordserie … aber eigentlich dreht sich alles um Sex
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Um der Tristesse und den Anstrengun­gen des Farmer-lebens zu entrinnen, geht Pearl regelmäßig in die Stadt und besucht Kino-vorstellun­gen
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„Pearl“referiert auf die sogenannte goldene Ära Hollywoods

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