The Holdovers
Weihnachten 1970 in Neuengland, USA: An der fiktionalen Barton Academy stehen die Festtage an. Nur eine handvoll Schüler und Personal bleiben über Weihnachten vor Ort. Ausgerechnet der unbeliebte Dozent Paul Hunham (Paul Giamatti) wird dazu auserkoren, die „Holdovers“, die Überbleibsel, zu betreuen. Auch er kann nicht weg. Sein neuestes Leiden ist Lupus. Doch vielmehr wurde er vom Direktor zu dieser Tat verdonnert, weil Paul den Sohn eines wichtigen Geldgebers in einem Fach hat durchfallen lassen. Kurz vor Heiligabend springt ein Vater ein, um die zurückgebliebenen Schüler mit dem Helikopter zu einer privaten Feier abzuholen. Nur Angus Tully (Dominic Sessa) kann seine Eltern nicht erreichen und verpasst damit auch diese Chance, dem unangenehmen Betreuer zu entgehen, der von allen Glubschauge genannt wird, weil er ebenfalls der Amblyopie ausgesetzt ist und eines seiner Augen nicht richtig funktioniert. Zusammen mit der Köchin Mary Lamb (Da’vine Joy, die für diese Rolle einen Oscar als beste Nebendarstellerin erhielt) bilden jene drei die wahren Überbleibsel der Gesellschaft. Mary musste zuletzt ihren Sohn begraben, einen ehemaligen und recht erfolgreichen Absolventen der Barton Academy, der in Vietnam gefallen ist. Da sich die Familie für ihn kein College-studium leisten konnte, wurde der Filius eingezogen. An diesem Beispiel kommt die ungerechte Verteilung von Vermögen in der Gesellschaft zur Geltung. Paul dagegen ist mit all seinen Krankheiten vor allem körperlich beeinträchtigt. Seit der Kindheit leidet er zusätzlich zu seiner Schwachsichtigkeit an Trimethylaminurie, einer Stoffwechselkrankheit, die ganzkörperlichen Fisch-geruch verursacht. Diese Umstände machten ihn zum gut gelehrten, aber auch bösartigen Individuum.
Der Fänger im Roggen
Angus Tully bildet zusammen mit Paul Hunham und Mary Lamb das Protagonisten-trio. Seine Mutter ist geschieden und lebt mit einem neuen Mann zusammen. Angus bekommt eine seelenlose Grußkarte mit Geldscheinen zu Weihnachten. Seine Eltern wissen nichts mit ihm anzufangen. Der richtige Vater bewohnt als Geisteskranker eine Anstalt. Dieser kann in seinem Zustand den eigenen Sohn nicht mehr erkennen. Durch die zerklüfteten Familienverhältnisse nimmt der siebzehnjährige Tabletten gegen seine Angstzustände. Und es ist kein Wunder, dass Dominic Sessas Charakter zum Frühstück Roggentoast mag. „The Holdovers“bildet im Kern eine siebziger Jahre Version des amerikanischen Literaturklassikers und Bestsellers „Der Fänger im Roggen“von J. D. Salinger aus dem Jahr 1951. Das Fünfziger-jahre-pendant Holden Caulfield ist ebenso von den hochnäsigen Mitschülern gelangweilt, die sich nur auf ihren Status und die Gegebenheiten des Systems verlassen. Doch im Gegenzug zu Angus ergeht es Holdens Mutter schlecht, die im Buch einer mentalen Krankheit unterworfen ist und der Salinger schlussendlich die Geschichte widmet. In dem oscarnominierten Drehbuch von David Hemingson, der sich mittlerweile gegen eine Plagiatsanschuldigung verteidigen muss, geht es um das Coming-ofage-thema, in dem ein Jugendlicher versucht, die Welt um sich herum zu verstehen. „The Holdovers“ist bis ins kleinste Detail im Stil des Autorenkinos der 1960er und 70er Jahre gehalten. Das Bild zeigt ein 1,66:1-Format. Auch der Ton ist bemerkenswert, da es sich hier um eine sonderbare DTS 3.0 Spur handelt. Von der ersten Minute also, wenn das Universal- und das Miramax-logo aus den 1970er Jahren auf dem Bildschirm erscheinen, kommt ein Retrogefühl auf. Dabei wurde alles digital mit einer ARRI Alexa Mini aufgenommen. Das Filmkorn und die Farbstimmung kamen in der Postproduktion hinzu. Somit bleibt das Bild trotz wortwörtlichem Nostalgiefilter auf technisch hohem Niveau.