Mit Büchern spielen
Romanadaptionen auf deutschen Theaterbühnen
Theater und Roman sind einander verwandte Erzählformen und doch so verschieden! Wie gelingt es Theatermachern, komplexe Romanstoffe auf die Bühne zu bringen? Was kann das Theater, was der Roman nicht kann und umgekehrt? Das BÜCHERmagazin hat sich bei drei Dramaturginnen, einem Dramaturgen und einem Bühnenbildner umgehört, die an aktuellen Romanadaptionen beteiligt waren.
DAS DORF ALS „WIR“-ERZÄHLUNG
Im Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin wird seit September das Stück
„Vor dem Fest“nach Saša Staniši s gleichnamigen Roman gespielt. Der Bühnenbildner Sebastian Hannak und die Dramaturgin Nina Steinhilber geben Einblick, wie sie die surreale Atmosphäre des Romans und die besondere Erzählweise des Autors für die Bühne übersetzt haben.
Fürstenfelde, ein Dorf in der Uckermark, ist Schauplatz von „Vor dem Fest“. Haben Sie sich als Bühnenbildner an der literarischen Vorlage orientiert? Sebastian Hannak: Saša Staniši s Romanvorlage ist eine überbordende Ansammlung sehr verschiedener Orte und Zeiten. Beim Lesen habe ich mir Örtlichkeiten farbig markiert. Um daraus eine Szenerie für den Roman auf der Bühne zu erschaffen, habe ich versucht, ein klares Bild zu entwerfen, das dennoch in sich wandelbar bleibt: So sehen wir auf der gesamten Bühne ein großes, hochgeschossenes Feld; im vorderen Bereich der Bühne, ganz nah bei den Zuschauern, ein schon abgemähtes Stoppelfeld mit Ackerfurchen. Alle Möbel stehen mitten im Morast, nur links und rechts in kleinen Containerflächen steht zum einen der Flügel auf gutbürgerlichem roten Teppich und links ist „Ulli’s Garage“untergebracht, Treffpunkt fast aller Figuren.
In der Mitte der Bühne befindet sich zu Beginn eine riesige, abgesenkte schwarze Fläche, die aussieht wie ein See – aus diesem wird ein großer Mähdrescher hochgefahren. Für uns steht der Mähdrescher für Potenzial und Kraft, aber auch für ungenutzte Energie. Im zweiten Teil des Abends dreht er sich auf der Scheibe wie auf einem Präsentierteller. So werden unterschiedliche Orte dargestellt: Das „Haus der Heimat“befindet sich im Mähdrescher, hinter einer Glasscheibe, begehbar durch eine Luke von oben. Es war mir wichtig, die poetische und teilweise ins surreal gehende Szenerie aus Stanišićs Roman unbedingt zu erhalten, auch die Dorfmalerin Frau Kranz steht auf dem Dach des abgesenkten Mähdreschers. Sie scheint mitten im See zu stehen und malt dabei. Frau Schwermuth öffnet dann im Ackerboden wie selbstverständlich eine Luke und verschwindet in der Erde.
Welche Aspekte an „Vor dem Fest“waren besonders reizvoll für die Inszenierung?
Nina Steinhilber: Besonders reizvoll fanden wir für das Theatervorhaben Saša Stanišićs Entscheidung, aus der Perspektive des Dorfes selbst zu erzählen – die Geschichte eines Dorfes als „Wir“-Erzählung. So fiel die Entscheidung, den Roman als großes Ensemblestück auf die Bühne zu bringen. In der Hauptrolle: Wir, das Dorf, gespielt von einem zwölfköpfigen Ensemble, darunter eine Sopranistin. Alle Spieler verkörpern zuallererst „das Dorf“, sind ein Teil dieses Dorfkörpers. Und erst aus diesem Dorfkörper schälen sich die einzelnen Figuren und Episoden heraus. Immer wieder kehren die Spieler zurück ins „Wir“, in den „Dorfkörper“. Das „Wir“hält die Geschichte zusammen, bestimmt den Ablauf, formuliert Zweifel, Ängste, Wut und Optimismus, kommentiert, macht deutlich, worum es eigentlich geht, nämlich darum, dass es nach Hunderten von Dorfgeschichtsjahren weitergehen wird. Weil es immer gegangen ist, trotz Pest und Krieg. Da wird man auch das Schließen der Tankstelle oder die Abschaffung des Stundentaktes beim öffentlichen Nahverkehr überleben. Das „Wir“war für die Arbeit an der Bühnenfassung Herzstück und größte Herausforderung gleichermaßen.
Standen Sie im Austausch mit dem Autor?
Nina Steinhilber: Martin Nimz hat sich im Vorfeld mit Saša Stanišić getroffen und wir waren dann immer lose im Austausch. In den Endproben hat er uns bei zwei Proben besuchen können. Inspiriert durch die Schauspieler, durch die die Romanfiguren plötzlich lebendig auf der Bühne standen, durch ihre Persönlichkeiten, die sich mit den Figuren so wie er sie fantasiert hatte, im Verlauf der Proben verbunden haben, hat er dann sogar noch ein paar Texte hinzugefügt, den einen oder anderen neuen Dialog beigesteuert oder Änderungsvorschläge gemacht. Es war ein sehr guter und für alle Seiten inspirierender Austausch.