Organisches Zetteltheater
Arno Tauriinens theatralisches Romandebüt
Der Teufel liebt das Theater. Aus vielen Beispielen der Weltliteratur kennt man ihn als den „geborenen“Bühnenstar. Er setzt sich gern spektakulär in Szene, tritt in prätentiösen Kostümen auf, ist ein Meister der Illusion und Verführung. Wieso also das Ganze nicht auf die Spitze treiben und ihn auch zum Intendanten, Regisseur, Dramaturgen, Bühnenbildner machen und die Welt zu einem einzigen Theater, seinem Theater? Der Roman „Goldgefasste Finsternis“spielt mit dieser Idee. Hauptfigur ist ein gewis- ser Lucius Onagre, der gleich zu Beginn als größter „Theatermacher“aller Zeiten vorgestellt wird. Sein Stück „Basilisk“wird als so grandios beschrieben, dass sich die Besucher wünschen, sich in ihm aufzulösen. Tatsächlich kann jeder mitmachen, die künstliche Welt Basilisk schluckt Menschenseelen. Bis sie von ihrem Meister verlassen wird.
Der Schauplatz wechselt in die noch viel buntere Welt einer großen Stadt. W. erinnert zwar an die österreichische Hauptstadt, ist aber nicht mit dieser
„Goldgefasste Finsternis“lautet der Titel eines wunderschön gestalteten Debütromans, der in diesem Jahr auf der Hotlist der unabhängigen
Verlage zu finden war. Der sich hinter dem Pseudonym verbergende Autor Arno Tauriinen liebt die
Dunkelheit im Theater und erschafft eindringliche Bilder, perfekt für die Bühne geeignet.
gleichzusetzen. Das würde viel zu nahe am Leben des Autors von „Goldgefasste Finsternis“liegen, der sich hinter dem Pseudonym Arno Tauriinen verbirgt. Tauriinen wurde laut Infotext im Roman 1967 in Wien geboren, doch ob das tatsächlich stimmt? Wer weiß das schon. Dass Tauriinen alles Digitale hasst, ebenfalls eine Information aus dem Abspann des Buches, scheint zu stimmen. Er besitzt als Autor nämlich keine E-Mail-Adresse, meine Fragen werden telefonisch von seinem Verlag Topalian & Milani an ihn weitergegeben, dort transkribiert und dann an mich per E-Mail geschickt. Eine Fleißarbeit, die die Verleger gerne übernehmen, und die sie, in Bezug auf das ungewöhnliche Buchprojekt, gewohnt sind:
„Goldgefasste Finsternis“ist ein Exzerpt aus vielen Hundert Notizen, Zetteln und Typoskripten, die im Sommer 2015 verpackt in zwei großen Kisten an den Verlag gesendet worden waren. Das im Frühjahr 2017 veröffentlichte Buch ist eine Zettelwelt geblieben, sein Auf bau wirkt chaotisch, es ploppen Welten und Geschichten auf und verschwinden wieder. Im Abspann des Buches steht, dass „Goldgefasste Finsternis“eine Art „Theatermaschine“sein soll, ähnlich wie die barocken Simultanbühnen zeigt es gleichzeitig mehrere Stücke, oder künstliche Welten, als Leser muss man sich nur entscheiden, welche man als Erstes besucht. So könnte man das Buch auch in der Mitte beginnen, oder gar am Ende. Liest man es chronologisch, kann es ermüden, nach dem roten Faden zu suchen. Man sollte diese Suche gar nicht erst beginnen. Die erzählten Geschichten entfalten ihre Kraft und Originalität in ihrer Unmittelbarkeit als betörende Bilderwelten. Laut Aussagen des Autors fließen in die Bühnen des Romans Bilder aus Film und Kunst ein, sie sind aber auch von den Bühnen beeinflusst, die Tauriinen schon lange kennt, wie etwa vom Wiener Burgtheater. Der originelle Text wurde kongenial illustriert von Max P. Haering, einem Künstler, der sich auf die Technik des „Freecomic“spezialisiert hat. Die Buchausgabe ist somit auch ein kleines Kunstwerk, das zu Recht in diesem Jahr auf der „Hotlist“stand, die in jedem Jahr die wertvollsten und wichtigsten Bücher der unabhängigen Verlage vorstellt.
DIE STADT W. ALS TUMMELPLATZ FÜR GROTESKE FIGUREN
Die Geschichte führt also von der Welt Basilisk in die Stadt W. Diese ist das Werk von Lucius, der noch weitere Namen hat: Lampus, Zephyrus, Teiresias, Lazarus, Lucien, Lazifar, Luciver … „So viele Namen für das immer gleiche Spiel“, steht im Buch. W. ist ein wimmelndes Groteskenspiel: Die Stadt hat ein ernsthaftes Problem mit Wolfgang Amadeus Mozart, den Luciver in hundertfacher Ausführung immer wieder zum Leben erweckt, und ist auch sonst bevölkert von verlorenen Gestalten. Der hässliche Kommissar Ottokar Krähnzopf, die Riesenheuschrecke Pschibyl, ebenfalls Theatermacher, Bibidze, eine Meduse, die ihrer versteinerten Liebe nachtrauert, und der böse alte Mann Jan Syllab, der von Lucius als unsterbliches Spielzeug missbraucht wird, sind nur einige von ihnen. Für Lucivers Vater ist W. ein Sündenpfuhl. Den Sohn enttäuscht es maßlos, dass Gott die Schönheit seiner Schöpfung nicht anerkennt, wie bei einem Vater-Sohn-Gespräch in einem Kaffeehaus deutlich wird. So überrascht es auch nicht, dass Lucius Gottvater, der im Reich des Teufels nichts ausrichten kann, mit einer gewissen Genugtuung vom Polizeirevier abholt, nachdem dieser in der Straßenbahn ohne Fahrschein erwischt wird. Es ist ein großes Vergnügen, in diese verrückte, schräge Theaterwelt einzutauchen, in der ohne allzu viel Respekt mit religiösen, mythologischen und literaturwissenschaftlichen Bezügen sowie mit der Sprache selbst gespielt wird. So kann man schöne Worte aus W. (und Wien?) kennenlernen, zum Beispiel „Heibodntiarlaunduschal“, laut Glossar am Ende eine „zur Blunzn umfunktionierte Bordsteinschwalbe“.
Fragt man den Autor von „Goldgefasste Finsternis“danach, welche Figur er in seinem aberwitzigen Theaterbuch gerne wäre, so nennt er nicht etwa den dunklen Schöpfer Lucius. „Ich bin ein hervorragender Zuschauer. Es wäre mir ein Graus, auf der Bühne zu stehen, angeleuchtet zu werden. Wirklich! Eine höllische Aufgabe, die so ein Schauspieler hat! Es ist mir sehr lieb, dass ich als Autor zwar alles tun kann mit den Figuren meiner Geschichten, aber selbst nicht dabei sein muss. Aber wenn Sie darauf bestehen: Vielleicht wäre ich der Hund, der der Gruppe hinterherläuft? Oder die Motte, die sich im Opernhaus verbrennt? Sich als Mensch wohlzufühlen ist eine Herkulesaufgabe, ich habe sie nicht geschafft. Und: Ich würde lieber kein Mensch sein in meinem W.“
Die Person hinter Arno Tauriinen bleibt als Schriftsteller selbst gern im Dunkeln und liebt auch am Theater die Bereiche außerhalb der Bühne: „Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört dies: an der Seite meiner Eltern im Theater zu sitzen und (ganz ohne das Bühnengeschehen anzusehen!) immerzu den Blick in die Logen und in die Gesichter der Zuschauer zu richten“, erzählt Tauriinen. „Wie manches Gesicht sich verändert, wenn der Mensch in einen Traum hineingeht, das liebe ich bis heute. Ich bin also mehr ein Betrachter der Betrachter als der Schauspieler. Auch das Geschehen hinter der Bühne interessierte mich mehr als das Geschehen auf der Bühne … Es könnte wohl schon damals die Idee entstanden sein, dass in den Katakomben eines Theaters, im Fundus, in den dunklen Ecken der Dachböden mehr Interessantes zu finden sein könnte, als ein Programmheft verrät.“Seitdem stellt er sich das Theater „als einen Organismus“vor, als „etwas Wachsendes, etwas fortwährend Mutierendes“. Das bedeutet wohl, dass noch längst nicht alle Zettel beschrieben sind. Das Spiel geht weiter! Wie schön!