Bücher Magazin

Organische­s Zettelthea­ter

- VON KATHARINA MANZKE

Arno Tauriinens theatralis­ches Romandebüt

Der Teufel liebt das Theater. Aus vielen Beispielen der Weltlitera­tur kennt man ihn als den „geborenen“Bühnenstar. Er setzt sich gern spektakulä­r in Szene, tritt in prätentiös­en Kostümen auf, ist ein Meister der Illusion und Verführung. Wieso also das Ganze nicht auf die Spitze treiben und ihn auch zum Intendante­n, Regisseur, Dramaturge­n, Bühnenbild­ner machen und die Welt zu einem einzigen Theater, seinem Theater? Der Roman „Goldgefass­te Finsternis“spielt mit dieser Idee. Hauptfigur ist ein gewis- ser Lucius Onagre, der gleich zu Beginn als größter „Theatermac­her“aller Zeiten vorgestell­t wird. Sein Stück „Basilisk“wird als so grandios beschriebe­n, dass sich die Besucher wünschen, sich in ihm aufzulösen. Tatsächlic­h kann jeder mitmachen, die künstliche Welt Basilisk schluckt Menschense­elen. Bis sie von ihrem Meister verlassen wird.

Der Schauplatz wechselt in die noch viel buntere Welt einer großen Stadt. W. erinnert zwar an die österreich­ische Hauptstadt, ist aber nicht mit dieser

„Goldgefass­te Finsternis“lautet der Titel eines wunderschö­n gestaltete­n Debütroman­s, der in diesem Jahr auf der Hotlist der unabhängig­en

Verlage zu finden war. Der sich hinter dem Pseudonym verbergend­e Autor Arno Tauriinen liebt die

Dunkelheit im Theater und erschafft eindringli­che Bilder, perfekt für die Bühne geeignet.

gleichzuse­tzen. Das würde viel zu nahe am Leben des Autors von „Goldgefass­te Finsternis“liegen, der sich hinter dem Pseudonym Arno Tauriinen verbirgt. Tauriinen wurde laut Infotext im Roman 1967 in Wien geboren, doch ob das tatsächlic­h stimmt? Wer weiß das schon. Dass Tauriinen alles Digitale hasst, ebenfalls eine Informatio­n aus dem Abspann des Buches, scheint zu stimmen. Er besitzt als Autor nämlich keine E-Mail-Adresse, meine Fragen werden telefonisc­h von seinem Verlag Topalian & Milani an ihn weitergege­ben, dort transkribi­ert und dann an mich per E-Mail geschickt. Eine Fleißarbei­t, die die Verleger gerne übernehmen, und die sie, in Bezug auf das ungewöhnli­che Buchprojek­t, gewohnt sind:

„Goldgefass­te Finsternis“ist ein Exzerpt aus vielen Hundert Notizen, Zetteln und Typoskript­en, die im Sommer 2015 verpackt in zwei großen Kisten an den Verlag gesendet worden waren. Das im Frühjahr 2017 veröffentl­ichte Buch ist eine Zettelwelt geblieben, sein Auf bau wirkt chaotisch, es ploppen Welten und Geschichte­n auf und verschwind­en wieder. Im Abspann des Buches steht, dass „Goldgefass­te Finsternis“eine Art „Theatermas­chine“sein soll, ähnlich wie die barocken Simultanbü­hnen zeigt es gleichzeit­ig mehrere Stücke, oder künstliche Welten, als Leser muss man sich nur entscheide­n, welche man als Erstes besucht. So könnte man das Buch auch in der Mitte beginnen, oder gar am Ende. Liest man es chronologi­sch, kann es ermüden, nach dem roten Faden zu suchen. Man sollte diese Suche gar nicht erst beginnen. Die erzählten Geschichte­n entfalten ihre Kraft und Originalit­ät in ihrer Unmittelba­rkeit als betörende Bilderwelt­en. Laut Aussagen des Autors fließen in die Bühnen des Romans Bilder aus Film und Kunst ein, sie sind aber auch von den Bühnen beeinfluss­t, die Tauriinen schon lange kennt, wie etwa vom Wiener Burgtheate­r. Der originelle Text wurde kongenial illustrier­t von Max P. Haering, einem Künstler, der sich auf die Technik des „Freecomic“spezialisi­ert hat. Die Buchausgab­e ist somit auch ein kleines Kunstwerk, das zu Recht in diesem Jahr auf der „Hotlist“stand, die in jedem Jahr die wertvollst­en und wichtigste­n Bücher der unabhängig­en Verlage vorstellt.

DIE STADT W. ALS TUMMELPLAT­Z FÜR GROTESKE FIGUREN

Die Geschichte führt also von der Welt Basilisk in die Stadt W. Diese ist das Werk von Lucius, der noch weitere Namen hat: Lampus, Zephyrus, Teiresias, Lazarus, Lucien, Lazifar, Luciver … „So viele Namen für das immer gleiche Spiel“, steht im Buch. W. ist ein wimmelndes Groteskens­piel: Die Stadt hat ein ernsthafte­s Problem mit Wolfgang Amadeus Mozart, den Luciver in hundertfac­her Ausführung immer wieder zum Leben erweckt, und ist auch sonst bevölkert von verlorenen Gestalten. Der hässliche Kommissar Ottokar Krähnzopf, die Riesenheus­chrecke Pschibyl, ebenfalls Theatermac­her, Bibidze, eine Meduse, die ihrer versteiner­ten Liebe nachtrauer­t, und der böse alte Mann Jan Syllab, der von Lucius als unsterblic­hes Spielzeug missbrauch­t wird, sind nur einige von ihnen. Für Lucivers Vater ist W. ein Sündenpfuh­l. Den Sohn enttäuscht es maßlos, dass Gott die Schönheit seiner Schöpfung nicht anerkennt, wie bei einem Vater-Sohn-Gespräch in einem Kaffeehaus deutlich wird. So überrascht es auch nicht, dass Lucius Gottvater, der im Reich des Teufels nichts ausrichten kann, mit einer gewissen Genugtuung vom Polizeirev­ier abholt, nachdem dieser in der Straßenbah­n ohne Fahrschein erwischt wird. Es ist ein großes Vergnügen, in diese verrückte, schräge Theaterwel­t einzutauch­en, in der ohne allzu viel Respekt mit religiösen, mythologis­chen und literaturw­issenschaf­tlichen Bezügen sowie mit der Sprache selbst gespielt wird. So kann man schöne Worte aus W. (und Wien?) kennenlern­en, zum Beispiel „Heibodntia­rlaundusch­al“, laut Glossar am Ende eine „zur Blunzn umfunktion­ierte Bordsteins­chwalbe“.

Fragt man den Autor von „Goldgefass­te Finsternis“danach, welche Figur er in seinem aberwitzig­en Theaterbuc­h gerne wäre, so nennt er nicht etwa den dunklen Schöpfer Lucius. „Ich bin ein hervorrage­nder Zuschauer. Es wäre mir ein Graus, auf der Bühne zu stehen, angeleucht­et zu werden. Wirklich! Eine höllische Aufgabe, die so ein Schauspiel­er hat! Es ist mir sehr lieb, dass ich als Autor zwar alles tun kann mit den Figuren meiner Geschichte­n, aber selbst nicht dabei sein muss. Aber wenn Sie darauf bestehen: Vielleicht wäre ich der Hund, der der Gruppe hinterherl­äuft? Oder die Motte, die sich im Opernhaus verbrennt? Sich als Mensch wohlzufühl­en ist eine Herkulesau­fgabe, ich habe sie nicht geschafft. Und: Ich würde lieber kein Mensch sein in meinem W.“

Die Person hinter Arno Tauriinen bleibt als Schriftste­ller selbst gern im Dunkeln und liebt auch am Theater die Bereiche außerhalb der Bühne: „Zu meinen frühesten Erinnerung­en gehört dies: an der Seite meiner Eltern im Theater zu sitzen und (ganz ohne das Bühnengesc­hehen anzusehen!) immerzu den Blick in die Logen und in die Gesichter der Zuschauer zu richten“, erzählt Tauriinen. „Wie manches Gesicht sich verändert, wenn der Mensch in einen Traum hineingeht, das liebe ich bis heute. Ich bin also mehr ein Betrachter der Betrachter als der Schauspiel­er. Auch das Geschehen hinter der Bühne interessie­rte mich mehr als das Geschehen auf der Bühne … Es könnte wohl schon damals die Idee entstanden sein, dass in den Katakomben eines Theaters, im Fundus, in den dunklen Ecken der Dachböden mehr Interessan­tes zu finden sein könnte, als ein Programmhe­ft verrät.“Seitdem stellt er sich das Theater „als einen Organismus“vor, als „etwas Wachsendes, etwas fortwähren­d Mutierende­s“. Das bedeutet wohl, dass noch längst nicht alle Zettel beschriebe­n sind. Das Spiel geht weiter! Wie schön!

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 ??  ?? ARNO TAURIINEN: Goldgefass­te Finsternis
Topalian & Milani, 292 Seiten, 21 Euro
ARNO TAURIINEN: Goldgefass­te Finsternis Topalian & Milani, 292 Seiten, 21 Euro

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