Lebensplaner Kolumne
Hast du derzeit ein dringendes Problem?
Immer mehr Kalender versprechen einem ein besseres Leben. Achtsamkeit, Erfolg, Abenteuer. Oder wenigstens Ordnung im Kopf. Eine Selbstversuch-Kolumne.
In meinem Kopf sieht es aus wie in den Wohnungen, die man manchmal im Vorabendprogramm von Privatsendern sieht. Hüfthohe Bücherstapel, auf denen Horden leerer Kaffeetassen balancieren, halbgare Ideen, die mittlerweile heftig schimmeln und Bruchteile abgebrochener Projekte, die man unmöglich wegwerfen kann. Der Boden ist, wo man ihn sehen kann, mit einer klebrigen Schicht überzogen, hauptsächlich Bier. Die Fenster sind blind, nur schemenhaft sieht man draußen die Deadlines vorüberziehen.
Irgendwann wird zwischen der Sammlung misslungener Begrüßungen und dem Regal mit den verworfenen Ideen Vera Int-Veen auftauchen und anklagend mit einem Nagetierkadaver wedeln. Hinter ihr drängen sich dann schon die Herren in den weißen Ganzkörperanzügen, und wenn sie das ganze Unglück sachgerecht entsorgt haben, kommt, so weit ich das beurteilen kann, Tine Wittler und klebt Kunstrasen an die Decke. Das gilt es zu verhindern.
„Das wichtigste Buch in deinem Leben sollte über dein Leben sein“, heißt es auf der Homepage von Ein guter Plan. Die Beschreibung des Planers – „ganzheitlicher Terminkalender für mehr Achtsamkeit und Selbstliebe“– enthält gleich vier entsetzliche Wörter, aber eine der beiden Autoren ist Milena Glimbovski, die Gründerin von Original Unverpackt, einer Supermarktkette, die ohne Plastikverpackungen auskommt, und das stimmt zuversichtlich. Zuallererst stellt „Ein guter Plan“mir Fragen. „Hast du derzeit ein dringendes Problem?“Eines? „Was macht dich glücklich?“und „Was macht dich unglücklich?“Ich erzähle einem alten Freund, dass ich beide Spalten exakt identisch ausfüllen könnte. Wir streiten eine halbe Stunde lang darüber, ob das dann dieselben oder die gleichen Wörter wären. „Wann“, fragt „Ein guter Plan“, „hast du das letzte Mal etwas gelernt?“
Eine ganze Seite gibt mir der optimistische kleine Terminkalender, um besonders schöne Dinge aufzuschreiben, die ich schon erlebt habe – eine Art umgekehrte Eimerliste. Auf einer anderen Seite soll ich die Namen meiner Freunde aufschreiben und etwas, was ich mit ihnen unternehmen möchte. Ich schreibe „Klaus“und „dasselbe wie immer“. Es sind diese Übungen im Positiven, die verhindern, dass man die Notizen verzweifelt aus dem Fenster wirft, wenn man beim Porträt des inneren Kritikers angelangt. Mein innerer Kritiker bekommt zehn von zehn Punkten, denn: „Ich kritisiere viele meiner Gedanken“und „Der Tonfall in meinem Kopf ist sehr aggressiv“. Schließlich fordert „Ein guter Plan“mich auf, meine wichtigsten Ziele nach der „Getting Things Done“-Methode in überschaubare Zwischenschritte aufzuteilen. Im Kalendarium des Planers – in dem übrigens keine Daten stehen, damit man nicht bis zum ersten Januar warten muss, bis man sich mit ihm beschäftigt – gibt es für jeden Tag eine Achtsamkeits-Ampel und für jede Woche einen Fokus.
Klarheit funktioniert nach einem ganz ähnlichen Prinzip: Es gibt einen Coaching-Teil, der einem helfen soll herauszufinden, was man wirklich will. Und ein Kalendarium, das einen idealerweise dazu anregt, für jeden Monat einen Plan zu haben und wöchentlich zu reflektieren, inwiefern man diesen Plan umsetzt, was einen daran hindert und was man stattdessen tun könnte. Mein grundsätzlicher Unwille dagegen, mich von einem Stück Papier zur Rechenschaft ziehen zu lassen kämpft noch gegen die Verlockungen des minimalistischen Designs.
Mein tolles neues Leben ist weniger minimalistisch und weniger auf Effektivität ausgerichtet als auf – Abenteuer. Jede Woche schlägt „Mein neues tolles Leben“einem eines vor. Manche dieser Vorschläge sind niederschmetternd bescheiden: „Mache eine Wanderung, die mindestens eine Stunde dauert. Alleine. Auch wenn es schwerfällt.“Andere sind sinnvoll, aber unmöglich: „Kaufe dir am Montag eine (kleine) Schokoladenration, und teile sie dir so ein, dass sie bis Sonntag vorhält. Du schaffst das!“Nein. Nein, das schaffe ich nicht. Wieder andere scheinen auf den ersten Blick charmant: „Schreibe drei Menschen, die du liebst, eine Karte und verschicke sie mit der Post. Auch wenn sie im gleichen Haus wohnen sollten.“Was ist mit Figuren wie meinem inneren Kritiker, die keine drei Menschen lieben, jedenfalls keine, die sich über eine Postkarte von ihm freuen würden? Und dann gibt es Aufgaben, bei denen ich nicht beobachtet werden wollen würde. „Wickle fünf 50 Cent Münzen in Papier, bemale das Papier und hänge sie in der Nähe einer Grundschule an einen Baum“? Vielleicht lieber nicht.
Was diesen Kalendern gemeinsam ist, ist gleichzeitig das Beste an ihnen: das Papier. Es leuchtet nicht. Es macht nicht „Pling!“Es schickt mir keine Benachrichtigungen darüber, dass sieben Freunden eine Seite über nutzlose Roboter gefällt, und teilt mir nicht mit, dass #Bundestag trendet. Es unterbricht mich nicht. Vielleicht bleibt Zeit, in diesem Kopf ein wenig aufzuräumen. Das schafft Platz für neue schlechte Ideen.